So, als könnte sie meine Gedanken lesen

Traum oder Wirklichkeit?



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Durch die Gardinen drängeln sich die ersten vorwitzigen Sonnenstrahlen in das Zimmer auf Station 7 des städtischen Krankenhauses. Schräg über den Tisch hinweg, wo sie das muntere Spiel einer übermütig tollenden Horde Staubkörner beleuchten. Weiter strahlt das wärmende Licht über meine Bettdecke bis hin zum Wandschrank. So teilt es den Raum, ähnlich einer Barriere, in fast exakt zwei gleiche Hälften. Am liebsten spränge ich jetzt aus dem Bett, das Fenster weit aufreißen, damit ich der Welt entgegen schreien kann, wie ich den soeben beginnenden Morgen genieße.

Ein in dieser Form spontan aus dem Bauch heraus bekundetes Bekenntnis durfte ich vor ein paar Jahren, es ereignete sich an einem frühen Sonntagmorgen in den Straßen Londons, live und in Farbe miterleben. Ich schlenderte, von einer Party kommend, gedankenverloren, überraschend wenig Müdigkeit spürend, durch die Gassen von Earls Court, als die Tür eines Clubs sich mit einem kräftigen Schwung öffnete. Mitsamt einem Schwall stickiger Luft von drinnen spülte es eine junge Frau die drei oder vier Stufen hinab auf den Asphalt. Mitten hinein, in die frische Morgenluft. Da stand sie nun, beide Arme Richtung Himmel gestreckt, dazu lauthals verkündend: „Hello world, I love you!“ Wenn das keine perfekte Begrüßung an den erwachenden Tag ist, dann kenne ich mich auch nicht mehr aus. Sei es drum, genau so, wie diese Frau damals, fühle ich mich jetzt.

Das Klopfen an der Tür ist nicht zu überhören. Instinktiv ziehe ich die Bettdecke etwas höher, als suche ich vor etwas Schutz. Schutz vor der Unwissenheit, vor dem, was da jetzt kommen mag. Ärzte bzw. Krankenschwestern, das habe ich bereits bemerkt, klopfen nie an. Für diese Menschen scheint ein Krankenzimmer ein öffentlicher Raum zu sein, den sie betreten und verlassen können, ohne jemandem eine Erklärung schuldig zu sein. Womöglich ein Besucher? Aber für die ist es faktisch noch viel zu früh.
Fast geräuschlos, mit einem zauberhaften Lächeln auf den Lippen, betritt sie mein Zimmer. Die Tür passt sich in ihrem Verhalten der neu entstandenen Konstellation an und fällt vergleichsweise sanft, fast lautlos ins Schloss. Die Sonnenstrahlen verlieren schlagartig ihr Interesse an dem langweiligen Wandschrank. Auch den unzähmbaren Staubkörnern. Längst haben sie ihren Fokus auf die attraktive Frau gerichtet. Das Licht umhüllt, quasi als Begrüßung, wie ein federleichtes Seidentuch ihren Körper. Es verleiht ihr den Glanz, den ich sonst nur von der sich öffnenden Blüte einer Rose am frühen Morgen kenne. Ein schlichtweg phantastisches Bild. Eine Momentaufnahme, einfach nur zum Genießen. Ein Lächeln, dazu ein angedeutetes Nicken, entkrampfen die Situation. Nein, nicht die Sachlage. Jedoch bei mir kehrt langsam Entspannung ein. Meine Bettdecke gleitet wieder leicht nach unten. Ich beobachte, wie sie den Spiegel von Zahnpasta-Spritzern, danach den Tisch von Rändern übergelaufener Gläser befreit. Im Gegensatz zu mir, scheinen die Sonnenstrahlen jegliche Zurückhaltung verloren zu haben. Sie schlüpfen ohne Pardon frech durch die Fasern des blütenweißen Kittels. Dieses Schauspiel der Natur belegt nicht nur den Körper mit einer angenehmen Wärme, sondern eröffnet mir die einzigartige Gelegenheit die Konturen ihrer Figur zu bewundern. Meine Gedanken nehmen sich ein Beispiel an den Sonnenstrahlen. Sie werden zügellos und beginnen sie vorsichtig zu entkleiden.
Die kleinen, perlmuttartigen Knöpfe des Kittels scheinen plötzlich verschwunden. Meine Imagination hat sie in Nichts aufgelöst. Andächtig verfolge ich den Weg des Stoffes, der sich langsam über ihre Schultern schiebt und in Zeitlupe zu Boden gleitet. Der Slip, mehr eine Offenbarung als eine Verpackung, treibt meine ausufernde Phantasie von einem Salto vorwärts in eine eingesprungene Pirouette. Der weiche Teppich aus dunkel gekräuselten Haaren, der verlockend am oberen Rand deiner Schenkel aus dem Slip drängelt, lässt mein Blut rascher zirkulieren. Dies bringt meine Gedanken so richtig in Schwung. Ich nehme diese Einladung gerne an. Unbekümmert lasse mich auf dem Teppich nieder. Zur Begrüßung berühre ich ihn zärtlich mit den Lippen. Vorwitzige Härchen zwängen sich auch oben aus dem Bund des Höschens. Wie ein schmaler Pfad, der sich beinahe bis zum Nabel erstreckt. Die Knospen ihrer Brüste strecken sich gierig dem Sonnenlicht entgegen. Anfänglich eher schüchtern umwandere ich sie, um sie in ihrem Spiel mit der Sonne nur ja nicht zu stören. Wenn ich von hier die Landschaft dieses Körpers betrachte, bin ich mir wieder ganz und gar sicher, dass es den Jemanden geben muss. Ein begnadeter Künstler, der die Natur in die Richtung zu beeinflussen weiß, damit etwas derart Wunderbares dabei entsteht.

Noch einmal gleite ich hinunter auf den Teppich zu den Schenkeln, die sich leicht für mich geöffnet haben. Nun möchte ich nur noch versinken. Eintauchen an der Stelle, von der ich schon die ganze Zeit geträumt habe. Fast gierig schlürfe ich den betörenden Most, den sie dort für mich bereithält. Ich betrinke mich, bis ich taumelnd vor Glück und völlig erschöpft auf mein Bett niedersinke.
Die Gardinen sind weit aufgerissen. Die Sonne scheint mir voll ins Gesicht und zwingt mich zu blinzeln. Ich kann beobachten, wie sie den Putzlappen auswringt, das Staubtuch im Kittel verschwinden lässt und mit einem verschmitzten Lächeln das Zimmer verlässt. So, als könnte sie meine Gedanken lesen.

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