Wenn sie nur wüssten ...
Halb eins. Ich komme langsam an meine Grenzen. Alles kotzt mich an. Die Gesichter, die Wörter, die aus diesen Gesichtern plumpsen, die glasigen Augen, die verschmierten Lippen. Mir ist es nach einem Blues. Ich suche nach John Lee Hooker und ändere doch radikal meine Meinung. Monsieur ‚le métèque‘, Sie müssen mich jetzt retten! Komm George, entführe mich. Was schaut ihr jetzt so verdutzt? Passt euch die Musik nicht mehr? Es ist zu spät für die Wünsche der Gäste. Ab jetzt wird es autoritär.
Das fette Schwein, das schon seit drei Stunden auf diese Frau einsabbelt, die genau so kaputt aussieht, wie es wohl auch in ihr aussieht, wirft mir einen giftigen Blick zu. Ich kann mir gut vorstellen, wie er mit seinen plumpen Patschhändchen nach weiblichem Fleisch giert. Warum gerade hier? Hoffentlich bezahlt er endlich und befreit mich von diesem ekelhaften Anblick. Ein Glas fällt um. - Und zerbricht. Kein Entschuldigen und kein Bedauern. Wenigstens wurde die Hose gut durchnässt und frisch gestärkt. Ganz hinten schreit einer „Äh“ oder „Häh“. Ich bin es, wer auch sonst, der gemeint ist. Auf dem Weg zu ihm bekomme ich mit, wie der Fette seine Finger unter den Rock der Frau zu schieben versucht. In der Toilette kotzt sich jemand die Galle raus. Ich frage den „Äh“, was er will. Dasselbe wie immer. Selbstverständlich ohne Bitte und Danke - aber dafür mit hopp, hopp. Ich nehme mir fest vor, ihm beim nächsten Mal ins Bierglas zu rotzen.Den ganzen Tag ziehen sie kilometerlange Karriere-Schleimspuren, haben ihren Kopf in irgendeinem warmen Arsch stecken - aber wehe, wehe wenn der Feierabend kommt. Dann soll ich die Hure spielen, denn sie glauben wirklich, sie könnten mich so billig kaufen.
Eine Frau, so um die vierzig, am ersten Tisch unterhält sich schon seit einer Stunde mit sich selbst. Momentan scheint sie die wehmütige Phase des Heulens erreicht zu haben. Gott, oh Gott, das kann ja noch heiter werden. Der Laden muss sich nur etwas leeren. Dann werde ich eingebunden in das Leid! Ich bin mir sicher! Es ist immer das Gleiche. Dann erfahre ich, weshalb er sie verlassen hat und werde dann um Rat gebeten. Egal was ich dann beizusteuern habe, es spielt keine Rolle. Hauptsache es ist jemand da und es hört jemand zu.
Georges Moustaki hat seine Gitarre eingepackt. Was jetzt? Vielleicht mache ich gar keine Musik mehr. Aber das geht gar nicht. Dann muss ich nämlich das ganze Geschnatter pur ertragen. Donovan kommt überhaupt nicht infrage. Dann ist Karaoke für Arme angesagt. Denn ganz schlimm wird es, wenn im Gast der Sänger erwacht. Colter Wall, der richtige Mann zur richtigen Zeit. Ich hätte Lust, einen Joint zu rauchen. Doch jetzt, wo ich so schlecht drauf bin - besser nicht!
Der Fette will endlich bezahlen. Hoffentlich hat er seine Hand aus der Frau, bevor ich am Tisch bin. Die Frau ist jetzt schon so betrunken, dass sie kaum noch richtig stehen kann. Der Typ ist garantiert noch ekelhafter, als ich es mir jetzt vorstellen will. Der Volldepp schreit schon wieder „Äh“. Ich sehe davon ab, ihm ins Glas zu spucken und deute ihm an, dass er jetzt besser bezahlt und geht.
Mir reicht es.
Ein Uhr. Ich drehe den Lautstärkenregler auf null, stelle die CDs zurück in das Regal und kassiere alle ab.
Die Frau am ersten Tisch greift mich am Hemd und zieht mich zu sich runter. Sie will noch einen Whiskey - einen doppelten, den aller, Allerletzten.
Sie tut mir leid.
Ich gebe nach.
Wir sind allein.
Hoffentlich verlässt mich nicht mein Verstand!?