112 Nadelstiche

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Die letzten Wochen waren für mich ein wenig hektischer und ich habe lange Zeit darüber gegrübelt, ob ich es hier wirklich thematisieren möchte. Allerdings hat @barneys mich mit einer seiner Artikel jüngst inspiriert und insgesamt bei sich eben auch das Thema Krebs bei sich thematisiert. Glücklicherweise ist mir dies Thema bisher verwährt gewesen und trotzdem gibt es eben auch andere Formen chronischer Erkrankungen über die in unserer Gesellschaft verhältnismäßig wenig bekannt ist und einen eiskalt erwischen kann. Doch erst einmal von vorne.

Bereits seit einigen Monaten fühlte ich mich nicht mehr besonders. Mich plagte die große Müdigkeit und ich merkte, dass ich Probleme mit der Konzentration hatte. Der Geist war irgendwie stumpf und fade, dass Denken eher langsam und träge. Was ich zunächst auf eine höhere Belastung bei der Arbeit schob, diversen Erkältungen und dann irgendwann auf das klassische „man wird halt alt“, wurde dann doch irgendwie schleichend immer ein wenig schlimmer.

Mit dem Hausarzt hatte ich einige Gespräche darüber, da dieser mit seiner Diagnostik im psychosomatischen Bereich unterwegs war und eine mögliche Depression ins Spiel brachte. Grundsätzlich erstmal sehr gut, da es sich auch hier um eine Erkrankung handelt, die oft nicht thematisiert oder als harmlos dargestellt wird. Nun sieht es so aus, dass ich auf Grund diverser Erfahrungen im Bekanntenkreis durchaus sehr gute Einblicke in dieses Krankheitsbild habe und weiß wie ein Depressiver denkt und tickt.

Von daher war ich mir eigentlich recht sicher, dass es sich nicht um eine Depression handelt. Ich bin ein eher skeptischer Mensch mit pessimistischen Hang und einer morbiden Lebenseinstellung, aber was auch immer ich hatte, es war ganz gewiss keine Depression. Eher durch Zufall im Rahmen eines anderen Problems wurde dann nochmals ein Blutbild angefertigt und ich erhielt vor einigen Wochen eine unerwartete Diagnose: Diabetes.

Dies ist von daher überraschend, da ich eben vor nicht all zu langer Zeit bereits ein Blutbild bekommen habe und darin absolut einwandfreie Werte hatte. Wie eigentlich all die Jahre davor, obwohl man eigentlich eine Risikogruppe war und entsprechend unter enger Beobachtung. In Rekordzeit entwickelte sich mein Blutzucker extrem ungünstig und ich hatte Werte von knapp 300mg/dl und einen Langzeitzucker von fast 12 mmol/l.

Wer Diabetiker im Bekanntenkreis und der Familie hat, wird damit vermutlich nichts anfangen können. Normal im nüchternen Zustand sind 100mg/dl und 5,6 mmol/l. Der Hausarzt zeigte sich noch über die schnelle Eskalation sehr verwundert und verschrieb mir erstmal ein Mittel, dass dabei helfen sollte den Blutzucker zu senken, da er fürchtete das eine Aufnahme bei einem Spezialisten einige Monate dauern könnte.

Sehr zu meiner Überraschung gab es beim durchgeben meiner Werte bereits am nächsten Morgen einen Termin. Dies bin ich bei den Fachärzten gar nicht mehr gewohnt gewesen. Dieser zeigte sich zunächst optimistisch, da das Medikament ein wenig seine Wirkung erbrachte. Es gab nur ein Blutzuckermeßgerät, dass ich 8x am Tag nutzen muss. Eine Stechhilfe mit der man sich in den Finger piekt und danach mit einem Teststreifen ein wenig Blut aufsaugen lässt, um seinen aktuellen Blutzucker messen konnte. Während ich noch irgendwie versuchte mich daran zu gewöhnen, zeigte er sich einige Tage später immer noch nicht über das Ergebnis des Medikamentes zufrieden.

Ich bekam einen Crashkurs für ein Langzeit-Insulin, dass ich einmal am Tag zu mir nehmen sollte. So langsam wurde es mir dann doch ein wenig unheimlich. Ich wusste von Diabetikern, dass sie teilweise nach jeder Mahlzeit sich die Spritze setzen mussten. War dann aber irgendwie froh, dass ich dies nur Abends machen sollte.

Trotzdem hing ich nun Abends mit diesem Pen da und hatte ein wenig Probleme damit diesen anzuwenden. Mit der Stechhilfe in die Finger gibt nur einen kurzen Pieks. Nun sollte man aber eine 5mm Spritze bei sich in den Bauch stecken, einen Knopf drücken, 10 Sekunden warten. Ich glaube ich brauchte fast 10 Minuten bevor ich es endlich tat.

Sehr zu meiner Überraschung war es tatsächlich harmloser als zunächst gedacht. Es tat eigentlich weniger weh als die Probe vom Finger und obwohl man etwas merkte, war dies wohl vermutlich insgesamt eher eine Kopfsache. Den bis zu 9x am Tag sich irgendwelche Nadeln in den Körper zu treiben, widersetzt sich irgendwie der natürlichen Handhabung.

Trotzdem habe ich mir vorgenommen sehr offen mit dem Thema umzugehen. Zum einen ist man eben in bester Gesellschaft. Fast jeder 11 Erwachsene soll unter Diabetes leiden, wobei es bei vielen Menschen lange Zeit unentdeckt bleibt und oft erst durch entsprechende Folgeschäden entdeckt wird. Dies blieb mir Gott sei Dank erspart. Trotzdem hilft es meiner Meinung nach nichts solche chronischen Erkrankungen zu verstecken, alleine schon von daher, da wir dies als Gesellschaft unbedingt thematisieren müssen.

Und einmal davon abgesehen, dass es auch für mein Umfeld wichtig sein kann darüber bescheid zu wissen und sich im Notfall richtig zu verhalten. So sind viele Menschen immer wieder verwundert, dass sie einem Diabetiker bei einem schlechten Grundzustand Zucker zuführen sollen. Immerhin haben diese ja einen zu hohen Zuckerspiegel! Die Ursache dafür ist aber recht simple. Ein zu hoher Blutzucker ist nur auf Dauer schlecht. Ein zu niedriger kann tödlich sein oder ins Komma führen. Redet jemand wirres zeug und liegt Schwach auf dem Boden, ist es daher besser ihm etwas Zucker zuzuführen.

Sein Zustand sollte sich dann rapide bessern und er wieder in der Lage sein mit einem nun vielleicht erhöhten Zucker zu intervenieren. Setzt man sich öffentlich die Stechhilfe, kann man solche Themen durchaus einmal thematisieren und ist überrascht wie wenig die Leute wissen, obwohl ja eigentlich fast jeder einen Führerschein und damit einen Erste-Hilfe-Kurs hinter sich haben sollte...

Aktuell ist das Insulin wieder abgesetzt worden und ich werde auf ein neues Medikament eingestellt, dass über die Niere entwässern soll. Darüber bin ich schon recht zufrieden, da es immerhin das Insulin erspart. Zum einen eine Spritze weniger am Tag, zum anderen soll das Insulin ein echter Hemmer fürs Abnehmen sein. Dann doch lieber am Tag 2 Tabletten mehr schlucken.

Der Nachteil ist ein momentan ziemlich fieser Verbrauch von Teststreifen. Ohne Insulin muss ich diese selbst kaufen, was immerhin um die 25€ pro Woche sind. Die Hoffnung bleibt, dass ich vielleicht bald nicht mehr so lückenlos überwachen muss, sondern es 2x am Tag ausreichen wird.

Da wir ja einige Skeptiker der Schulmedizin in der Gesellschaft haben: Ja, ich bin mir sicher, dass mir die Medikation hilft. Obwohl ich immer noch in der Lernphase bin und nun einige Schulungen über mich ergehen lassen muss, merke ich bereits wie sehr mir der hohe Blutzucker geschadet hat. Ich fühle mich im Schnitt signifikant besser und auch das Denken ist wieder erheblich klarer geworden. Alleine dafür bin ich bereits sehr dankbar.

Das die Werte nur noch leicht erhöht sind, macht Hoffnung, dass es insgesamt ein milder Verlauf sein könnte. Immerhin scheint die Bauchspeicheldrüse einwandfrei zu funktionieren und „lediglich“ ein Typ 2 Diabetes zu sein. Mehr Bewegung, eine andere Ernährung! Vermutlich wird man darüber bereits eine ganze Menge verändern können.

Sehr dankbar bin ich für das Team in der Schwerpunktpraxis, dass mir wirklich nach Jahren den Glauben an Ärzte hat erhalten können. Während man oftmals einfach nur ein Kostenträger war, hat man dort wirklich sehr kompetent, menschlich und trotzdem bestimmend weiterhelfen können. Ich bin sehr froh gewesen, dass man dort nicht einfach nur etwas an den Kopf geklatscht bekommen hat und weiter verwiesen wurde, sondern man sich wirklich die Zeit nimmt verschiedene Fragen zu klären und ohne Urteil zu Beraten.

Das man nun eine chronische Erkrankung hat ist etwas, was einem natürlich in der Seele brennt. Man merkt eben doch, dass man nun von jemanden abhängig ist, was eben nicht meine Sache ist. Aber es ändert ja eben nichts daran. Ich versuche es immer noch positiv zu sehen, dass man das Glück hat in einer solch modernen Zeit zu leben. Noch vor wenigen Jahrhunderten wäre es ein sicheres Todesurteil gewesen und noch vor gar nicht so langer Zeit hatte man solch einen Luxus wie „Stechhilfen“ nicht, sondern musste sich anderweitig das Blut aus den Adern holen. Sicherlich am Ende auch nur eine Gewöhnung, aber definitiv unterm Strich unangenehmer.

Mir hat es gezeigt, wieso unser Gesundheitswesen durchaus seine Daseinsberechtigung hat. Während ich seit Jahren wirklich gut und solide eingezahlt habe, bin ich nun vollkommen unerwartet selbst zu einem Empfänger geworden. Ich merke durchaus, dass die daraus resultierenden Kosten für mich immer noch „schmerzhaft“ sein werden und das obwohl ich eine durchaus priviligierte Situation habe. Aber wie ich immer sage: Das beste Invest ist eben in sich selbst – das bezieht sich auch auf die Gesundheit!

Als Neubetroffener kann ich nur sagen, dass zum einen die Fragerei ein wenig nervt. Irgendwie wiederholt man sich doch recht oft. Noch unangenehmer sind allerdings jene Besserwisser, die mit abwertenden Sprüchen sich dazu profilieren wollen. Nein, ich esse nicht zuviel Schokolade... ich gehöre zu den Menschen, die eigentlich nie naschen. Danke für die Zeit...! Wenn ihr einen Betroffenen kennt, schnappt ihn Euch lieber einmal und macht mit ihm einen Spaziergang und unterhaltet Euch nett mit ihm oder ihr. Das hilft nicht nur ihrem Blutzucker und sich wie ein normaler Mensch zu fühlen, sondern ist auch für Euren gut...

Und wenn ihr mal wieder jemanden trifft, der sich mit Nadeln selbst traktiert und Einstichstellen an Hand, Bauch oder Henkel hat, dann denkt nicht gleich an eine Drogenkarriere. ;) Solltet ihr selbst irgendwann einmal betroffen sein, kann ich auch nur den Rat geben Euch offen damit zu befassen und einen guten Arzt zu suchen.

So sehr es einen zunächst aufwühlen und verunsichern mag, ich bin sehr optimistisch, dass man sich damit auf Dauer arrangieren kann! Besser zumindest als der Zustand mit einem hohen Blutzucker, der einen in diesem merkwürdigen Modus versetzt.

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