Global Worming

Liebe Leser,

nein, das ist kein Rechtschreibfehler im Titel, es geht hier nicht nur um Klima, sondern
tatsächlich um die Globalisierung von - Regenwürmern!

20% der Treibhausgasemissonen kommen aus dem Erdboden, kein Wunder, wird dort doch das in Blättern und anderen Pflanzen- und Bodentiermaterial gebundene CO2 freigesetzt, durch Pilze, Bakterien, und eben auch "Makrozersetzern" wie den Regenwürmern, die sich 24/7 durch den Boden fressen und Pflanzen und Mineralien in CO2 und N2O verwandeln (zum Teil mittels Bakterien in ihrem Darm).

Der Name Regenwurm (Lumbricidae, es gibt 670 verschiedene Arten! (1)) stammt aus dem Mittelalter und kommt von "reger", also fleissiger Wurm (weil er ständig arbeitet und frißt). Er hat gar nichts mit Regen zu tun, sondern der Regen kann tödlich für ihn enden. Er hält es zwar durchaus unter Wasser aus, aber die Vibrationen der Regentropfen locken ihn aus dem Boden raus und an die Oberfläche, wo er von einem hungrigen Vogel gefressen oder der UV-Strahlung der Sonne erledigt werden kann (2).

Man schätzt, dass Erde mit Regenwürmern 3x soviel Treibhausgase freisetzt als wurmlose Böden. Das ergab sich zumindest aus einer Metaanalyse aus 2003 (3). Davor war unklar, ob Regenwürmer überhaupt einen positiven oder negativen Effekt auf die athmosphärische CO2-Konzentration haben, da sie auch einen starken strukturellen Effekt auf die Bodenbeschaffenheit und -fauna ausüben, der eine CO2-Abgabe kompensieren könnte. Diese sich möglicherweise gegenseitig aufhebenden Effekte wurden das "Regenwurm-Dilemma" genannt. Aber heute zweifelt keiner mehr an den Regenwürmen als Klima-Übeltäter.

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Quelle

Viele wissen nicht, dass Regenwürmer im Nordern der USA und weiten Teilen Kanadas nicht heimisch (endemisch) sind!. Nach dem Ende der letzten Eiszeit, in der sie alle erforen waren, hatten sie nur im Süden der USA überlebt und sind rätselhafterweise nicht in den Norden zurückgekehrt (anders als in Europa). Erst europäische Einwanderer brachten sie (über Pflanzen mit Erdballen) mit und seitdem breiten sich mehrere Arten von ihnen über den nordamerikanischen Kontinent aus, als invasive Arten. Wo sie einmal Fuß gefasst haben, dort bleiben sie für immer. Wir leben also gerade in einer Zeit der Regenwurmglobalisierung. Beschleunigt wird diese auch durch den Menschen, durch Verbreitung von Regenwurmeiern über Hunde, Schuhsohlen von Wanderern, Reifen von Mountainbikes oder dem Wegwerfen übriggebliebener Regenwurmköder durch Angler. Europäische Regenwürmer sind nämlich in Nordamerika als Köder begehrt und werden dort gerne verkauft (4), invasive Art hin oder her - business geht vor!

Mittlerweile gibt es sogar landesweite Kampagnen und Erziehungsprogramme in den USA, um bestimmte, als besonders aggressiv geltende Arten wie den seit 2013 aufgetretenen asiatischen Springwurm (Amynthas agrestis und Amynthas tokioensis) an der ungehemmten Ausbreitung zu hindern.

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Quelle

Was für mich kurios ist, denn ich bin so aufgewachsen, dass Regenwürmer keine "invaders" sind, sondern gut für den Boden. Aber auch hier gilt: Andere Länder, andere Sitten.

Was stört die Amerikaner so an den europäischen Eindringlingen?
Einige Pflanzenarten wie z.B. bestimmte Orchideenarten werden offenbar in ihrer Ausbreitung durch die Regenwürmer behindert. Was auffällt ist außerdem, dass die oberste Blätterschicht, die in wurmlosen Wälder eine dicke, weiche Schicht bildet, binnen kurzem von den Regenwürmern aufgefressen wird und der Waldboden dadurch quasi "aufgeräumt" wird. Läufern fällt sofort auf, dass Waldboden mit Regenwürmern weniger "fluffig" und federnd ist, sondern fester, eben durch das Fehlen der obersten Schicht. Durch die langen vertikale Gänge von Lumbricus terrestris wird ausserdem befürchtet, dass bei Regenfällen das Wasser statt in der Blätterschicht gehalten zu werden, eher abfliessen und dadurch Nährstoffe ausspülen kann. Viertens setzen, wie eingangs erwähnt, die von Regenwürmer bevölkerten Böden wesentlich mehr CO2 frei. Und zuguterletzt ändert sich die Artenzusammensetzung deutlich. Während in den oberen Bodenschichten die Anzahl der Organismen aller Größenklassen abnimmt, finden manche Lebewesen in tieferen Schichten nun bessere Bedingungen, weil die Regenwürmer organisches Material unter die Oberfläche gezogen haben (4).
Letzlich kann man die verändernde Wirkung auf das Ökosystem noch nicht abschliessend beurteilen, der Prozeß ist ja noch im Gang. Erste Untersuchungen deuteten nicht auf eine gravierend nachteilige Auswirkung zumindest auf die Vegetation hin (5).

Aber nicht nur Nordamerika ist betroffen, sondern auch Australien, Afrika und Südamerika, wo eingeschleppte Regenwurmarten die Ökosysteme verändern. Daher der Begriff "global worming"! Teilweise werden Regenwürmer von eingewanderten Bauern auch absichtlich in die Böden gebracht (4)! Die werden schon ihren Grund haben.

Offenbar ist sich die Menschheit nicht im Klaren, ob Regenwürmer Schädlinge oder Nützlinge sind. Was auch immer am Ende herauskommen wird, für mich werden sie immer nützlich bleiben und ich bin froh, dass der Boden in unserem Garten reichlich Regenwürmer hat!

Quellen:

(1) https://de.wikipedia.org/wiki/Regenw%C3%BCrmer
(2) https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/sonstige-arten/02265.html
(3) https://www.carbonbrief.org/global-worming-are-earthworms-contributing-to-climate-change
(4) https://www.spektrum.de/news/regenwuermer-als-invasive-art-in-nordamerika/1494459
(5) http://de.scienceaq.com/Biologie/1006091367.html

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