Benimm-Knigge aus den 1970ern

Liebe Steemianer,
@melange hat zwischen meinen Büchern diese alte, aber gut erhaltene kleine Broschüre - einen Leitfaden fürs richtige Verhalten - entdeckt, die offenbar von der Tanzschule Rueff als Werbegeschenk (heute eher promotion Artikel) abgegeben wurde, zumindest ist von den Besitzern der Tanzschule ein Vorwort enthalten. Leider findet sich keine Jahreszahl darin, aber ich vermute, dass sie aus den 1970ern stammt und Teile des Inhalts sogar aus den 1960ern. Die etwas schrägen Illustrationen stammen von Vadim Gehrke.

Sie lässt sich antiquarisch sogar noch erwerben (z.B. hier).

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im Folgenden ein paar Auszüge:

Am "Fernsprecher"

(Offenbar hatte sich das Wort "Telefon" noch nicht durchgesetzt!)

"Ausser in sehr dringenden Fällen unterlassen wir Anrufe während der Hauptmanhlzeiten und der Abendnachrichten des Fersehens ("Tagesschau" und "Heute")."
(Damals waren die Mahlzeiten noch regelmässiger und die staatlichen Fernsehsender hatten noch keine private Konkurrenz!)

Sich am Telefon mit "Hallo" zu melden, war damals schon nicht angebracht - eines der Dinge, die sich NICHT geändert haben. Aber es war "selbstverständlich", neben dem Nennen seines Namens, den "Tagesgruß zu entbieten" (also z.B. "Hier ist Peter Müller, guten Morgen").
Achtung, Angestellte:
"Private Telefongespräche auf Kosten der Firma, ohne um Erlaubnis gebeten zu haben, sind schlicht und einfach D i e b s t a h l!"

Beim Tanz

Naturgemäß findet sich ein großes Kapitel rund um das Tanzen und das Auffordern dazu (der Mann macht mit den Worten "Darf ich bitten?" aufmerksam (vorher, falls Ältere mit am Tisch sitzen, sagt er "Gestatten Sie?") und die Dame neigt den Kopf statt etwa "Okey" zu sagen.). Immerhin, sitzen Bekannte zusammen, darf auch die Dame auffordern (ohne dazu aufstehen zu müssen!).
"Im Raum hat ein Herr sein Jackett nur geöffnet, wenn er sitzt. Sobald er sich erhebt, muß es geschlossen werden (auch getanzt wird mit geschlossenem Jackett)."

"Lassen Sie keinen Tanz aus, damit später nicht vielleicht Sie ausgelassen werden"
(Das sollte man sich merken, eventuell trifft es im übertragenen Sinn auch auf andere Gelegenheiten zu!)

"Bringen Sie als Herr die Dame nicht durch eine schlechte oder gar zweideutige Tanzhaltung in Verlegenheit."

Und hier wird es schwer politisch inkorrekt:
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Zum Rauchen

"Nur im eigenen Haus kann man brennende Zigaretten auf dem Fußboden oder auf dem Teppich austreten, woanders benutzt man besser die Aschenbecher."
(Das man das überhaupt aufschreiben muß! War so etwas nicht auch früher selbstverständlich?)

"Der Nichtraucher kann heute vom Raucher Rücksichtnahme erwarten."
(Wie wahr. Leider sehe ich in den letzten Jahren den gegenteiligen Trend. Früher war es üblich, während des Essens nicht zu rauchen, und die Raucher begannen erst, wenn am Tisch der Letzte aufgegessen hatte (oder sie fragten vorher, ob es OK sei), heute (falls man wo sitzt, wo geraucht werden darf), ist diese Rücksichtnahme in Vergessenheit geraten!)

"Die kurze, gepflegte Tabakpfeife ist heute in Gesellschaft der Zigarre und Zigarette ebenbürtig."

Blumen

Schnittblumen (ungerade Zahl!) bei

  • privater Party
  • Geburtstagsfeiern
  • später, wenn man verheiratet ist, für die Ehefrau (!)

"Beim Überreichen halten Sie immer die Blüten nach oben, nicht die Stengel"
(Ach nein! Apropos, man beachte die Schreibweise von "Stengel" (heute "Stängel"))

In der Gaststätte

"Männliche Bedienung spricht man zum Beispiel so an: "Herr Ober, bitte die Rechnung!""
"- weibliche: "Bitte die Rechnung!""
"Eine Dame, die für sich selbst zahlen möchte, kann heute, wenn der Herr bezahlen will, ohne weiteres sagen: "Herr Ober, bitte auch meine Rechnung!""
(wie progressiv!)

"Führen Sie den Bissen zum Mund, nicht den Mund zum Bissen!"
(Auch heute noch richtig, aber wer so isst, kann leicht "gestelzt" wirken!)

Der zeitlose Klassiker: Mit der Serviette wird der Mund abgetupft, nicht abgewischt!

"Den Mund mit dem Handrücken und den Handrücken dann an der Hose abwischen, ist zwar weit verbreitet..." (war es das?)

"Bestellen Sie im Restaurant öfter ein Gericht, das Sie noch nicht kennen (immer nur Schnitzel ist doch langweilig)!"
(Heute haben wir da schon mehr Auswahl.)

Briefwechsel

Man darf nicht vergessen: Emails gab es damals nicht, sodass Briefe eine ungleich wichtigere Rolle hatten als heute!
Auch das Fräulein in der Anrede war noch gang und gäbe! Nicht abkürzen ("Frl."), sondern immer ausschreiben ("Sehr geehrtes Fräulein X")!
"Am Schluß Ihres Briefes schreiben Sie "Hochachtungsvoll, Hans Meier" oder "Mit vorzüglicher Hochachtung, Ihr sehr ergebener Hans Meier"."
Doch es wird schon erwähnt "Selbst im geschäftlichen Briefwechsel setzt sich immer mehr durch:
"Mit freundlichen Grüßen, Ihr Hans Meier".
"

"Die unverheiratete junge Dame unterschreibt ebenfalls mit Vor- und Familiennamen. Das Wort "Ihre" wird sie nur verwenden, wenn es nicht falsch verstanden werden kann."

Dagegen waren damals schon "Werte Frau ..." und "Allerwertester Herr ..." "im guten Briefstil" ausgestorben.

Beim Nachwort des Buches passierte noch ein Daten-Supergau:
"Wink mit dem Zaunpfahl: Für Namen und Anschriften Tanzinteressierter liegen bei uns immer Papier und Schreibstift bereit!"
Eine Aufforderung zur illegalen Weitergabe von personenbezogenen Daten! Wird heute mit Kerker bestraft. Oder so ähnlich.

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