Kriminelle Elemente findet man nicht nur im dunklen und kalten Berlin

Sondern jetzt auch überlebensgroß auf der Leinwand.

Dieser Tatsache geschuldet, reserviere ich mir das notwendige Päckchen an Zeit und Motivation, mich mit der Formation ein wenig näher zu befassen, der seit Jahren den Ruf vorauseilt, die bekannteste unbekannte Band im deutschsprachigen Raum zu sein. Nach meiner Auffassung eine absolut blödsinnige Einordnung, da die Band Element of Crime inzwischen jeder kennt, der sich mit guter Musik und ebenso guten Texten auskennt. Und wer sie wahrhaftig nicht kennt, der hat bislang zwar viel verpasst – erhält aber jetzt Erste Hilfe, um Versäumtes nachzuholen.
Wie aus dem Untertitel bereits zu entnehmen, kommt jetzt im Oktober ein Dokumentarfilm in die Kinos, der sich mit Element of Crime beschäftigt und den Titel »Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin« trägt. (Ein Song vom 10. Album - »Schafe, Monster und Mäuse.«) Die Idee für das Projekt und verantwortlich für die Umsetzung als Regisseur ist Charly Hübner.

Er begleitete die Band auf einer einwöchigen Konzerttour durch Berlin, führte viele Gespräche und fügte Material aus der langen Geschichte von Element of Crime ein. Da wird wohl auch einiges zusammen gekommen sein, da es die Formation bereits seit 1985 gibt. Schon damals mit im „kriminellen Milieu“ ist Sven Regener , Gitarrist, Trompeter und poetischer Kopf der Band.
Da mir nichts ferner liegt, als eine Kritik oder gar Lobhudelei auf den Film und die agierenden Protagonisten zu verfassen, verlasse ich nun das Foyer des Kinos und stelle ein paar wenige Lieder vor und verrate, welchen Bezug ich insbesondere zu dem jeweiligen Text habe. Starten möchte ich (wen kann es verwundern?) mit dem, was seit zig Jahren meinen Arbeitsalltag beeinflusst.

Weißes Papier
Sven Regener, der hier humorvoll und gleichzeitig nüchtern den Schlussstrich unter seine verflossene Beziehung vollzieht, möchte das Vergangene löschen und lieber so rein und so dumm sein, wie weißes Papier.

Rein, ja – aber dumm? Da bin ich jedenfalls nicht der Meinung des Autors. Mein Schreibtisch, eine Unterlage und darauf ein Blatt unbeschriebenes Papier. Je länger wir einander anstarren, der Füllhalter sich unablässig zwischen dem Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger dreht, jedoch keinen Tropfen Tinte abgibt, desto angespannter die Atmosphäre. Ich empfinde es nahezu provokant, mit welcher Gelassenheit mir das hell leuchtende, platte Fasergebilde die Fragen entgegenschleudert: „Woran hapert es? Will der erste Satz etwa nicht kommen?“ Es liegt exklusiv an meinen, noch unsortierten Gedanken, die Herausforderung anzunehmen und mit dem ersten gelungenen Satz dem reinen Papier die Unschuld zu rauben. Ein Unterfangen, das keineswegs den Rückschluss zulässt, Papier sei von Anbeginn an dumm und würde erst durch die Bearbeitung von Menschenhand an Dummheit einbüßen.

Ofen aus Glas
Die Kürze oder die Kompaktheit des Liedes sind eigentlich untypisch für Element of Crime, da Sven Regener normalerweise das Thema des Songs auf vielfältige Art und Weise literarisch verarbeitet.

Der „Ofen aus Glas“ ist zwar eine Ausnahme, beinhaltet jedoch all das, was jemandem durch die Gedanken schweifen kann, wenn Sehnsucht, Leidenschaft oder gar die Liebe in den Fokus rückt. Nicht zu fordernd, zu aufdringlich und nervend sein, gleichzeitig vor Sehnsucht kränklich zu werden und trotzdem Zugeständnisse in Aussicht zu stellen. Zu erklären ist das Denken nicht. Kann es auch nie sein, da man sich im Ausnahmezustand befindet. Weil auch ich von solchen Momenten, Gefühlen und Sehnsüchten heimgesucht wurde, gestaltete sich mein Gefühlsausbruch sogar noch erheblich kürzer.

Wieder Zuhause
Tür auf – Tür zu
Ein kalter Windstoß
Direkt in mein Gesicht
Mantel aus
Hektik perfekt
Ein Kuss im Vorbeiflug
Gute Laune im Überfluss
Eben noch Ruhe
Zeit zur Konzentration
Jetzt, von beiden
Keine Spur
Sosehr ich sie genoss
Die Ruhe und die Einsamkeit
So bin ich doch gefangen
Von deiner Wiederkehr

Am Ende denke ich immer nur an dich
Hier läuft Regener prosaisch zur Hochform auf. Vollkommen ruhig und gelassen das Alltagsgeschehen beobachtend, das Wahrgenommene mit Sarkasmus, einem Schuss Dekadenz, genauso viel Humor und kleinbürgerlicher Sachlichkeit bestückend, um der momentan angesagten Herzdame dann, mit einer, beinahe schon lapidaren Anmerkung, fast wie ein belangloser Nebensatz, mitzuteilen, dass sie aus seinen Gedanken nicht mehr wegzudenken ist. Ein Text somit, auf den man getrost neidisch sein kann und gleichzeitig frustriert, dass einem selbst nicht so etwas einfällt. Aber vielleicht auch besser so, da jedes „Nachgeäffte“ (Versuch einer Kopie) gegen das Original nur abschmieren kann.

Das Spannende daran ist die Herangehensweise an das Thema der Prosa. Man erwartet unablässig, er möge uns ein wenig mehr über die Dame erzählen, die den Schlüssel zu seiner Gedankenwelt fest im Griff zu haben scheint. Allerdings scheint der Autor grundsätzlich gegenteiliger Meinung zu sein. Mir floss einst eine vor Sarkasmus triefende Hommage an meine Heimatstadt aus der Feder. Allerdings deutete jede Formulierung im Text darauf hin, als könne sich das Ganze, nach vielen durchlebten Höhen und Tiefen, als eine Liebeserklärung an eine attraktive Dame herausstellen. Erst die beiden letzten Zeilen offenbarten, dass ich die mir als eine kleine Ewigkeit erscheinende, komatöse Lebenssituation und permanente Untätigkeit in jenem Ort zum Kotzen finde. Nach der Veröffentlichung hielt sich der Beifall aus den Kreisen rund um das Rathaus im Bereich des Meeresspiegels.

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