Was ist Hornmilch?

Liebe Steemianer,
bevor ich auf die Frage eingehe, muss ich etwas ausholen:

Kuhhörner

Die meisten Rinderrassen haben von Natur aus Hörner (d.h. auch die weiblichen Tiere).
Die Hörner von Rindern (aber auch die von Schafen und Ziegen) sind im Prinzip hohle Überzüge über einen Knochenzapfen, ganz anders als die soliden Hörner von z.B. Nashörnern (1). Sie wachsen (im Gegensatz zu den Geweihen (2) von z.B. Hirschen) ihr ganzes Leben lang.
Sie lassen sich relativ leicht ablösen (und wie von den Wikingingern bekannt, als Trinkbecher verwenden, oder als Musikinstrument). Gibt es übrigens auch heute noch zu kaufen - sehr dekorativ (3).

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Tiroler Grauhvieh, aufgenommen 2015 in der Nähe von Obergurgl, Tirol (photocredits @stayoutoftherz)

Aufgabe der Hörner bei Rindern
  • Verteidigung (evolutionär primäre Aufgabe, bei Hausrindern heute nicht relevant)
  • Rangordungskämpfe (4)
  • Fellpflege, Kratzen
  • Ableiten überschüssiger Wärme im Sommer (je wärmer die Region, desto größere Hörner haben Kühe, ist eine allgemeine Faustregel), da Kühe ab ca. 25 Grad unter Hitzestress kommen können
  • Erzeugung einer minimalen "Privatsphäre" durch einfache Kopfbewegung bei Enge - die Nachbartiere weichen instinktiv aus, sowie zur Festlegung der Rangordnung. Um sich den Platz (und den Rang) zu verschaffen, müssen sich Tiere ohne Hörner mit den Köpfen stossen, was zu mehr Verletzungen führt als bei Tieren mit Hörnern (v.a. Blutergüsse)
  • Es gibt vermutlich noch andere, kaum erforschte Funktionen (Hörner erwärmen sich spürbar beim Wiederkäuen (5), Milch von Kühen mit Hörnen hat (behauptetermassen) andere allergologische Eigenschaften (6), sowie sensorische Funktionen (die Hörner sind mit Blut- und Nervenbahnen durchzogen)).

Es scheint auch als sicher zu gelten, dass es einer Kuh nicht egal ist, ob sie Hörner hat oder nicht. Einer Kuh, bei der ein Horn stark beschädigt wurde und auch der Knochenzapfen abgebrochen war (nur mehr an einem Hautfetzen hing), machte ein Bauer eine Art Gips (5) - mit wenig Hoffnung auf Heilung, da es jucken würde und die Kuh sich an Bäumen kratzen würde und bei Rangeleien mit Nachbarn in der Stallenge der Gips abgehen würde. Aber zu seiner Überraschung ging die Kuh allen Rangeleien aus dem Weg und hielt an engen Stellen im Stall ihren Kopf schief mit dem kranken Horn nach oben, und nach Monaten war das Horn wieder komplett am Knochan angewachsen. Die Kuh hatte definitiv mitgeholfen!

Warum ich das alles aufzähle? Weil die meisten Kühe im deutschsprachigen Raum gar keine Hörner mehr haben!

Die Enthornung

Rinder werden heute nicht gehalten, um ihnen ein schönes, artgerechtes Leben zu ermöglichen, sondern als blosser Wirtschaftsfaktor, und beim Wirtschaften geht es meist nicht um Optimierung der Erträge (im Gleichgewicht zur Qualität, die kaum nachgefragt wird), sondern um Maximierung. Und da ist man auf die Idee gekommen, durch Entfernen der Hörner mehr Kühe auf gleicher Fläche unterbringen zu können. Nebenbei ist so für die Bauern das Risiko kleiner, wenn sie sich zwischen den Kühen bewegen ("Hornstoss" ist für 8% aller Unfälle mit Tieren verantwortlich (7)). Wobei der 2. Grund der meist betonte ist, und der eigentlich ökonomische Grund eher im Hintergrund gehalten wird.

Die Enthornung ist schon seit dem Mittelalter bekannt. Aus einer Anordnung von 1497 aus Altdorf bei Nürnberg:

"Item man soll auch den Kuen die hörrnner abschneyden, das eine der andern nit schaden thue. Unnd wo man spitzige hörrnner findt, den will man straffen von einer jeden Kue umb 60 Pfg." (8)

Jedoch hat die Enthornung in den letzen 20 Jahren stark zugenommen. Im deutschsprachigen Raum sind 80-90% aller Rinder operativ enthornt (9,10)! Auch bei Biobetrieben sind es 70% (11).

Derzeit passiert dieser extrem schmerzhafte Eingriff bei jungen Kälbern in den ersten 6 Lebenswochen, indem man ihnen mit einem Brenneisen die Hornanlagen ausbrennt. Der Brennstab wird auf die Hornanlage gesetzt und etwa 10-15 s hin und her gedreht, während das Kalb gut fixiert wird. Durch die Hitze wird die entstehende Wunde kauterisiert, Blutungen gestillt und desinfiziert. Bei uns ist dieser Eingriff gottseidank seit einiger Zeit nur unter Betäubung erlaubt, aber dennoch ist noch Tage, nachdem die Wirkung der lokalen Anästhetika längst abgeklungen ist, Wundschmerz vorhanden (12).
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Quelle (©KAGfreiland)

Desweiteren gibt es erste Hinweise (durch Schmerzmessung mit innovativen Methoden), dass auch Monate nach der Enthornung chronische Schmerzen bestehen bleiben (13), sowie dass es nicht ausreicht, sich bei der Schmerzbeurteilung ausschliesslich auf Verhaltensanomalien zu verlassen (eigentlich logisch, da Rinder Beutetiere sind und genetisch programmiert, nicht durch anormales Verhalten Räubern aufzufallen) (14).

Hautärzte und andere beobachten in den letzten Jahre eine vermehrte Zunahme an Kuhmilchallergien (Allergien nehmen generell stark zu, das wird nebenbei bemerkt noch zu einem großen Problem werden). Manche vermuten (6), dass diese mit der Zunahme an hornlosen Kühen zusammenhängen, da beim Wiederkäuen Gase auch in die Hörner gelangen und die Kühe so analysieren können, welche Qualität die Nahrung hat, die sie aufnehmen.
Angeblich kann chemisch, durch einen Kristallisationstest, die Milch von Kühen mit oder ohne Hörnern unterschieden werden und laut Dr. Boneberg aus Waltenhofen gäbe es Menschen mit Milchzucker-Unverträglichkeit, die aber keine Probleme mit Produkten von horntragenden Kühen haben.
Auch der Bio-Verband Demeter behauptet , dass die Milch enthornter Kühe häufiger zu Allergien und Unverträglichkeiten führt. Wissenschaftlich fundiert sind all diese Aussagen nicht, es gibt laut (15) keine validen Studien zu dem Thema, auch habe ich nichts im www öffentlich Gemachtes dazu gefunden.
Es wäre möglich, dass es sich bei diesen Beobachtungen und Behauptungen um Verkaufsargumente von Demeter für seine biodynamisch hergestellte Demeter-Milch handelt, die von Betrieben kommt, wo max. 3% enthornte Kühe erlaubt sind.

Verkaufsschmäh hin oder her, für mich als Biologe gilt klar das Prinzip, dass in der Natur alles seine Funktion hat (übrigens bin ich aus ähnlichen Gründen auch gegen die Beschneidung, aber das ist eine andere Geschichte). Daher ist auch der andere Ansatz, das Züchten von bereits bei der Geburt hornlosen Kühen, was derzeit versucht wird, keine erstrebenswerte Lösung! Meines Erachtens nach ist es nicht artgerecht, Rindern ihre Hörner zu nehmen, weder operativ, noch genetisch.
Der Konsument hat hier sicher eine relativ einfache Möglichkeit, durch Steuerung seines Kaufverhaltens dazu beizutragen, welches Leben den Millionen Kühen hier gegönnt ist, so kurz es auch ist.

Ich glaube, damit ist auch die Frage beantwortet: Hornmilch ist die Milch von Kühen, denen es erlaubt wurde, ihre Hörner zu behalten.

Der Test

Damit komme ich zum praktischen Teil:

Ich habe heute 2 verschiedene Milchprodukte gekauft, links eines der Marke Milfina vom Hofer (Aldi) um 0,99€ und rechts eine Demeter Hornmilch von "denn´s" (1,59€):
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photocredits @stayoutoftherz

In Bilndverkostungen (16) (n=4) erkannten zwar nur 25% der Versuchspersonen (n=1) die unterschiedlichen Marken, aber nach eingehender Analyse der qualititiven Ergebnisse (=Zusammenfassung der Meinungen) stellte sich heraus, dass der Unterschied spürbar ist. Die Biomilch schmeckt cremiger und irgedwie dicker, "milchiger", aber nicht unbedingt besser. Einige Versuchspersonen bevorzugten die eine, einige die andere. Weitere Untersuchungen sind daher zu empfehlen.

Mein subjektives Fazit:
Rein vom Geschmack her ist die getestete Biomilch vermutlich nicht den 60%igen Aufpreis wert. Aber angesichts all dessen, was ich oben erwähnt habe, werde ich in Zukunft vermehrt zu Milch von hörnertragenden Kühen greifen!

Was meint Ihr dazu?

(1) https://de.wikipedia.org/wiki/Horn
(2) https://steemit.com/deutsch/@stayoutoftherz/der-alternative-adventkalender-tuer-14
(3) https://www.real.de/product/332279021/
(4) https://www.demeter.de/blog/horngeschichten-170424
(5) https://www.zeitenschrift.com/artikel/die-kuh-ohne-hoerner
(6) https://fleischlust.com/WebRoot/Store/Shops/4880247169/MediaGallery/Enthornung_von_Kuehen.pdf
(7) https://www.landwirt.com/Rund-ums-Rinder-enthornen,,17518,,Bericht.html
(8) Häuserchronik der Altdorfer Altstadt, Neuhaus 2009 (Schriftenreihe der Altnürnberger Landschaft e. V., Bd. 51), ISBN 978-3-00-027611-8
(9) https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20130723_OTS0047/oesterreich-bald-keine-rinder-mit-hoernern-mehr
(10) http://www.schweizmagazin.ch/wissen/tierwelt/3642-Die-behornte-Kuh-stirbt-aus.html
(11) https://de.wikipedia.org/wiki/Enthornung
(12) https://www.kagfreiland.ch/kampagnen/horn-auf/hintergruende/item/461-enthornen
(13) https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0031938418305547
(14) https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0031938417304225?via%3Dihub
(15) https://www.medizin-transparent.at/milch-enthornte-kuh
(16) 75% der Versuchspersonen sind mit dem Autor verwandt und 25% mit ihm verheiratet. Daher sind nicht die Milchprodukte, aber die Ergebnisse mit Vorsicht zu "geniessen" :)

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