Wieso die Welt die Renaissance des Mundsprays gebrauchen kann

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Bringen wir es auf den Punkt: wir küssen einander zu wenig.

Die Sozis haben es noch gemacht mit dem Bruderkuss: Ob Breschnew mit Honecker, Gorbatschow mit Honecker - oder Honecker mit Honecker. Es waren ganze Männer, die ganze Küsse verschenkten. In der Öffentlichkeit, vor den Pionieren oder den Kameras des Klassenfeindes (der hier gerne ranzoomte). Es wurde drauf los geschmatzt: zur Begrüßung, zum Dank einer Rede (davon gab es viele), zum Abschied. Auf die Wange, auf die Stirn, auf die Lippen.

Es wurde geschmatzt bis die Wände des Politbüros wackelten. Die Protokolle über die Treffen des Zentralkomitees lasen sich nur so wie männererotische Weltliteratur. Die Protokolanten mussten derweil alle paar Wochen wegen Erschöpfung ausgewechselt werden.

Was bist heute unterging: der Mundspray, oder wie die Berliner zu sagen pflegen: Mundspree (c) war es, der diese wilde Schmatzereien erst ermöglichte. Er verschafft klaren und guten Atmen, ohne dass man Kaugummi kauend seinem Gegenüber Grimassen schneiden muss; oder sich am Bonbon verschluckend zum Affen macht.

Nein, der Mundspray steckt firm in der Hosentasche, und der geübte Nutzer hat sich seinen Gaumen schon bestäubt, ehe jemand das leise Zischen vernehmen konnte. Einzig den Windzug der vorbeihuschenden Lippen, die schon wieder das tun, was eben nur der Mundspray so ermöglicht, hört man leise.

Stellen wir uns so den morgendlichen Weg zur Arbeit in der überfüllten Bahn vor: wer hätte ihn da nicht gerne zur Hand, um den Nachbarn zur Abwechslung mit einem Hauch schottischer Eiche zu beglücken. Man könnte sogar freundlich fragen, es könnte zu spontanen Bruderbestäubungen unter wildfremden Menschen kommen. Wer muss bei der bloßen Vorstellung nicht schon innerlich mit dem Mund mithauchen?

Bars würden eröffnen, in denen man aus Hunderten von Geschmacksrichtungen sanft einander in den Mund sprayt, und nicht über so Sinnloses wie die Arbeit oder die AfD spricht.

Der Kuss wäre dann auch nur noch zweitrangig...

Quelle Bildmaterial: Bundesarchiv, B 145 Bild-F088809-0038 / Thurn, Joachim F. / CC-BY-SA 3.0 / unbearbeitet

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