Flugzeugträger Liaoning: Gamechanger in Pazifik?

Repost vom März 2012
Die Chinesen waren deutlich schneller als erwartet, die grundsätzlichen Aussagen bleiben jedoch gültig.

Im August 2011 legte unter großer Aufmerksamkeit der Weltpresse der, in sowjetischer Zeit als Varyag bekannte, erste chinesische Flugzeugträger zu ersten Erprobungsfahrt unter eigener Kraft ab.

Dieses neue Zeichen militärischer Weiterentwicklung machte im Besonderen militärisch ansonsten wenig Interessierten den Eindruck, China verfüge nun ebenfalls über eines der Mittel, welches die USN so stark macht. Tatsächlich ist die Liaoning weit weniger beeindruckend als es erscheinen mag.

Das Schiff, welches schon vor über 25 Jahren in der Sowjetunion auf Kiel gelegt wurde, wurde nun also endlich soweit fertig gestellt, so dass es zumindest schon einmal unter eigener Kraft in See stechen kann. Dabei wird allerdings noch viel Wasser den Huang He herabfließen, bevor das Schiff auch nur annähernd als einsatzbereit bezeichnet werden kann. Von einer effektiven Verwendung des Schiffes einmal ganz zu schweigen.

Noch lange nicht einsatzfähig

Die Gründe für die erst in einigen Jahren denkbare Einsatzfähigkeit sind sowohl technisch wie auch von der PLN selbst abhängig.
Technisch muss zunächst einmal sicher gestellt werden, dass das Schiff überhaupt allen Anforderungen entspricht. Bei hochentwickeltem Militärgerät ist das Vorhandensein von Kinderkrankheiten die Regel. Auch ist noch völlig unklar, wieweit das Schiff bislang überhaupt ausgerüstet ist. Es ist also gut möglich, dass beispielsweise der Hangar noch überhaupt nicht mit den für einen Flugbetrieb notwendigen Einrichtungen versehen ist.
Auch muss eine insbesondere bei einem Typschiff, und anhand der eigenen Umbauten ist das Schiff für China ein Prototyp, erst eine lange Qualifikationsphase erfolgen, bei der alles nur Denkbare an Bord im Detail getestet wird. Auch wenn Medien eine beispielsweise am Eurofighter zunächst nicht freigegebene Nutzung einzelner Waffensysteme als Kinderkrankheiten darstellt, so ist doch im Besonderen in Friedenszeiten vor der Einführung eines neuen Waffensystems eine umfängliche Erprobung unumgänglich und Standard.

Ist der Schritt getan und das Schiff vollständig ausgerüstet, so fehlt nach wie vor das, was einem Flugzeugträger überhaupt erst seine Schlagkraft gibt: Die Flugzeuge!

Flugzeuge und Piloten fehlen

Aktuell existieren die Flugzeuge für den Flugzeugträger noch überhaupt nicht. Es gibt kein für den Einsatz auf Flugzeugträgern zugelassenes Flugzeug in China, erst recht keines, welches eine dem 21. Jahrhundert angemessene Leistungsfähigkeit vorweisen kann.
Nach Gerüchten soll die Liaoning, so soll sie der Einfachheit halber genannt werden, mit einer chinesischen Version der SU-33, der Shenyang J-15, bestückt werden. Diese Flugzeuge befinden sich aber noch Jahre von einer Serienfertigung entfernt. Bei der zu erwartenden Kleinserie wird die Fertigung auch von nur zwei Dutzend Flugzeugen dabei bis zu einem Jahrzehnt dauern können. Stehen sie endlich in ausreichender Zahl zur Verfügung, so fehlen die Piloten.

Starts und Landungen auf einem Flugzeugträger gehören jedoch zu den anspruchsvollsten Fertigkeiten eines Piloten. Von Operationen bei schlechtem Wetter und bei Nacht einmal ganz zu schweigen.

Das entsprechende Training der Piloten dauert Jahre, die nötigen Fluglehrer erfordern noch einmal eine ganz eigene Tiefe in der Ausbildung. Menschliche Verluste sind dabei kaum zu vermeiden und für einen notwendigen Pilotenpool muss im Normalfall auch mehr als das absolute Minimum ausgebildet werden.

Selbst wenn es stimmt dass chinesische Piloten seit 2009 auf dem brasilianischen Flugzeugträger NAe Sao Paulo trainieren dürfen, so konnten bestenfalls einzelne Fluglehrer zu einer Trägerqualifikation gebracht werden. Diese alleine reicht jedoch nicht, da man auch mit dem passenden Flugzeug üben muss, welches wie oben erwähnt noch einige Jahre lang überhaupt nicht verfügbar sein dürfte. Laut Gerüchten wird die frühestmögliche Serienfertigung der J-15 nicht vor 2015 beginnen, das vollständige Geschwader wird wohl frühestens 2020 überhaupt physisch vorhanden sein. Eine Einsatzbereitschaft des Bordgeschwaders ist also kaum vor 2020 zu erwarten.

Vom Admiral zum Mechaniker, alles fehlt.

Damit die Liaoning auch tatsächlich die Schlagkraft entfalten kann, zu der sie theoretisch in der Lage wäre, müssen viele Dinge stimmen. Neben guten Kampfflugzeugen gehören dazu auch eine eigens entwickelte Flugzeugträger-Doktrin, speziell ausgebildete Soldaten in allen Bereichen des Flugzeugträgers, passende Begleitschiffe und zum Führen von Flugzeugen und Flugzeugträgerkampfgruppen ausgebildeten Offiziere.

Selbst mit brasilianischer Unterstützung kann China unmöglich in kurzer Zeit die notwendigen Dinge für einen wirklich effektiven Einsatz seines Flugzeugträgers erlangen. Ein gut ausgebildeter Admiral ist nutzlos, wenn er sich sein Leben lang auf den Einsatz von Ubooten und Raketenschnellbooten vorbereitet hat, da die Einsatzparameter eines Flugzeugträgers sich fundamental von dem Einsatz normaler Über- oder Unterwasserstreitkräfte unterscheidet. Selbst wenn chinesischen Offizieren die Teilnahme an Lehrgängen anderer Nationen mit Flugzeugträgern ermöglicht wurde, worüber es bislang keine Hinweise zu geben scheint, so muss die Durchführung, Koordination und Führung einer entsprechenden Kampfgruppe doch erprobt und eingeübt sein. Gerade wenn China keinen Partner findet der bei der Entwicklung der notwendigen Kenntnisse hilft, dürfte die tatsächliche Effizienz deutlich niedriger als nötig liegen. Im Gegensatz zu fast allen anderen Nationen mit Flugzeugträgern gibt es eben keine Erfahrungen auf diesem Gebiet. Dies ist ebenfalls in diesem Jahrzehnt kaum noch zu erreichen.
Dies führt direkt zur Frage der Doktrin. Ein Militär richtet sich nach einer Doktrin, also einer Lehre der Einsatzart aus. Diese Bestimmt die prinzipielle Vorgehensweise seiner Streitkräfte., vor allem das „wie?“. Die Entwicklung und das Einhalten einer Doktrin ist dabei essentiell, da der Sinn darin besteht, dass alle Teile eines Militärapparats auf einander eingespielt sind. Auch im Stress und Chaos eines Kampfeinsatzes soll so ermöglicht werden, die erforderlichen Handlungen automatisch durchführen können. Eine solche Doktrin muss jedoch erst entwickelt werden, und dazu dann aber auch noch effektiv sein! Andere Nationen haben hier bis zu 90 Jahre Erfahrungen machen können, und die Doktrin in vielen Kampfeinsätzen auf im Ernstfall erproben müssen. Dies gibt Länden wie den USA, Großbritannien und Frankreich, aber auch Indien und in gewisser Hinsicht sicherlich auch Japan einen gewaltigen Wissensvorsprung.

Auch die Besatzung an Bord des Flugzeugträgers muss speziell für diesen Einsatz ausgebildet und eingeübt sein. Das Betreuen eines Bordgeschwaders an Starrflügelflugzeugen ist etwas deutlich anderes als das Warten eines Flugzeuges an Land. Schon vermeintlich harmlose Dinge wie nur das Parken von Flugzeugen im Hangar wird zu einer Herausforderung, ist doch auf einmal der vorhandene Platz bestmöglich zu nutzen. Beim Tanken und Munitionieren steht die Hangarcrew gleichfalls vor Problemen, die an Land unbekannt sind. An Land kennt man weder die Enge, noch einen möglicherweise stark schwankenden Untergrund.

Drängende Enge und die Notwendigkeit zwischen und unter Flugzeugen schweres Abwurfgerät und Ersatzteile zu transportieren sind nichts, was man über Nacht einübt. Hilfreich dürfte hier jedoch das Mockup sein, welches schon vor einiger Zeit an Land errichtet wurde.

Der Flugzeugträger muss im Einsatz dann auch von passenden Schiffen begleitet werden. Hier kann ein Stück weit improvisiert werden, an sich sollten die Schiffe jedoch zum Flugzeugträger passen. Das heißt Reichweite, Seeausdauer, Marsch- und Höchstgeschwindigkeit müssen genauso passen, wie die Bewaffnung den Flugzeugträger sinnvoll ergänzen und beschützen muss. Entsprechend muss also eine starke ASW-Fähigkeit neben effektiver und weitreichender Luftabwehr mitgeführt werden.
Dieses Problem sollte bis 2020 oder 2025 allerdings lösbar sein, zumal China bereits kürzlich mit seinen Operationen auch im Indischen Ozean Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Versorgungsschiffen sammeln konnte.

Was ist der tatsächliche Nutzen einer einsatzbereiten Liaoning?

Ist der Flugzeugträger endlich einsatzbereit, und sind alle Probleme gelöst, stellt sich die Frage, welchen Einfluss er überhaupt auf das Machtgefüge haben wird. Mit einem Bordgeschwader von wohl maximal 25 Hubschraubern und 25 Kampfflugzeugen ist der Träger größer als die europäischen Skijump-Carrier, wie HMS Illustrious, Giuseppe Garibaldi, Principe de Asturias oder die thailändische Chakri Naruebet.

Gesetzt den Fall dass obige Probleme zeitnah gelöst wurden, ist die Schlagkraft nur eines Flugzeugträgers jedoch überschaubar. Im Prinzip handelt es sich dabei ja nur um einen mobilen Flugplatz begrenzter Größe, der noch dazu versenkt werden kann und regelmäßigen Wartungszyklen unterliegt. Die Schlagkraft der Flugzeugträgerkampfgruppe wird gegenüber Brunei oder den Philippinen im Streit um die Spratley-Inseln mehr als ausreichend sein, doch sein Drohpotential ist schon vielen Mittelstaaten mit passabler Luftwaffe nicht mehr ausreichend, sofern diese ihre Macht auch mittels naher Flugplätze oder Betankungsfähigkeiten projezieren kann. Eine wie auch immer geartete Kanonenbootpolitik vor der Küste eines Staates an einem anderen Ende der Welt dürfte also relativ unwahrscheinlich sein.

Insofern wird Rotchina seine Einflusssphäre damit nur unweit ausdehnen können. Weit größer dürfte der Nutzen allerdings im Hinblick auf die Zukunft sein.

Wichtig für künftige chinesische Flugzeugträger

Auch wenn sich der tatsächliche militärische Nutzen als Plattform zur Machtprojektion in Grenzen halten dürfte, so sind die gemachten Erfahrungen und die damit erzielbaren Verbesserungen an der eigenen Militärdoktrin doch von großem Nutzen. Dank der Liaoning ist eine tatsächlich effektive chinesische Flugzeugträgerstreitmacht kein Ding der Unmöglichkeit mehr, sondern vermutlich in etwa zwei bis drei Jahrzehnten Realität.
So wenig, wie Auto nämlich Auto bedeutet, ist ein Flugzeugträger ein Flugzeugträger. Zur Veranschaulichung dieses Satzes sei dem Leser ein Vergleich zwischen einem BMW M6 und einem Dacia Sandero vor Augen geführt. Beide sind Autos, und beide bringen den Fahrer von A nach B. Allerdings gibt es doch eklatante Unterschiede in Preis, Verarbeitungsqualität, Leistungsfähigkeit, Komfort, Prestige, Benzinverbrauch, etc.
Auch wenn ein Flugzeugträger prinzipiell nur ein Schiff mit einem durchgehenden Flugdeck ist, so ist für die Frage der Effizienz eine kaum überschaubare Vielzahl an Faktoren relevant. Ein Bordgeschwader muss zunächst groß genug sein, um auch effektiv wirken zu können. Allerdings müssen auch die Bordeinrichtungen dieses adäquat unterstützen können. Eine wegen unzureichender Betankungs- und Munitionstransportanlagen unnötig lange Zeit zwischen zwei Einsätzen schränkt die Effektivität eines Flugzeugträgers genauso ein wie mangelnde Sicherheitsvorkehrungen bei Treibstoff und Abwurfmunition diesen im Falle eines Angriffs gefährden. Hier wird China mit Sicherheit aus bekannten Erfahrungen anderer Nationen lernen können, alles dafür notwendige und besonders neueste Erkenntnisse in diesen Bereichen werden aber vorrangig selbst erlangt werden müssen.

So dient die Liaoning vor allem künftigen Flugzeugträgerambitionen Chinas. Es gibt seit einigen Jahren Gerüchte China würde bereits zwei Flugzeugträger auf Kiel gelegt haben, der Bau von mindestens einem wurde inzwischen bestätigt. Der Bau dieser Schiffe schreitet jedoch langsam voran, was an die deutsche Graf Zeppelin erinnert. Hier führte man den Bau bewusst langsam durch, um gewonnene Erfahrungen und neue Erkenntnisse noch rechtzeitig in das Design einfließen lassen zu können.

Zukunftsaussichten für chinesische Flugzeugträger

Mit den vermutlich zwei in Bau befindlichen Flugzeugträgern könnte Rotchina also etwa ab 2025 über bis zu drei einsatzbereite Flugzeugträger verfügen. Diese Zahl wird im Allgemeinen als Minimum für eine effektive Machtentfaltung gesehen, da man bei einem Kriegsschiff von drei sich regelmäßig wiederholenden Zyklen ausgeht. Neben der Einsatzfahrt bildet Ausbildung- und Ausrüstung einen weiteren Zyklus, der durch teilweise Jahre dauernde Wartungszyklen ergänzt wird. Um also stets einen Flugzeugträger einsatzbereit und auf hoher See haben zu können, müssen auch wegen der notwendigen Erholungszeiten der Besatzung im Normalfall drei typgleiche Schiffe vorhanden sein. Dieser Grundsatz geht von einer langfristigen Einsatzplanung aus, ist im Ernstfall zumindesdt kurzfristig aber durchaus zu durchbrechen, so dass dann bis zu drei einsatzbereite Flugzeugträger zur Verfügung stünden. Dauerhaft ist eine solche Massierung von vorhandenem Gerät jedoch nicht möglich.

Strategische Implikationen.

Auch drei mögliche chinesische Flugzeugträger im Jahr 2025 oder 2030 werden dabei die Seeherrschaft der USN nicht ernsthaft gefährden können. Diese wird auch in der Mitte des 21. Jahrhunderts nach wie vor über die mit Abstand schlagkräftigste Flotte verfügen. Allerdings bedeutet dies auf den Westpazifischen und Südostasiatischen Raum durchaus eine weitere Verschiebung des Kräftegleichgewichts.
Gerade die Anreinerstaaten des Südchinesischen Meeres werden im Bezug auf die territorialen Konflikte um die Spratley- und Parcel-Inseln die strategischen Auswirkungen chinesischer Flugzeugträger nicht ignorieren können. Kann China heute nur mittels aufwendiger Betankung eine Luftstreitmacht über den Spratley-Inseln zum Wirken bringen, wird dies mit einem oder gar mehreren Flugzeugträgern deutlich einfacher sein. Von einer bereits erfolgten Verschiebung der Machtverhältnisse im Westpazifik kann wegen der Erprobungsfahrten der Liaoning jedoch noch lange keine Rede sein, und für Gegenmaßnahmen der davon bedrohten Nationen wäre noch ausreichend Zeit.
Denkbare Gegenmaßnahmen wären hier eine Erhöhung der Flugzeugkapazität auf Basen in Reichweite, eine Beschaffung von modernen Kampfflugzeugen mit Anti-Schiff-Kapazitäten, eine Beschaffung von ausreichenden Flugkörpern gegen Schiffe und eine Intensivierung des Trainings der eigenen Luftstreitkräfte im Bezug auf Anti-Schiffs-Missionen. Derartige Beschaffungen wären dabei deutlich billiger als der Versuch auf chinesische Flugzeugträger mit eigenen schiffsgestützten Flugzeugen zu reagieren.

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