Die Rosen von Los Angeles - Eine Geschichte über das Gesetz der Anziehung

DSCN0582.JPG

Ich liebe Rosen.
Sie begegnen mir oft in meinem bunten Alltag. Und immer auch auf meinen Reisen.
Als ich im Februar 2011 zum ersten Mal in meinem Leben L.A. besuche, tue ich dies mittels Amtrak, eines schweren Zuges, der aus San Diego kommend ächzend und pfeifend ein gutes Stück an der pazifischen Küste zurücklegt.
Ich befand mich auf einer dreimonatigen Reise durch die USA, hatte Städte an der Ost- und Westküste bereist und auch eine Woche auf Maui verbracht. Es war eine großartige Zeit mit Höhen und Tiefen, wie sie jeder kennt, der alleine unterwegs ist.
Nun war ich zurück auf dem Festland, und es blieben wenige Tage, ehe es in Etappen zurück nach Europa ging.

In Los Angeles verbringe ich zwei Tage.
Gabi, die mir Gastgeberin in New York war, hatte mir ein Quartier in der Stadt der Engel organisiert. Eines bei Bogdana, ihrer Freundin. Sie lebt gemeinsam mit ihrem Mann George in einer hübschen und hellen Wohnung in den Hollywood Foothills.
An jenem 18. Februar komme ich mit Verspätung und ausgehungert in L.A. an. Ich erstehe eine Bretzel und begebe mich mit schwerem Gepäck zur U-Bahn. Wenige Menschen wählen dieselbe Richtung. Im Waggon spüre ich, wie Fahrgäste mich beobachten. Mein Gefühl sagt mir, dass Essen im Zug nicht erlaubt ist. Tatsächlich bestätigt es mir ein Fahrgast. Bevor er aus dem Waggon steigt, wirft er mir einen freundlichen Gruß zu.
Ich bin froh, an der richtigen Adresse anzukommen, und freue mich über den herzlichen Empfang in Bogdanas Bleibe. Sie sagt mir, am Abend seien Freunde zu einer Party geladen. Ich bin gern ein Teil davon. Zehn Leute sorgen für eine gute Stimmung bis Mitternacht.
Das also war mein Auftakt in L.A.

Am nächsten Morgen habe ich Gelegenheit, meine beiden Gastgeber besser kennen zu lernen. Bei einer Tasse Tee auf dem gemütlichen Sofa im Salon plaudern wir über Gott und die Welt und gelangen zum Thema der Gewalt in Los Angeles. George, der hier groß geworden ist, warnt mich vor den Gefahren. Er erläutert den traurigen Umstand von Verbrechen, die in manchen Teilen der Stadt vorherrschen, und fügt hinzu, wie gefährlich es sei, sich nicht an die Regeln zu halten. U-Bahn-Fahren sei nicht die sicherste Methode der Fortbewegung. Er und Bogdana würden dieses Verkehrsmittel nur in Notfällen benützen.
Ich lausche und reagiere mit “Wenn und Aber”. Das Gespräch nimmt mehr und mehr einen metaphysischen Charakter an, und ohne es beabsichtigt zu haben, rede ich plötzlich über das Gesetz der Anziehung.
Ich leugne sie nicht, die Realität von Gewalt. Nicht in dieser Stadt und nicht in dieser Welt. Aber ich bin überzeugt, dass wir mit unseren Gedanken und Gefühlen Einfluss darauf haben, wie die Realität, die wir erschaffen wollen, aussieht.

Ich gebe George zu verstehen, dass ich mich beschützt fühle auf meinen Reisen und dass ich lerne, meiner inneren Stimme zu vertrauen. Sie führt mich auf sicheren Wegen und ermutigt mich, an einer friedlichen Welt mitzugestalten. Außerdem habe ich auf meinen Reisen erlebt, dass ein respektvoller Umgang mit Menschen in verschiedenen Kulturen zu wunderbaren Erfahrungen führt. Und so hatte ich beschlossen, meinen Fokus auf das Schöne, Edle und Gute im Menschen zu legen.
George kann diesen Gedanken wenig abgewinnen, und mir liegt nicht daran, ihn zu überzeugen. Doch an diesem Abend hält L.A. ein außergewöhnliches Erlebnis bereit, das meine Anschauung bildhaft belegen soll.

Bogdana schlägt vor, gemeinsam den Hollywood Boulevard zu besuchen. George zieht es vor, das Haus zu hüten.
Es ist längst dunkel, als wir aufbrechen, und unaufhörlich prasselt der Regen auf die Dächer und Straßen der Stadt.
Von meiner Lebensauffassung inspiriert, meint Bogdana, wir könnten die U-Bahn nehmen.

Wir befinden uns längst auf dem Bahnsteig, als sich uns ein elegant gekleideter Herr mittleren Alters nähert. In seinen Händen hält er ein Bouquet mit Rosen. Ehe ich es mich versehe, zückt er eine Blume und überreicht sie mir mit einem Lächeln. Ich fühle mich geschmeichelt. Er wählt eine zweite und gibt sie Bogdana. Sie wirkt verlegen und möchte schon bezahlen, als der charmante Herr erwidert, es sei ein Geschenk. Wir haben kaum Gelegenheit, uns zu bedanken, als er ein weiteres Mal in den Blumenstrauß greift und noch zwei wunderbare Rosen auswählt. Wir werden abermals beschenkt.
Ich bin gerührt angesichts dieses Wunders im Untergrund der Stadt der Engel und bitte den Herrn, ein Foto von uns beiden mit den vier Rosen zu knipsen, so wertvoll scheint mir dieser Moment. Rasch kommt er meiner Bitte nach und entschwindet in den Zug, der soeben laut quietschend gebremst und seine Türen geöffnet hat. Bogdana sieht mich verwirrt aus ihren runden Augen an, und ich muss lächeln.

DSCN3756.JPG

Unsere U-Bahn kommt wenig später. Mit den romantischen Blumen in Händen steigen wir ein und sehen uns nach zwei freien Sitzplätzen um, als sich ein aufmerksamer Teenager erhebt und fragt, ob wir uns setzen möchten. Dankend nehme ich an, während Bogdana mich aufs Neue entgeistert ansieht.

Einige Stationen später verlassen wir den Waggon, amüsiert über das Geschenk einer außergwöhnlichen Begegnung. Mit der Rolltreppe fahren wir nach oben und gelangen in eine riesige Halle. An der einen Wand kauert ein junger, obdachloser Mann. Er spricht uns an und bettelt um Geld. Ich erwidere: I don’t have money, but I have a rose for you! und strecke ihm eine Rose entgegen. Gerührt blickt er zu mir auf und bemerkt in engelhaftem Ton: You are lovely!
In diesem Moment kommt ein verwaister Mann von der anderen Seite der Halle angelaufen. Er dürfte die Szene beobachtet haben und ruft lauthals: I also want a rose! Ich gehe daran, ihm meine zweite Rose zu schenken, als Bogdana mich zurückhält und meint, nun wäre sie an der Reihe. Sie gibt dem Obdachlosen die Rose, erntet ein Lächeln und schüttelt den Kopf angesichts der Dynamik, die die Blumen ausgelöst hatten.

Glücklich treten wir mit den verbliebenen Rosen hinaus auf den Hollywood Boulevard. Noch immer regnet es, und wir halten den Spaziergang kurz.
Zurück in der Wohnung zeigen wir George unsere Schätze und erzählen, was uns widerfahren ist. Er schmunzelt und hat verstanden.
Besser hätte das Gesetz der Anziehung an diesem Abend nicht wirken können.

Frühmorgens verabschiede ich mich von meinen freundlichen Gastgebern. Die Rose begleitet mich zum Flughafen.
Am Gate nehme ich eine Weile Platz, halte die Blume vorsichtig in Händen und warte auf die Maschine nach New York.
Eine junge Dame sitzt mir gegenüber. Sie scheint unglücklich. Tränen rollen ihr über die Wangen. Ich frage sie, ob ich ihr die Rose schenken dürfe. Sie nickt und nimmt sie lächelnd entgegen.
Kurz erzählt sie mir von einer wundervollen Begegnung mit einem Mann und einer schmerzhaften Trennung in dieser Stadt.
Dann werden wir zum Boarding gerufen und wünschen einander einen guten Flug.

Vier Stunden später landen wir in New York. Während ich auf mein Gepäck warte, entsteht ein Gespräch mit zwei älteren Damen. Sie stellen sich als Sue und Brendon vor und erzählen von einer bevorstehenden Reise nach Indien.
In diesem Moment kommt Zoe, die junge Frau mit der Rose auf mich zu und drückt mir dankbar lächelnd einen Kuss auf die Wange.
Brendon und Sue hatten mitbekommen, dass die Rose eine wichtige Rolle in unserer Begegnung gespielt haben muss, und also erzähle ich den beiden die dazugehörgige Geschichte.
Als ich an deren Ende, nämlich in der Halle der Gepäckübernahme in New York ankomme, sagt Brandon ganz gerührt: This is the best rose story I have ever heard.

Zurück in Europa erzähle ich die Geschichte viele Male. Meine Zuhörer sind stets bewegt.
Die Geschichte belegt wie keine andere die Kraft und Kreativität des wohl wichtigsten universellen Gesetzes, nämlich des der Anziehung.
Was man aussendet, kommt zurück.

Doch die Geschichte hat eine Fortsetzung. Sie hatte auf den Spätsommer 2013 gewartet. Ich bekam Besuch von meiner Freundin Steffi aus Deutschland. Wir kennen uns seit zehn Jahren und haben viele Freuden und Leiden geteilt.
Während dieser Tage entdeckte ich eine neue Seite meiner Freundin. Im Café Landtmann in Wien saßen wir einander gegenüber und ich fragte beiläufig, ob ich die Rosengeschichte aus L.A. jemals erzählt hatte. Sie verneinte.
Steffi ist die vielleicht aufmerksamste Zuhörerin, die ich kenne. Kein Wort entgeht ihr, und Jahre später schafft sie es noch immer, mich zu zitieren. An diesem Nachmittag und in den wenigen Minuten, während ich von den Rosen erzählte, vom Glück des Empfangens und Gebens, rollten Tränen über ihre Wangen. Ganz still. Eine schönere Anteilnahme mag es für diese Geschichte nicht geben.

Die Rosengeschichte verlangt danach, erzählt zu werden.
Ich hatte sie im Herbst darauf nach Frankreich mitgenommen. Ein lieber Freund hatte aufmerksam zugehört und mir wenig später mitgeteilt, wie er die Geschichte einer Frau erzählt hatte, die in ihrer Traurigkeit gefangen war. Sie wollte sich die Essenz des Erzählten merken und wählte eine Rose als Symbol für die Geschenke des Lebens.
Einen Tag später wurde sie mit drei weißen Rosen beschenkt …

IMG_1113.JPG

H2
H3
H4
3 columns
2 columns
1 column
Join the conversation now
Logo
Center