Fluch und Segen der eDNA

Liebe Leser,
environmental DNA (kurz eDNA), auf Deutsch Umwelt-DNA, ist flüchtige, extrazelluläre DNA, die von so gut wie allen Organismen ausgeschieden wird (durch z.B. Hautzellen oder Exkremente) und frei in der Luft (oder im Wasser) zirkuliert und noch bis zu 2-3 Wochen nach dem Ausscheiden nachgewiesen werden kann. Natürlich sind das nur kleinste Mengen, aber mit PCR lassen sich ja auch einzelne Moleküle nachweisen (wie wir spätestens seit Corona wissen😟).

Sie wird in letzter Zeit zunehmend verwendet, um aktuelles, aber auch früheres Vorhandensein von Tier- oder Pflanzenarten an bestimmten Orten nachzuweisen. Damit kann man z.B. Biodiversitätsveränderungen bestimmen. Wenn ganze Lebensräume auf diese Weise "biomonitoriert" werden, um den kompletten Artenbestand darzustellen, spricht man auch von "Metabarcoding" (1).

Die Vorteile der eDNA-Analyse gegenüber konventionellen Methoden beim Artenmonitoring liegen auf der Hand, vorausgesetzt, man kennt die DNA der zu untersuchenden Arten (was aber heutzutage oft schon der Fall ist). Es genügt z.B. schon eine kleine Wasserprobe, um in Gewässern diverse Algenarten nachzuweisen. Auch ist damit gleich eine präzise Bestimmung der Art möglich, was bei vielen Tierarten nicht möglich wäre, ohne die Tiere zu fangen (oder gar zu töten) und die Art morphologisch zu bestimmen. Man kann damit auch gefährdete Arten nachweisen (bzw. deren Bestandsveränderungen), oder invasive Arten frühzeitg erkennen (2).

Nachteile: Falschpositive Ergebnisse durch Kontamination der Proben beim Sammeln oder im Labor.

Schön und gut, aber wieso "Fluch"? Reiner Clickbait?

Weil die Technologie auch benutzt werden kann, um menschliche DNA aufzuspüren, und das mit erstaunlicher Effektivität. Denn Menschen scheiden ebenfalls über Hautzellen, Schweiß, Spucke, Blut, etc. DNA aus - genug, um bestimmte Personen zu unterscheiden.
Das fanden Forscher der Universität Florida, Institut für Marinebiologie heraus, die eigentlich auf der Suche nach Meeresschildkröten-DNA waren. Als Zufallsfund fanden sie auch humane DNA und beschlossen, der Sache nachzugehen. Dabei nahmen sie mehrere Wasser- und Sand-Proben (z.B. auch Proben von den Fußabdrücken im Sand von Freiwilligen). Aus der Luft eines Raumes einer Tierklinik, in dem 6 Menschen gearbeitet hatten, nahmen sie ebenfalls Proben. Sie konnten die erhaltenen eDNA-Fragmente den 6 Mitarbeitern, sowie Patientenangehörigen zuordnen (3) und waren generell überrascht über die hohe Qualität der eDNA.

Kennt man den genetischen Fingerabdruck einer Person, kann man aus der eDNA mühelos seine Anwesenheit an einem bestimmten Ort nachweisen (bis 2-3 Wochen nach dessen Aufenthalt, je nachdem wie lange er/sie dort war)! Kennt man ihn nicht, kann man, so laut der in nature publizierten (4) Arbeit zumindest Geschlecht und "genetische Herkunft" (Rasse darf man ja nicht mehr sagen) bestimmen. Etliche Marker für Diabetes, Krebs, Autismus, etc. wurden auch gefunden.

All this very personal, ancestral and health related data is freely available in the environment and is simply floating around in the air right now.”, so einer der beteiligten Forscher.

Daher addressieren die Autoren schon im Titel des Papers die möglichen ethischen Konsequenzen!
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https://www.nature.com/articles/s41559-023-02056-2

Mit der rapiden Entwicklung der DNA-Analyse plus der Auswertung unter Nutzung von AIs ist es nur eine Frage der Zeit, bis Datenschutz und Privatsphäre auf diese Weise weiter ausgehebelt werden. Eine Ortsüberwachung (location tracking) von Individuen oder bestimmter Gruppen scheint jetzt schon theoretisch möglich zu sein. Die Chinesen sind schon einen Schritt weiter, da werden längst systematisch die genetische Daten von Millionen von Uiguren gesammelt (5), vermutlich, um im Falle eines Verbrechens die Täter sofort anhand der zurückgelassenen DNA-Spuren identifizieren zu können, also eine "genetische Überwachung" der Minderheiten. In Österreich werden die Abwässer seit Sep. 2021 gezielt nach Covidvarianten gescreent (sog. "Abwassermonitoring") (6). Werden da schon erste Erfahrungen für andere Anwendungen gesammelt?

Ein Strandspaziergang im Nirgendwo hat seine Unschuld verloren! Zumindest, wenn man auf der Flucht ist. Handys kann man wegwerfen, aber man kann nicht verhindern, seine DNA zu hinterlassen.

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https://www.freepik.com/, geändert

Um jemanden auf diese Weise ausfindig zu machen, wäre aber noch sehr aufwändig und ohne irgendeinen Anhaltspunkt die Suche nach einer Nadel im Heuhaufen. Aber wenn man das Land weiß, kann man gezielt die Abwässer der Städte nach einer Ziel-DNA screenen, und von dort die Suche weiter eingrenzen.

Zwar kann diese Technologie auch sehr nützlich sein z.B. bei der Suche nach Vermissten oder Entführungsopfern, aber sie kann - wie jede Technologie - auch krass missbraucht werden, wenn z.B. Mafiabosse Kronzeugen ausfindig machen wollen, um sie rechtzeitig zum Schweigen zu bringen. Segen und Fluch eben!

Und wie so oft (ob die Kinderpornographie bei der Datenschutz-Erosion, die Terrorismusbekämpfung bei der Cryptoregulierung) werden auch hier wieder irgendwelche Vorwände bei der Verbrechensbekämpfung benutzt werden, um Überwachungstechnologien zu etablieren. So machen es eben die modernen "Demokratien", die in Wirklichkeit gar keine mehr sind...

Was ist Eure Meinung dazu? Würdet Ihr freiwillig (z.B. gegen eine Bratwurst oder ein Netflix-Abo) eine DNA-Probe abgeben, wenn damit "Verbrechen besser aufgeklärt werden" könnten?

Quellen:
(1) https://de.wikipedia.org/wiki/Umwelt-DNA
(2) https://www.usgs.gov/special-topics/water-science-school/science/environmental-dna-edna
(3) https://www.smithsonianmag.com/smart-news/scientists-can-now-pull-human-dna-from-the-air-and-water-raising-privacy-questions-180982192/
(4) https://www.nature.com/articles/s41559-023-02056-2
(5) https://www.hrw.org/news/2017/12/13/china-minority-region-collects-dna-millions
(6) https://abwassermonitoring.at/dashboard/

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