Das Plastik-Problem der Biowissenschaften. [ger]

Unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit produziert die Forschung Unmengen an Kunststoffmüll. Doch gibt es dazu Alternativen?



Wie pixabay (CC0) und die Welt glauben dass wir arbeiten...

Ein persönliches Problem

Wie die meisten meiner Leser wissen, arbeite ich als Wissenschaftler in einem chemisch/biologischen Labor. Und ich liebe meine Arbeit. Wissenschaft mag zwar manchmal mühsam, fordernd und gezeichnet von Rückschlägen und Durststrecken sein, aber sie ist auch spannend. Es mag für viele etwas übertrieben klingen, aber ich freue mich darüber, mit jedem kleinen Erfolg die Grenze des menschlichen Wissens ein Stück weit nach hinten schieben zu können, und ich weiß, dass es vielen meiner Kollegen ebenso geht.

Allerdings hat der Beruf auch seine Schattenseiten. Eine davon ruft unter Forschern schnell betretendes Schweigen hervor, wenn man sie darauf anspricht. Die Sache ist nämlich die: Wir Biowissenschaftler sind uns überwiegend sehr wohl bewusst, wie es um den Zustand unseres Planeten steht. Unter uns kann man Leugner des anthropogenen Klimawandels lange suchen, und viele von uns bemühen sich aktiv für den Umweltschutz – wozu natürlich auch die Reduktion bzw. die Wiederverwertung des produzierten Abfalls gehört.

Gerade Plastikmüll stellt die Ökosysteme der Erde vor große Probleme. Die Existenz riesiger Kunststoffstrudel in den Meeren ist inzwischen Allgemeinwissen, Mikroplastik gefährdet Fische und sonstige Wassertiere, die austretenden Chemikalien wirken auf den Hormonhaushalt und daher umwelttoxisch (ich berichtete), und auch die fachgerechte Entsorgung von Polymeren – das Verbrennen – trägt zum Anstieg des CO2-Gehalts unserer Atmosphäre bei. Und vom Öl und den Chemikalien, die bei der Kunststoff-Produktion verbraucht werden, fange ich jetzt gar nicht erst an.
Es ist kein Zufall, dass die Politik versucht, durch Regulierungen dem Plastiksackerl* Herr zu werden, auch wenn diese ob der herrschenden Inkompetenz sicher oft kontraproduktiv enden (Kartonsackerl sind z.B. nur besser, wenn man sie mehrmals verwendet).

Noch einmal: Wir Wissenschaftler wissen das alles und sorgen uns prinzipiell um diese Dinge.

*ja, das heißt Sackerl und nicht etwa Tüte, ihr Flachlandösterreicher!

Solange sie die Freizeit betreffen.

Im Labor nämlich… Ai ai ai… Verdammt, was produzieren wir an Dreck!
Und damit meine ich gar nicht irgendwelche Chemikalien. Anders als landläufig vermutet ist deren Verbrauch im Vergleich zur Industrie ein kaum wahrnehmbarer Klecks. Nein, es geht tatsächlich um Plastik.

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...und wie wir wirklich arbeiten... by Laurence Livermore, CC-BY

Warum das?

Lebenswissenschaften im Allgemeinen und die Molekularbiologie im Speziellen sind auf Einwegmaterial angewiesen. Pipetten, Reaktionsgefäße aller Art, Spritzen, Petrischalen, Flaschen aus Plastik haben gegenüber den früheren Produkten aus Glas viele Vorteile:

  • Der Kostenfaktor. Rechnet man die Arbeitszeit mit ein, die fürs Geschirrwaschen draufgehen würde, zahlt sich Glas absolut nicht aus. Vom Anschaffungspreis ganz zu schweigen. Da Wissenschaft ein hochkompetitives Feld ist, das chronisch unter Unterfinanzierung leidet, ein entscheidender Punkt.
  • Stabilität. Kein Zerbrechen, keine Scherben, keine Verletzungen, kein Ärger mit verlorenen Proben.
  • Sterilität. Extrem wichtig für uns ist es, keine Bakterien, Hefen oder sonstige Kontaminationen in unsere Experimente einzuschleppen, da diese sonst unbrauchbar würden. Plastik kann man steril kaufen oder aber im Bedarfsfall relativ easy selbst sterilisieren (gängigste Methode: das Autoklavieren, sprich das Aufheizen unter Dampfdruck), während selbiges bei Glas erheblich schwieriger ist, v.a. nach Wiederverwendung.
  • Menge und Größe. Die Technik ermöglicht uns die Verwendung immer kleinerer Probenmengen für unsere Experimente, was einerseits die Kosten verringert, andererseits den „Probendurchsatz“, also die Menge der Proben, die wir simultan messen können, erhöht. Kleinere Volumina erfordern aber das Arbeiten mit immer kleineren Gefäßen. Diese sind dann aber aufgrund der Größe kaum bis nicht waschbar, und Glas eignet sich als Werkstoff schon gar nicht mehr. Ergo: Einwegplastik.

plastik1.jpg
...nämlich mit Plastik...

Das Problem

Aus diesen Gründen verbraucht die Wissenschaft extreme Mengen an Plastik. Schätzungen gehen von 5,5 Millionen Tonnen Plastikmüll aus, der von Biowissenschaftlern weltweit pro Jahr produziert wird (Tendenz steigend), was fast der Menge an Plastik entspricht, die weltweit jährlich recycelt wirdref und immerhin fast 2% des weltweiten Kunststoffabfalls ausmacht.ref
Und das ist uns nicht egal. Mehrere in den letzten Jahren veröffentlichte Aufrufe in Top-Zeitschriften wie Nature zeugen davon, dass die Thematik durchaus diskutiert wird. Der Meinung der Autoren nach sollten Wissenschaftler Vorreiter beim Umweltschutz sein, und nicht als allerletzter auf den „Nachhaltigkeitszug“ aufspringen.ref1, ref2

Und ich unterschreibe das natürlich… Aber was tun?

Lösungsansätze

Ideen, wie man aus der Abhängigkeit von Einweg-Kunststoff entkommen könnte, gibt es leider nicht allzu viele.

Finanzielle Zuckerl

Urbina et al. schlagen in ihrem Nature-Artikel vor, dass Wissenschaftsfonds bei der Vergabe von Projekten finanzielle Anreize zur Nachhaltigkeit setzen sollten. ref
Jo eh, sagt da der gelernte Skeptiker… nette Idee. Aber wenn die Forschung teurer wird, können weniger Projekte finanziert werden. Es ist ja nicht zu erwarten, dass die Regierungen plötzlich ihre Liebe zur Wissenschaft entdecken und im Zeitalter des Sparstifts plötzlich auf die Idee kommen, Forschungsbudgets aufstocken. Und kein Wissenschaftler, den ich kenne, würde auf Grants verzichten wollen, nur damit andere ihre Projekte sauberer durchführen können.

Offene Augen

Man kann natürlich bei sich selbst anfangen. Wir sind im Laboralltag inzwischen so an Einwegprodukte gewöhnt, dass oft wir gar nicht mehr daran denken, zum Glas zu greifen, das irgendwo in der Schublade verstaubt. Ich muss aber mein Medium nicht zwanghaft in 50 ml Falcons aliquotieren, wenn ich sterilisierte Duranflaschen aus Glas zur Verfügung habe. Ich muss nicht jedes Mal eine neue Spitze zum Pipettieren nehmen, und kann dort, wo es geht, Kunststoff einsparen.
Selbstverantwortung. So ca. 10% des Plastiks könnte man sicher einsparen, wenn man ein bisschen mitdenkt.

Andererseits: Im Umkehrschluss sind die restlichen 90% immer noch notwendig, damit die Forschung funktioniert. D.h. sogar wenn sich alle Forscher zusammen reißen, produzieren wir immer noch eine relativ kranke Menge an Abfall.

Management

Wie auch Lopez et al. vorschlagen, können wir dort, wo wir in die Managementebene vorstoßen, zur Entwicklung von Konzepten beitragen, um den Konsum von Einweggütern zu reduzieren.ref Klar, ein bisschen geht immer noch. Aber solange Kosten, Zeit und praktische Gründe fürs Plastik sprechen, beendet das mMn unser Dilemma nicht.

Die Forschung einstellen.

Ein Punkt für die ganz Lustigen. Die Produktion von 5,5M t Plastikmüll jährlich ist immer noch viel VIEL besser als damit aufzuhören, Krankheiten zu heilen und die Menschheit nach vorne zu bringen. Sag ich.
Aber ich weiß schon, ihr nehmt halt lieber Globuli und spült sie mit einer Karaffe Grander-Wasser hinunter, in der vielleicht auch noch ein paar Energiesteinchen schwimmen.

plastik2.jpg
...und Plastik!

Fazit

Ich habe diesen Artikel (durchaus selbstkritisch) geschrieben, obwohl ich weiß, dass er Wasser auf die Mühlen jener ist, die für alles zu haben sind, was sie für „natürlich“ halten, und die der Wissenschaft gegenüber insgesamt negativ eingestellt sind.
Aber ich bin fest überzeugt, dass wir auch über dieses Thema reden müssen. Das Messen mit zweierlei Maß ist uns nicht erlaubt, wir sind der Korrektheit verpflichtet, auch wenn sie uns selbst trifft.

Wir Forscher müssen uns einerseits an der Nase nehmen und die 10-20% Abfall (reine Schätzung meinerseits), die ohne Qualitätseinbußen möglich sind, bei uns selbst einsparen.
Aber vor allem brauchen wir technologische Lösungen, die die finanziellen und materiellen Vorteile der Einwegprodukte mit einer nachhaltigen Nutzbarkeit verbinden. Wer soll diese erfinden, wenn nicht wir selbst?

Wenn jemand von euch, liebe Leser aus angrenzenden Disziplinen, eine Idee hat, wie man das Problem lösen könnte, dann raus damit. Die goldene Nase, die ihr euch nebenbei damit verdienen könnt, sei euch von Herzen vergönnt!



Disclaimer:
In meinem Blog schreibe ich meine ehrliche Meinung als toxikologischer Forscher, nicht mehr und nicht weniger. Ich bin ein Mensch, manchmal unterlaufen mir Fehler. Diskutiert mit mir, seid anderer Meinung – wenn ihr die besseren Argumente bringt, überleg‘ ich gern ein zweites Mal.

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