Poetischer Waldspaziergang (3/3)

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Wenn sich kein Blatt regt.
Dann sind sie unheimlich.
Die Sommerbäume.

Mit diesem Vers schenkt uns der japanische Dichter Yosa Buson (1715-1783) ein klassisches Haiku, eine Gedichtform, die zu Beginn des 18. Jahrhunderts im Land der aufgehenden Sonne entstanden ist. Die in Japan heute noch sehr populären Haikus werden traditionell in drei Zeilen - Entschuldigung: Spalten - verfasst, sie beschreiben die flüchtige Stimmung eines Augenblicks und geben sich der unmittelbaren Sinneswahrnehmung des Verfassers ganz hin. Dabei soll ein Haiku den Leser in den Grundeindruck einer Jahreszeit versetzen. Es gilt als kürzeste Gedichtform der Welt und zeichnet sich im Wesentlichen durch offene Texte aus, die sich erst im Erleben des Lesers vervollständigen.

Ich werde mich ganz bewusst an dieses Erleben heranwagen, kann ich mich doch derzeit nicht konkret daran erinnern, in Norddeutschland einem Sommerbaum ohne sich regende Blätter begegnet zu sein. Der poetische Waldweg im Dersauer Eichholz hat meine Wahrnehmung, mein Empfinden der Schönheit und Einzigartigkeit der Natur noch einmal geschärft. Ich spüre Dankbarkeit, ihn entdeckt und genossen haben zu dürfen.
Nicht nur durch das Teilen der Bilder und Gedichte mit dem werten Leser meiner Beiträge trug der Waldspaziergang Nachwehen in sich: Ich bin auf einige mir unbekannte Dichter gestoßen und war sehr motiviert, über diese mehr zu erfahren, so dass mich das sonntägliche Erlebnis Ende Juli für einige Tage mit Freude beschäftigt hat. Gleichzeitig bedanke ich mich für den teilweise sehr liebevollen Zuspruch in Kommentaren zum ersten und zweiten Teil dieser Mini-Serie, der mich bewogen hat, den eingeschlagenen lyrischen Pfad mit vier weiteren Versen zu vollenden. Die heutigen Gedichte sind etwas herbstlich angehaucht, obwohl wir Anfang August noch gar nicht an die Jahreszeit, in der sich langsam alles Leben zurückzieht, um im Frühjahr mit neuer Kraft zu erblühen, denken mögen. Dafür werden wir abschließend mit eindrucksvoller Liebespoesie des libanesischen Dichters, Malers und Philosophen Khalil Gibrân versöhnt.

Um Mitternacht, wenn Schweigen rings,
beginnt’s durch Waldesräume,
und wo sonst Büsch’ und Bäume stehen,
zu flüstern, rascheln und zu wehn,
denn Zwiegespräch halten die Bäume.

Anastasius Grün 1806-1876

Sommer - entflogener Traum!
Und Frühling - welch sagenhaft fernes Gerücht!
Ein welkes Blatt treibt still im weiten Raum,
und alle wissen: Herbst.

Mascha Kaléko 1907-1975


Verflossen ist das Gold der Tage,
des Abends braun und blaue Farben:
des Hirten sanfte Flöten starben
des Abends blau und braune Farben
verflossen ist das Gold der Tage.

Georg Trakl 1887-1914

Ein Vogel will sich in die Luft erheben,
selbst wenn sein Käfig golden wär.
Ein Fluss gräbt sich seinen Weg ins Meer,
selbst wenn ihn Dämme hindern wollten.
Mein Herz ruft deinen Namen,
selbst wenn du meinen vergessen würdest.

Khalil Gibrân 1883-1931




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06.08.2019


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