Von Hitler, Maos Geschwistern und der Schufa

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Über Hitler kann man einiges sagen. Glaubt man allerdings seinen Zeitgenossen, fällt definitiv auf, dass er wohl ein ziemliches Charisma gehabt haben muss auf seine Umgebung. Wo auch immer er eine Rede gehalten hat, waren die Leute anschließend ganz aus dem Häusschen. Und ja, er war ja auch stets bemüht sich bei der Goulasch-Kanone zusammem mit den einfachen Leuten abzulichten lassen. So als nationaler Sozialist muss man sich eben entsprechend volksnah zeigen.

Es ist also kaum verwunderlich, dass so viele Menschen ihm damals blindlings in den Untergang gefolgt sind und die Welt ins Chaos gestürzt hat. Eigentlich hätte es an sehr vielen Stellen Menschen geben müssen, die gesagt haben, dass man sich auf eine Geisterfahrt befindet und dringend auf die Notbremse drücken sollte. Es tat aber kaum jemand und so konnte der Wahnsinn an Fahrt aufnehmen.

Dabei muss man ihm zu gute halten, dass er scheinbar sein Handwerk verstand und sehr gut in der Lage war den normalen Menschen zu verführen. Und dies war für sein Regime auch besonders wichtig, denn um das Unrecht über die Welt zu bringen, musste er eben auch viele Leute hinter sich stehen haben. Denn die Unterdrückung von Andersdenkenden funktioniert nur dann, wenn es eben einen entsprechend starken Druck von außen gibt.

Dabei reagieren die meisten Menschen eher mit Ablehnung, wenn man sie gegen jemand anderen anstiften. Wer in der Fussgängerzone zu jemand Fremden sagt: Gehe mal da rüber und schlage den da drüben! Wird vermutlich einen verwunderten Blick ernten und keine Gefolgschaft. Man muss es eben schon ein wenig geschickter machen, damit so etwas wirklich funktioniert. Und es ist definitiv eine Leistung dies bei Millionen zu schaffen. Dies muss man auch einmal anerkennen können, selbst wenn man überhaupt nicht mit ihm sonst in irgendeinerweise ideologisch zustimmt.

Jemanden zu lenken ohne das er merkt, dass er gelenkt wird, ist dabei eine sehr hohe Kunst der Verführung und wird auch heute noch sehr gerne für Führungskräfte unterrichtet. Denn man kann solche Mechanismen durchaus ja auch für friedliche und gute Zwecke einsetzen. Der eine hat ein Händchen dafür, der andere nicht. Nichts desto trotz muss man sich bewusst machen, dass solche Manipulation sobald sie erkannt wird meist auf sehr starke Ablehnung und Widerstand stößt.

Nur wenige Jahre später schrieb George Orwell sein berüchtigtes Werk 1984. Technologisch sind wir bereits weit hinter dem, was sich ein George Orwell damals für die Zukunft vorhergesagt hat. Televisoren waren jene sprechende und beobachtende Fernsehrgeräte, die die unterdrückten Bürger in ihren Wohnungen genau im Auge behielten.

Orwell hat vermutlich durchaus in seiner gewohnten Weise analyisiert und verstanden, warum ein Hitler so erfolgreich war. Wäre er einfach nur als Redner in einem Bräuhaus aufgetreten, hätten die meisten Zeitgenossen ihn vermutlich ausgelacht. Er schafft es aber seinen Hass so zu formulieren, dass er sich hinter einer größeren Sache versteckte. Zig wirre Ideen, die er als Ideal hochhielt und schon fast mit religiösen Zügen an das Volk brachte.

Genau dies beschreibt Orwell in seinem Werk eben mit dem „Der große Bruder sieht alles“. Er ist keine konkrete Person, kein Führer, eher etwas abstraktes, dass allgegenwertig ist. Man trifft ihn nicht auf der Straße beim Einkaufen oder eben vor einer Goulasch-Kanone in Mitte des Volkes. Er ist eine Form von Gott, die moralische Maßstäbe repräsentiert und durch wenige Worte und Pseudo-Weisheiten in seinen Bürgern etwas auslösen, dass dazu führt, dass sie sich wie ein pawlowscher Hund verhalten.

Dies ist besonders geschickt dadurch, dass es für den einzelnen wesentlich schwieriger wird jemanden konkret anzugreifen. Ist etwas nicht mehr abstrakt zu greifen, kann man es auch nicht attackieren. Gelingt es dem Verführer also sich hinter einer solchen Maske zu verstecken, ist es für ihn wesentlich sicherer und schwerer zu durchschauen.

Am Ende hat Hitlers Regime und die düstere Dystrophie eines gemeinsam. Es werden immer noch willige und loyale Helfer benötigt, die die eigentliche Unterdrückung gegen Andersdenkende aufbauen. Orwell nannte diese Vorgang „vaporisieren“, weil irgendwann einfach die Nachtbaren verschwanden und nicht mehr wieder auftauchten. Ein Naiver hätte es in Hitlerdeutschland vermutlich ähnlich beschreiben können.

Trotzdem ist das Regime über seine Helfer leicht zu identifizieren und schafft es nicht zwischenmenschliche Beziehungen zu brechen. Während in einem solchen System ein größerer Widerstand effektiv niedergeschlagen werden kann, können einzelne Verschwörer sich durchaus noch organisieren und widerstand leisten.

Wir schreiben das Jahr 2020 und es gibt immer noch Menschen in diesem Land, die noch nichts mit den Begriffen „Social Scoring“ etwas anfangen können. Lediglich ein paar Leute haben in den letzten Jahren immer wieder Berichte darüber gehört und entsetzt aufgeschriehen. Die Idee dahinter kommt vielleicht einigen noch bekannt vor, die bei Netflix eine Episode von Black Mirror angesehen haben, wobei die dortige Variante noch fast eher komisch ist als wirklich eine Dystrophie.

Die Idee von Social Score ist einfach. Jeder Mensch bekommt eine Punktezahl. Für gutes Verhalten gibt es Punkte, für schlechte Punkte gibt es Abzüge. Damit das System richtig funktioniert, müssen diese Punkte einsehbar sein. Dies ist z.B. sehr gut Möglich in einer digitalen Blockchain in der dies genau festgeschrieben wird. Leicht zu verifizieren, schwer zu ändern.

Als Regime braucht man nun nur noch Regeln aufzustellen. Wer eine gewisse Punktzahl unterschreitet, der bekommt nicht mehr so leicht eine Wohnung. Der hat Probleme in einem Laden einzukaufen, weil einige Güter für ihn nicht mehr so günstig oder in den gewollten Mengen gekauft werden kann. Behaltet dies gut für später in Erinnerung!

Wer also als Dissident eingestuft wird, erfährt damit in seinem Leben eine ganze Reihe von Einschränkungen, die ihm das Leben entsprechend schwerer machen. Er muss also um das gleiche zu leisten, wesentlich mehr aufbringen als jemand der einfach der Partei alles nach dem Mund redet. Na und weil die meisten Menschen eher faul sind...

Da man nun jeden Menschen genau bewerten kann, ist es über „soziale Medien“ sehr leicht auch Beziehungen zwischen diesen Menschen herzustellen. Die meisten Menschen geben darüber ja gerne Auskunft über ihren Freundeskreis... man hat ja nichts zu verbergen. Aber selbst dann, wenn man nicht durch Facebook und Co gesegnet ist, kann man ein solches Mapping sehr leicht an Hand von erfassten Metadaten machen.

Z.B. wenn man im Rahmen einer Seuchenprävention einfach Zugriff darauf bekommt, wer sich zu welchem Zeitpunkt am gleichen Ort aufgehalten hat. Nun trifft man sich regelmäßig immer wieder und zwei sind am gleichen Ort, könnten diese in einer Beziehung miteinander stehen. Und auch die Metadaten sind anderweitig sehr nützlich. Ruft jemand jede Woche bei jemanden an, könnte es vielleicht eine Liebschaft oder ein Familienmitglied sein. Es Bedarf keiner hohen Kunst um aus den Metadaten solche Informationen heraus zu lesen.

Nun braucht man nur noch eine Regel aufstellen, dass Leute die sich mit Menschen niedriger Punkte herumtreiben, automatisch diese auf andere abfärbt. Wer also nur Freunde mit wenigen Punkten hat, bekommt selbst weniger Punkte. Immerhin wird man ja auch durch diese beinflusst und teilt sich vielleicht Ideen. Geht der ganze Freundeskreis immer über rot, dann werden es andere vielleicht auch tun.

Sehr schön wurde dies auch im Roman „Quality Land“ von Marc-Uwe Kling in humorvollerweise durch den Kaokao gezogen. Leichte Kost um sich dem Thema zu näheren, aber eigentlich eine vollkommen unwitzige Sache, wenn wir uns die Verführer der Vergangenheit näher ansehen.

Denn ein Regime kann sich hinter einem Satz von einfachen Regeln verstecken, die einzelnd jeder für nachvollziehbar hält. Geht jemand ständig bei rot über die Straße und sagt von sich, dass er dies nie getan hat... na, wer kann das schon so genau kontrollieren. Man kennt ja zig fälle in denen es zutreffend gewesen ist. Wer wenig Punkte hat, wird sich diese wohl auch sauer verdient haben.

Gleichzeitig sorgt man dafür, dass vielleicht Geschäfte oder Freunde sich langsam von einem abwenden. Man will ja nicht, dass man selbst in den Verdacht gerät zuviel mit solchen Leuten zu tun haben. Man wird langsam sozial isoliert und alleine schon daher mächtig unter Druck gesetzt. Nur geschieht dies nicht mehr von dem Regime (das nur die Regeln definiert), sondern vielmehr von der Gesellschaft als Ganzes.

Und jeder von uns der sich bereits einmal gegen die Gesellschaft gestellt hat, weiß ja sicherlich, wie diskussionsbereit und geduldige diese üblicherweise so ist. Die meisten sachlichen Diskussionen finden natürlich eben nur im großen Stil statt. Wer Sarkasmus findet, darf diesen gerne behalten ;)

Tatsächlich tun wir uns hier sehr schwer über diese Sache vernünftig zu reden. Schlichtweg weil vielen das technologische Verständnis dahinter vollkommen fehlt. Äh, Blockchain? Dezentral? Ich höre immer noch Leute, die sagen, dass man niemals all diese Informationen zentral erfassen könnte. „Da würden ja die Server zusammenbrechen!“. Nun, wenigstens vom Hive-Nutzer kann ich erwarten, dass er ein anderes Bild davon hat, was mit dieser Technologie möglich ist.

Dabei gibt es auch hier durchaus von einigen Verplanten noch Beifall für ein solches System. Man muss ja auch Recht und Ordnung aufrecht erhalten! Wer ständig gegen die bestehende Ordnung agitiert, der muss entsprechend auch mit den Konsequenzen leben! Besonders erschreckend dabei, dass man Befürworter, sowohl im linken als auch im rechten Lager finden kann.

Während ich mir ziemlich sicher bin, dass sowohl der große Bruder als auch Hitler bei Gedanken an einem solchen System der Sabber aus dem Mund gelaufen wären und beide sehr fix dabei gewesen wären sich bereits die ersten Regeln auszudenken, wann jemand zum Unterme... pardon... unkooperativen Bürger deklariert wird, sind wir in einer modernen und demokratischen Gesellschaft ja gegen ein solch absurdes Social Scoring immun!

Immerhin baut unsere Ordnung auf Recht und Freiheit auf und es wäre vollkommen unterdenkbar, dass wir die Macht darüber, wer was kaufen kann in die Hand einiger weniger Menschen legen. Am Ende noch in einer nicht staatlichen Hand, die nicht demokratisch kontrolliert wird. Eine solche Vorstellung erscheint den meisten Menschen immer sehr absurd. Dabei sollte man sich vor Augen führen, dass unsere Verführer vielleicht auch einfach nur ein wenig geschickter vorgehen.

Kennst Du die Schufa? Eine nicht-staatliche, private Unternehmung, die Daten über uns erfasst. Selbst dann, wenn wir dies eigentlich gar nicht wollen und es gegen unsere informelle Selbstbestimmung verstößt. Wie die genauen Regeln sind und woher sie die Daten eigentlich haben (pro tip: Schaut mal wer die Anteile daran hält und PSD2 noch eingeführt hat...), legen sie nicht offen. Es ist also oft nicht klar, welches Verhalten überhaupt zu einem Punktabzug bei einem geführt hat.

Nun gut! Die Schufa stellt ja nur sicher, dass die Geldgeschäfte vernünftig getätigt werden. In einem Land wie China wäre das vermutlich kein besonders tiefer Einschnitt in die persönlichen Rechte. In einem kapitalistischen Land kann dies aber durchaus sehr schnell existenziell werden, wenn man einen Kredit nicht mehr bekommt oder der Händler sich weigert eine Bestellung auszuführen, weil die eigene Bonität nicht gut genug war.

Er handelt dabei natürlich vollkommen egoistisch! Denn niemand will natürlich Waren an jemanden liefern, der anschließend die Zecke prellt und einem im Regen stehen lässt. Oder der Vermieter, der damit rechnen muss einen Mieter zu erwischen, der danach gar nicht zahlen kann. Doch wie genau diese Bonität zustande kommt, wird weder überwacht, noch dokumentiert. Und ein solches System könnte man durchaus als „Willkür“ bezeichnen.

Während hier einige Leute immer noch über die Chinesen und ihrem Social Score lachen, haben wir ein solches System bereits seit längerem eingeführt und nutzen dieses in einer Selbstverständlichkeit, dass es kaum noch von jemanden hinterfragt wird. Natürlich kann man nun argumentieren, dass dies ja nur den Geldverkehr betrifft.

Aber ein Kriterium das einfließt ist u.a. der Wohnort. Lebt man in einer armen Region, muss ja auch die eigene Bonität schlechter sein. Und einige Versicherer fangen durchaus schon mit GPS Tracking an, um besondere Anreize zu schaffen. Wer ständig zu schnell fährt oder auf Strecken fährt, die als gefährlich gelten, muss halt mit höheren Prämien rechnen.

Dabei lässt sich unser System langfristig sicherlich auch noch ein wenig pimpen. Technologisch sind uns die Chinesen definitiv voraus, nicht aber von der eigentlichen Idee. Ein undemokratisches, intransparentes Kontrollsystem zu erschaffen mit denen man Menschen gesellschaftlich ausgrenzen kann, die sich nicht Systemkonform verhalten.

Wer allerdings nicht direkt in Erscheinung tritt, kann auch nur schwer bekämpft werden. So kenne ich persönlich einen Arzt, der trotz eines übigen Jahreseinkommens jenseits der 100k€ sehr lange Zeit damit verbrachte heraus zu finden, wieso er eine Tankkarte nicht bekam. Seine Bonität war schlecht, weil es einen Mappingfehler über den Namen gegeben hat.

Denn bei solchen Fällen offenbart sich das ware Problem solcher Systeme. Es erwischt immer auch wieder mal die Falschen. Egal, ob bei uns über schlampige Arbeit oder dem chinesischen Autofahrer bei dem ein Computer das kratzen am Kopf als Handynutzung einstufte. Trägt man erst einmal das entsprechende Zeichen, ist es nicht mehr sehr einfach gegen ein solches System vorzugehen.

Selbst dann wenn es nicht für Unterdrückung und Willkür eingesetzt wird, so ist es immer noch ein perfekter Nährboden für einen Unrechtstaat. Denn fakt ist, dass der nächste Hitler, großer Bruder oder Mao sich sehr freuen werden, wenn sie erst begreifen, was für ein mächtiges Instrument man ihnen da an die Hand gegeben hat. Das ihnen erlaubt eine Gesellschaft zu kontrollieren in dem man die Gesellschaft dazu bringt untereinander Kontrolle zu üben, während sie die Regeln im Hintergrund vor einer allmächtigen Fassade herbei spinnen können.

Vielleicht sollte man sich ja doch ein wenig an einer gesellschaftlichen Diskussion über ein staatliches Kryptogeld beteiligen. Dies wird zweifelsfrei die nächste große Sache sein. Wer dann immer noch nicht verstanden hat, was da auf ihn zukommt, der wird es erst merken, wenn es vollkommen zu spät ist ;)

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