Morituri te salutant

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Vor einigen Wochen ging es mir nicht besonders gut. Eigentlich ging es mir sogar so schlecht, dass ich mit Schmerzen an einem Sonntag in eine Notfallpraxis ging. Die Ärzte machte ihre Untersuchung, stellte eine Unregelmäßigkeit fest und diagnostizierte ein Karziom. Eigentlich gehöre ich zu den Menschen, die nicht so leicht aus der Ruhe zu kriegen sind.

Ich nahm diese Diagnose zur Kenntnis und weiß noch, dass mein erster Gedanke dazu war: „Na toll, dass nun auch noch!“ Der Gedanke, dass man sterben könnte ist etwas, dass mich nicht besonders befremdet. Einer der Vorteile, wenn man primär Atheist ist und man seinen Frieden ohnehin geschlossen hat. Viel mehr traf es mich eher, weil es wieder viele alte Wunden aufgerissen hat und man ja durchaus Menschen mit der Diagnose bereits „begleiten“ durfte. Etwas bei dem sich mir auch nur beim Gedanken bereits der Magen umdrehte.

Besonders da ich stets immer sehr schockiert gewesen bin mit welcher Akzeptanz diese Menschen in ihren letzten Tagen noch leben konnte. Als Angehöriger hatte man stets das Gefühl, dass man eigentlich von dem Erkrankten hochgehalten wurde und beruhigt wurde. Mich machte dies oft sehr sauer, weil man eben helfen wollte und es noch konnte. Ja, genau diese Hilflosigkeit war schlichtweg das schlimmste. Man wollte etwas tun und konnte es nicht und in all seiner Hilflosigkeit musste man sich nun noch von jemanden helfen lassen, der eigentlich Hilfe brauchte.

Mir wurde schlecht bei dem Gedanken, dass ich in einer solchen Situation kommen würde. Ich wäre definitiv nicht in der Lage gewesen dies zu leisten. So wenig wie Angst vor dem Tod habe, umso mehr ängstigt mich der Gedanke daran jemanden in dieser Welt zurück zu lassen und nicht mehr da zu sein.

Ich fürchte all solche Gedankengänge sind den meisten Menschen fremd, die sie bisher nie erlebt haben dürfen. Klar, schaffen viele es empathisch nachzuvollziehen, dass es nicht leicht ist. Das es kein angenehmer Prozess ist. Aber diese Ambivalenz und Gefühle. Die Kombination aus Wut und Trauer und Hilflosigkeit, muss man erlebt haben.

Allerdings habe ich stets Vorsorge getroffen und habe sowohl Patientenverfügung als auch Testament stets aktuell geregelt vorliegen. Wer dort berücksichtigt ist, soll es einfach haben und entsprechend bin ich davon beseelt gewesen, alles was irgendwie möglich ist, bereits zu berücksichtigen und vorzubereiten. Ein großer Vorteil, wenn man unerwartet in eine solche Situation kommt. Auf der anderen Seite aber eben auch zermürbend, wenn man nur dasitzt und eigentlich bereits alles erledigt hat.

Die Übung der inneren Achtsamkeit hilft dabei nur begrenzt weiter. Man horcht in den Schmerz hinein und stellt sich die Frage, ob sich so ein Karziom anfühlt. Es fühlt sich nicht anderes an als der bisherige Schmerz. Es ist nicht anders. Ich bin ein wenig enttäuscht. Ich würde gerne das Gefühl beschreiben können, damit jemand anderes es vielleicht eher spüren kann. Aber so in differenziert, dies lässt sich nicht mit Worten beschreiben.

Ein Entschluss fasse ich allerdings sofort. Ich werde absolut niemanden etwas über eine solche Diagnose sagen. Es wäre fair, wenn die Leute es wissen, damit sie vielleicht Abschied nehmen können oder sich in irgend einer Form darauf einstellen können. Nichts trifft einen mehr als der unerwartete Tod von jemanden. Auf der anderen Seite wer ohnehin auf Distanz ist, wird dies auch in Zukunft bleiben und das Letzte, dass ich möchte ist irgend einer Form von Heuchelei. Das beschämt dann beide Seiten nur.

Ich selbst zähle zu den starken Befürwortern von Sterbehilfe, da ich sie selbst definitiv in Anspruch nehmen möchte, wenn ich merke, dass es zu Ende geht und das ganze Leben nur noch Elend bereit hält. Man soll mich gefälligst so in Erinnerung behalten wie ich bin und nicht wie man auf seinem letzten Weg sein würde, wenn man um alles ringen muss. Nein, dann würde ich eher selbst Hand an mir anlegen wollen. Es erzürnt mich, dass wir immer noch über solche Dinge in der Gesellschaft diskutieren müssen.

Als Zyniker freut es mich immer wieder, wenn man Menschen auch einmal massiv vor dem Kopf stoßen kann. Auf den meisten Beerdigungen läuft wirklich schreckliche Musik. Ich würde vermutlich „Wolfsheim – Kein zurück“ abspielen lassen, weil es eigentlich sehr viele wichtige Dinge zusammen fasst, was wirklich wichtig im Leben ist. Wenn ich irgend jemanden wirklich etwas mitgeben müsste, wäre es vermutlich genau dies.

Glücklicherweise leben wir in einem „modernen“ Land und entgegen der meisten Kritik werden solche Diagnosen ernst genommen. So erhielt ich bereits am nächsten Tag einen Termin beim Fachmann, der kurz schweigend die Diagnose zur Kenntnis nahm, still seine Untersuchung durchführte und sich bei mir für die Kollegin entschuldigt. Es handelt sich keineswegs um ein Karziom und er könne auch nicht nachvollziehen, wie man überhaupt eine solche Diagnose stellen könnte.

Seine Prognose war da wesentlich optimistischer. Vielleicht werde eine kleinere Operation notwendig, er würde allerdings gerne noch etwas abwarten, da es sich vielleicht auch wieder von alleine gibt. Ich war fast ein wenig enttäuscht darüber, dass ich mir nur einen ganzen Tag Gedanken machen musste. Eigentlich müsste man schon fast sauer auf die Ärztin sein, die eine solche Diagnose gestellt hat. Nicht auszudenken, was da hätte alles passieren können, wenn es ein Familienvater bekommen hätte oder jemand, der mit dem Thema noch nicht so vertraut gewesen ist.

Trotzdem bin ich nicht sauer auf sie. Klar, in Corona-Zeiten mag niemand gerne in irgend einer Form beim Arzt sein. Aber am Ende ist es oft eben auch mal wichtig in seinem Leben ein wenig inne zu halten und sich mit den Themen zu befassen, die einem eigentlich unangenehm sind. Es gibt sie und es ist nicht leicht sich damit zu befassen. Trotzdem muss man es am Ende eben tun.

Wer ein Leben lang sich der Illusion hingibt unsterblich zu sein, wird irgendwann ein furchtbar böses Erwachen haben. Oder zumindest seinen Angehörigen ein Trümmerfeld hinterlassen. Denn nicht ohne Grund hätte ich eben für die Beerdigung eben genau diesen Song gewählt:

„Dein Leben dreht sich nur im Kreis, so voll von weggeworfener Zeit. Deine Träume schiebst Du endlos vor Dir her. Du willst noch Leben irgendwann, doch wenn nicht heute, wann denn dann? Denn irgendwann ist auch ein Traum zu lange her!“

Ob nun mit Diagnose oder ohne. Wer von uns ist wirklich frei davon sich nicht darin wieder zu finden. Man steckt Hals über Kopf so tief in der Arbeit. Noch ein wenig mehr, etwas weiter. Man muss halt auch mal zurück stecken, danach wird alles irgendwie besser. „Ausbildungsjahre sind keine Herrenjahre!“. All diese Dinge bei denen man nicht mehr in der Gegenwart lebt und immer nur Dinge in die Zukunft verschiebt. So wenig wie dies Finanziell sind machen mag, so sehr macht es dies, wenn es um das Leben selbst geht.

So verschieben wir unsere Träume und Wünsche immer weiter in die Zukunft bis zu dem Punkt an dem wir zu schwach werden in eben diesem Kreis zu laufen. Und ist man erst einmal weit genug unten angekommen, dann hilft auch kein Traum mehr, da er so sehr verblasst. Akzeptiert man seine eigene Vergänglichkeit, geht dies unweigerlich damit einher, dass man sich sehr unangenehme Fragen stellen muss.

Was bedeutet einem wirklich etwas im Leben? Womit verbringe ich gerne meine Zeit und was ist eigentlich total bedeutungslos und hilft mir nur dabei noch etwas weiter im Rad zu laufen? Ja, wären wir wirklich unsterblich, wäre jeder von uns mit Leichtigkeit Milliardär. Sind wir aber nicht und deswegen müssen wir soviele unangenehme Kompromisse eingehen. Das sie unangenehm sind, erkennt man daran, dass so wenige sich damit befassen. Lasse sie trotzdem von Zeit zu Zeit zu, da Du auf diese Weise sehr viel über Dich lernen kann.

In diesem Sinne: Morituri te salutant! Denn alles was entsteht, ist wert, dass es zu Grunde geht ;)

Und all meine Gedanken sind stets bei jenen, die nicht soviel Glück hatten wie ich. Krebs ist die wahre moderne Geißel der Menschheit und es ist eine Schande wie wenig wir dagegen tun und mit was für einer wahnsinnigen Scheiße wir uns in dieser Welt statt dessen befassen. Ich habe noch eine Rechnung offen mit ihm und werde wohl mal wieder in Pharmabereich investieren müssen...

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