Abschied nehmen von der Einsamkeit im Forschungslabor der aufkeimenden Sexualität

Höchste Zeit, unbekanntes Terrain zu betreten

Er hatte sich zwar seit einiger Zeit angekündigt, doch dann kreuzte er ganz plötzlich auf. Geradezu wie aus dem Nichts – einer dieser zweifelsohne magische Tage im Leben eines sexuell absolut Planlosen. An jenem Tag flogen die Rollschuhe in den Keller, die bunten Glasmurmeln verloren ihren Wert und Schnecken auf der Zunge waren keine Wette mehr wert.

Mit dem Sprießen der ersten Haare am Sack änderte sich schlagartig meine persönliche Interessenlage. Mädchen, die wir vor ein oder zwei Jahren noch mit Wonne gepiesackt hatten, erschienen uns plötzlich wie wahre Wunderwesen. Unglücklicherweise war auf der Penne kein vorzeigbarer Fang zu machen, da Klaus und ich auf einem reinen Knaben-Gymnasium gelandet waren.

Das Resultat waren viele wortreiche Theorien über Frauen, ohne ein einziges Exemplar in greifbarer Nähe zu wissen. Um überhaupt einmal den Duft des weiblichen Geschlechts zu erhaschen, musste die tägliche zwölf-minütige Zugfahrt mit integrierter Tunneldurchfahrt und der elend lange Fußweg vom Bahnhof bis zur Schule ausgiebig genutzt werden.

Wie Klaus es nun angestellt hatte? Ich weiß es bis heute gar nicht mehr genau. Auf jeden Fall stand eines Morgens nicht ausnahmslos mein bester Freund am Bahnsteig neben mir, sondern auch Eva. Und dieser Eva schien das dermaßen gut zu gefallen, dass sie meinen Freund fest an der Hand hielt und ihm sogar gelegentlich einen Kuss auf die Lippen drückte.

Ich muss gestehen, damals tief beeindruckt gewesen zu sein. Nicht von Eva, sondern von meinem Kumpel, der nicht nur als Schnecken-Dompteur enorme Fähigkeiten besaß, sondern ab sofort all das angreifen durfte, wovon ich lediglich Tag und Nacht träumen konnte. Um den Erfahrungsberichten, die mir Klaus ab diesem Moment beinahe täglich lieferte, etwas Gleichwertiges entgegensetzen zu können, stand ich ab dann unter extremen Zugzwang.

Auf dem Weg vom Bahnhof zur Schule, bis zu der Abzweigung, an der sich die Wege von Jungs und Mädchen in Richtung der verschiedensten Lehranstalten trennten, liefen zwar einige ansprechbare Objekte der Begierde vor meinen Augen herum, aber mit dem direkten Kontakt wollte es noch nicht recht klappen.
Eva brachte zwar in die Beziehung mit Klaus eine Freundin ein, die ständig in ihrem Schlepptau hing und dabei furchtbar viel von sich und ihrer Familie erzählte, allerdings ließ sie bedauerlicherweise alle Attribute vermissen, die mir einen Anreiz hätten bieten können, endlich meine Hand an einen weiblichen Körper zu legen.

Doch allzu groß schien mein Frust dann demzufolge nicht gewesen zu sein. Ansonsten hätte ich unter Garantie ihren breiten Hintern, die piepsige Stimme, die Knödel-Waden und was mich überdies hinaus noch abschreckte, ignoriert und die dunkle Sequenz während der Tunneldurchfahrt im Zug zu einer ersten Knutsche-Attacke genutzt. Es überwog letztlich meine Befürchtung, sie könnte einen solchen Zugriff für durchaus angenehm empfinden und, zurück im Tageslicht, zuerst meine Hand schnappen und mich dann als Gesamtpaket durch die Landschaft zerren.

Ich musste, da beinahe alternativlos, unbedingt auf eine dieser Samstagsfeten eingeladen werden, bei denen der Klammerblues ein unverzichtbarer Bestandteil des fortschreitenden Abends war. Die finale Möglichkeit, mich, weil in der Logik durchaus naheliegend, vor der eigenen Haustür umzuschauen, erschien mir eher aussichtslos. Die Schillerstraße, mit ihren paar wenigen Häusern, konnte man zwar nicht als Flaniermeile der heranwachsenden Grazien bezeichnen, allerdings, mit zwei Exemplaren in der Altersgruppe, in der meine Chancen als realistisch eingeschätzt werden konnten, blieb zumindest die theoretische Möglichkeit gegeben.

Wenn ich ehrlich bin, wäre mir für den Anfang Frau Birtel aus Haus Nummer 5 die Begehrenswerteste gewesen. Denn sie war es, die mich in meinen abendlichen Exkursionen durch meine aufblühende erotische Ausflüge auf dem breiten Feld der Fantasie unter der heimischen Bettdecke in aller Regel bis zum Orgasmus begleiten durfte.
Zu meinem großen Leidwesen war Frau Birtel verheiratet, mindestens doppelt so alt wie ich und offensichtlich nicht an einem außerehelichen Techtelmechtel mit mir interessiert. Zumindest hatte dies für jene Zeit seine Geltung. Ansonsten hätte sie mich wohl bei einer, der sich gebotenen Gelegenheiten darauf angesprochen. Beispielsweise, wenn ich an ihrem Haus vorbeischlendere und unverhohlen in den Ausschnitt ihrer Bluse starrte, während sie (zu meinem Leidwesen) einzig dem Vorgarten ihre Aufmerksamkeit schenkte.

Trotz dieser widrigen Umstände war die Lage nicht rundweg hoffnungslos, da sich mir parallel noch diese beiden Alternativen boten. Bloß, wie meist in meinem Leben, stand einem zeitnahen Vollzug zum wiederholten Mal meine Prinzipientreue oder Blödheit, egal wie man es nennen möchte, unüberwindbar im Weg.
Denn Fakt war nun mal, dass durch den Einsatz dieses Kopffilters ich mir gleich zu Beginn das ohnehin übersichtliche Angebot selbst um die Hälfte reduzierte, da ich Petra noch nicht einmal den Zutritt in meine Gedankenwelt zum Aufbau einer Erektion gewährte. Petra ist die Schwester von Peter Pfeiffer, dem trinkfesten Zuchtigel aus dem farbenfrohen Haus Pfeiffer.

Sie besuchte gleichzeitig mit Klaus und mir die Grundschule. Exakt vier Jahre. Lange genug, um es ohne Probleme auf die Liste der Frauen zu schaffen, die während der längsten Tunneldurchfahrt weltweit von mir ungeküsst bleiben.
Nein, nicht, dass da falsche Vorstellungen aufkommen. Petra besaß keinen breiten Hintern, keine Waden, die es zu umschließen, meine beiden Hände nicht ausgereicht hätten und schien auch nicht mit einer grellen Stimme gestraft. Petra, als Gesamtkunstwerk betrachtet, war halt und ist es wohl auch heute noch, unfassbar blöd. Wenn man die Regelmäßigkeit im Verhalten ihres Erzeugers zurückverfolgen würde, darf getrost davon ausgegangen werden, dass Petra im Suff gezeugt wurde.

Vielleicht war das der Grund für ihre ausgeprägte geistige Unterentwicklung? Es kann daher sehr wohl sein, dass das Mädchen bereits Chancen reduziert das Licht der Welt erblickt hatte – ändert leider nichts an den vorherrschenden Tatsachen unter ihrem Dachgebälk. Nicht genug damit, dass sie so dumm war, sie tat dies tatsächlich stets unaufgefordert kund.
Einmal zeigte sie sich in der Schule sehr verwundert über die Tatsache, dass es Mitschüler in ihrer Klasse gab, die sich zwanzig Zahlen auswendig merken konnten, welche dann, an Höchstleistung kaum zu überbieten, obendrein durch 7 teilbar waren.

Für Petra Pfeiffer mit Sicherheit noch heute unbegreiflich, wie ein Mensch solch außerordentliche Fähigkeiten besitzen kann. Mit der Rechtschreibung, wenn sie, was nicht wirklich anzunehmen ist, einen Stift in die Hand nehmen sollte, steht sie unter Garantie noch genauso auf Kriegsfuß wie damals.
Wie sie das Wort aussprach, so wurde es von ihr geschrieben. Zum allgemeinen Leidwesen hatte Petra die Hürde, die zwischen Dialekt und Hochdeutsch aufgestellt wurde, nie überwinden können. Aber es wird voraussichtlich ausreichen, um bei Aldi ihren eigenen Einkaufszettel entziffern zu können.
Bernd Schröder, heute ihr angetrauter Mann, schien das alles noch nie zu stören. Der nahm sie mitsamt ihrer Dummheit sehr früh vom Heiratsmarkt und hinterlässt auf mich keinen unzufriedenen Eindruck, wenn er sonntags mit seiner Petra die Schwiegermutter in der Schillerstraße besucht.

Durch Petras frühe Aussortierung lag meine letzte Hoffnung vollends auf Claudia Müller. Die war zwar ein Jahr jünger als ich, doch rückte dieser Makel situationsbedingt schnell und ganz weit in den Hintergrund. Das weitaus größere Problem war wiederum kopfgesteuert und einer frühkindlichen Indoktrination geschuldet.

Ich machte mir tatsächlich Gedanken darüber, ob es zwischen Claudia und mir ansatzweise funktionieren kann, da sie schließlich katholisch war. Aber sie konnte lesen und rechnen – eben nur auf Katholisch. Außerdem hatte sie einen ziemlich ansehnlichen Vorbau, den sie im Freibad mächtig stolz vor sich hertrug und sah dazu überdurchschnittlich passabel aus. Klaus ging davon aus, dass man für ein paar Turnübungen mit Claudia getrost ein warmes Mittagessen hätte stehen lassen können. Als er mir damals seine subjektive Einschätzung mit dieser Redewendung darlegte, stimmte ich ihm spontan zu. Muss jedoch eingestehen, keinerlei Ahnung gehabt zu haben, was er mir damit veranschaulichen wollte.

Aktuell zu keiner Fete eingeladen, überdies nichts davon gehört zu haben, dass Vergleichbares in meinem Bekanntenkreis in Planung war, blieb mir keine andere Wahl, als selbst was auf die Beine zu stellen.
Da ich ja schlecht bei Familie Müller klingeln konnte und die Tochter, mit der Begründung, es sei an der Zeit, mit mir mal richtig rumzumachen (denn genau dazu gedachte ich die Tochter in den Party-Kellerraum meiner Eltern einladen), war bei mir intensives Nachdenken angesagt.

Schnell kristallisierte sich heraus, die geplante Fete musste unbedingt ein einleuchtendes und unverfängliches Motto aufgeprägt bekommen. Bis zu meinem Geburtstag war es noch ewig hin und die eigenen, alternativen Ideen sprießten spärlich. Somit beste Gründe, den Skandinaviern kurzerhand ihre Sommersonnenwende zu stehlen.

Zwei Tage später warf ich die Einladungskarte zu dem geplanten Event in den Briefkasten am Haus Nummer 11 in der Schillerstraße. Dem Motto entsprechend, bat ich die eingeladenen Gäste möglichst so zu erscheinen, als ginge es geradewegs ins Freibad.
Außerdem hätte ich nichts dagegen einzuwenden, wenn das eine oder andere Getränk beigesteuert werden könnte. Selbstredend dachte ich dabei primär an das Zeug, das mit seinen Volumen-Prozenten an einem raschen Sinken jeglicher Hemmschwellen mitverantwortlich sein kann.
Meine Mutter, die diese Art von Gedanken verwerflich fand, offenbarte mit ihrer Bitte, wenn möglich, ausschließlich alkoholfreies Bier anzubieten, dass ihr in keinerlei Hinsicht bewusst war, in welch schwieriger Lage sich ihr pubertierender Sohn befand.

Bis zum nächsten Donnerstag.

Dann muss es endlich klappen …

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