Singen für Extremisten

Ich bin unter eine Horde von Verrückten geraten. Sitzen da in einer ausrangierten Kapelle um ein leeres Quadrat herum, wedeln mit den Armen und singen christliche Lieder mit Texten, die im wesentlichen den Tod und das erhoffte Leben danach verherrlichen. Dabei sind die meisten hier so wie ich wenigstens Agnostiker. Atheisten gar.

Ich bin seit sieben Jahren Jahren Teil einer internationalen musikalischen Gemeinschaft, deren europäische Mitglieder sich oft scherzhaft als "Sekte" bezeichnen. Und manchmal den leisen Verdacht haben, wirklich eine zu sein. Aber keine Angst, wir wollen nicht euer Geld, und den Kontakt zur Familie dürft ihr auch behalten! ;-)

Für mich hat das alles vor etwa sieben Jahren angefangen mit einem Blick in Youtube, genauer in den Trailer eines Dokumentarfilms mit dem Titel “Awake, My Soul”.

Diese Musik schockte mich sofort, packte mich sozusagen im Innersten. Ich neige eigentlich nicht zu Pathos. Ich bin ein eher unemotionaler Mensch. Aber dieser Sound!

Inzwischen singe ich jeden Donnerstag mit einer langsam aber stetig wachsenden Gruppe in Bremen diese wunderbare Musik; wann immer möglich (viel zu selten!) fahre ich zu Singings, bei denen sich Sänger aus aller Welt treffen und zusammen einen Sound erzeugen, der uns alle zusammen wegreißt wie ein Tsunami mit freundlichen Absichten. Zurück in Bremen bei meiner kleinen Gruppe muss ich mich wieder mühsam an den dünneren Klang gewöhnen, aber immer wieder bin ich dann doch begeistert von dieser Gruppe von Menschen mit den unterschiedlichsten musikalischen Hintergründen, vom Berufsgeiger bis zu den “ich kann nicht singen, aber ich wollte schon immer in einen Chor!”- Sängern.

Musiker und musikalische Laien, vielleicht sogar wirklich unmusikalische Sänger in einem Chor, geht das?

Wahrscheinlich nicht. Aber wir sind kein Chor. Wir singen laut, “on top of our voices” (das führt zu einer Ausschüttung von Endorphin und Oxytocin, behaupten Neurowissenschaftler), und ohne lange an der Gestaltung zu feilen. Das heißt nicht, dass uns die Schönheit der Lieder unwichtig wäre, aber Sacred Harp wird nicht geübt. Sacred Harp wird gesungen!

Ich kann mir selbst nicht erklären, was mich an dieser Musik so fesselt. Ich habe viele Jahre in einem Chor gesungen; auch das war sehr schön und hat mein Leben ungemein bereichert, aber Sacred Harp scheint eine andere Dimension des Musikerlebens zu sein. Das zeigt sich übrigens auch in dem Phänomen, dass es in Bremen kaum Leute zu geben scheint, die Sacred Harp “ganz schön” finden. Es gibt die vollständig Begeisterten und diejenigen, die sehr schnell die Flucht ergreifen!

Diese Musik ist im Wesentlichen pentatonisch aufgebaut, was offenbar in jeder Kultur weltweit verstanden wird. Vielleicht ist das etwas archaisches, das an den richtigen Stellen im Hirn andockt? Dazu Bobby McFerrin:

Falls jemand neugierig geworden ist - hier gibt es mehr Information:
http://www.sacredharpbremen.org/

H2
H3
H4
3 columns
2 columns
1 column
Join the conversation now