Nachbarschaftshilfe - Das eigentlich Schwierige an der Sache …

… den exakt richtigen Zeitpunkt zu erwischen.

Nach so langer, selbst gewählter Abstinenz von kryptischen Schwankungen, Upvotes und hitzigen Kommentaren, ist es langsam an der Zeit ein paar Überbleibsel aufzuarbeiten, die sich auf dem hügligen Land vor meiner Haustür in jener Zeit so zugetragen haben. Wie einige von euch sich erinnern können, die frühere Episoden mit Interesse verfolgt haben, kann es bei solchen Events verhältnismäßig oft, recht munter und lustig (selbstverständlich mit notwendigen tragischen Untermalung) zugehen – zumindest für den stillen Beobachter.

Der klare Spitzenreiter unter den noch unveröffentlichten Ereignissen im Kaleidoskop der vergangenen zwei Jahre erscheint mir nicht, wie vielleicht allgemein zu erwarten, das Erdbeben im Dezember 2020, welches sich als Epizentrum einen Ort auswählte, der nicht einmal 60 Kilometer von meinem Zuhause entfernt liegt. Da das gesamte Ereignis und die Auswirkungen wenig hergeben, um die Mundwinkel nach oben zu bewegen, wende ich mich lieber einer Windhose zu, die sich während eines Sommersturms haargenau die Route aussuchte, die knapp an meiner Behausung vorbei und dann direkt in das über uns gelegene Dorf führte.

Was denkt der Betroffene in einem solchen Augenblick? Ich darf es euch verraten: Leck mich - auch das noch!

Spät am Abend sich in Begleitung einer Taschenlampe auf einen Kontrollgang zu wagen, schien mir mehr als bescheuert, da es draußen schüttet, was das Zeug hergab. Außerdem stand das Haus noch und das Dach hielt das Versprechen ein, welches der Dachdecker beinahe großmundig vor wenigen Jahren prophezeite - es hielt wahrhaftig die Bude trocken.
Der nächste Morgen legte dann ein Licht auf das, was am Abend zuvor noch eine Allee aus Laubbäumen war. Die heute noch stehenden Bäume könnten aktuell als Halterung für Straßenlaternen genutzt werden. Der ganze Rest, ob Buche, Eiche oder Weißbuche, hatte sich ganz offenkundig zu einer quer liegenden Blockade verabredet.
Wenn man sich für eine Wohngegend entscheidet, wo die Devise nach solchen Naturereignissen lautet – ist das dein Baum, wenn ja, dann schau zu, dass du ihn von der Straße weg bekommst – dann ergibt es keinen Sinn, das Straßenbauamt oder die freiwillige Feuerwehr zu informieren und dort um Hilfe zu bitten. So führte mich meine Intuition hoch ins Dorf, wo ich zwei meiner indirekten Nachbarn beim intensiv geführten Plausch antraf, bei dem es darum ging, wo die Überreste der abgedeckten Dächer entsorgt werden sollten. Die Entscheidung war schnell getroffen. Auf die angrenzenden Waldwege, damit man zukünftig weniger ruckelfrei zu den Feldern fahren kann.
Genau an diesem Punkt konnte ich mein Vorliegen dem stark geschrumpften Gemeinderat vortragen.

„Wie schafft ihr das ganze Zeug überhaupt in den Wald, wenn der Weg dorthin von entwurzelten Bäumen blockiert ist?“ Die Antwort, auf die ich sehnsüchtig gehofft hatte, kam postwendend. „Dann machen wir eben den Weg frei.“ Ich bewundere Menschen, die derart schnell die richtigen Entscheidungen zu treffen wissen. Kaum schien das Problem im Ansatz aus der Welt geschafft, stand das nächste bereits vor der Tür. „Wer hat die beste Kettensäge und wer den stärksten Traktor?“ Diese Frage wagte sich nicht etwa über meine Lippen. Es war vielmehr der Beginn eines internen Diskurses zweier Facharbeiter auf den Gebieten nutzloser Diskussion und Alkoholvernichtung.

Da der Tag sich bereits mit dem Höchststand der Sonne die Krone aufsetzte und mir vollkommen klar war, dass die beiden Experten noch mindestens fünf Abstecher in den Weinkeller und den einen oder anderen Kontrollschluck aus der Schnapsflasche benötigen, um sich auf eine Strategie zu einigen, schlug ich vor, die Aktion Blockaderäumung auf den nächsten Morgen, also kurz nach dem Frühstück, zu verschieben. Es folgte ein gemeinschaftliches Einverständnis und der kleine Ortsrat löste sich auf.

Der nächste Tag begann ohne das typische Tuckern eines Traktormotors und ohne den Duft von Mischbenzin und Kettenöl. Ich, bereits mehr als erfahren mit derartigen Situationen, wandte mich anderen Arbeiten zu und plante längst für den nächsten Morgen. Um exakt 14 Uhr, ich hatte mich gerade am Schreibtisch niedergelassen, bahnte sich der Klang einer kräftigen Stihl Kettensäge seinen Weg bis hin zu meinen Gehörgängen. Nachmittag, Kettensäge und wahrscheinlich auch ein Traktor mit Allradantrieb. Das ließ mich nichts wirklich Gutes erahnen. Kaum an der hölzernen Blockade angelangt, grinsen mich zwei gut gelaunte Artisten mit einem breiten Lächeln an. Bei mir läuten augenblicklich alle Alarmglocken. Frohlockend bei der Arbeit konnte nämlich nur bedeuten, dass das Duo mit Sicherheit bereits mehr getankt hatte, als die Reservoirs von Motorsäge und Traktor überhaupt aufnehmen können.

Wie befürchtet, wich das Grinsen der beiden hilfsbereiten Nachbarn aus ihren Gesichtern, als der erste Stamm mit der Zugmaschine so zur Seite gezogen werden sollte, dass er anschließend problemlos geschnitten und gespaltet werden konnte. Anfänglich wollte und konnte man sich nicht über die einzuschlagende Richtung einigen. Dann behauptete der Kleinere der beiden, es schlicht und einfach besser zu wissen, wie mit der Eisenkette eine richtige Schlinge um den Stamm gelegt wird. Worauf der Kollege ihm verriet, dass er nichts anderes als ein Dummschwätzer und Arschloch sei, denn schließlich sei er der ausgebildete Metzger. In diesem Moment schickte ich all meine vorher noch aktiven Sinne in Quarantäne und versuchte die Logik aus dieser Aussage herauszufiltern. Vergeblich! Vielleicht bin ich auch zu doof?

Keine fünf Minuten später eskalierte die Situation an der Tatsache, dass der Traktor auf dem tiefen, feuchten Untergrund nicht den Halt aufbringen konnte, um den riesigen Stamm quer auf den Weg zu ziehen. Anstatt den Baumstamm einfach zu halbieren oder gleich auf Meter-Stücke zu sägen, galt die volle Konzentration der gegenseitigen Beleidigung. Als dann das Repertoire an Schimpfwörtern Leerstand anzeigte, setzte sich der Eigentümer des Traktors auf sein Vehikel, ließ die Eisenkette aus der Anhängervorrichtung plumpsen und düste ohne weitere Beleidigungen in Richtung seinem Elternhaus. Das brachte den Alleingelassenen so in Rage, dass er es seinem Nachbarn gleichtat und den Weg zu Mama suchte, wo er die Füße (wie seit sechzig Jahren) unter den gedeckten Tisch strecken konnte.

So stand ich dann da. Zu meinen Füßen eine Eisenkette, eine Spaltaxt, Kettenöl, ein Kanister mit Benzin-Öl-Gemisch und einer Kettensäge. Die Aufräumarbeiten konnten beginnen. Doch ein undefinierbares Gefühl trieb mich dann doch noch hoch ins Dorf. Möglicherweise nur um, mich davon zu überzeugen, dass die beiden Kampfhähne längst wieder Seite an Seite im Weinkeller sitzen.
Doch mich erwartete ein ganz anderes Bild. Der Herr über Traktor und Abschlepputensil hatte ganz offensichtlich die Einfahrt zum Hof leicht verfehlt. Der Traktor, der Fahrer – wer soll das in dem ganzen Durcheinander noch ausmachen können – hatte sich jedenfalls dazu entschlossen, den nachmittäglichen Ausflug an der Hauswand zu beenden.

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