Persönlichkeitsentwicklung 004 - Alles, was du sagst...

... kann gegen dich verwendet werden.

Wer kennt diesen Satz nicht? In Höflichkeitsform gesprochen, kennt man ihn, sofern man nie selbst in die entsprechende Lage kam, mindestens aus Krimis. Vor Gericht oder im Verhör mit Polizei oder Staatsanwaltschaft wird einem das Recht zu schweigen angeboten. Wer von diesem Schweigerecht Gebrauch macht, hilft sich mindestens insofern, dass ihm aus den Widersprüchen seiner Aussagen wenigstens kein Strick gedreht werden kann.

Die Tatsache, dass es keinen Zwang zur Aussage gibt, heisst aber noch lange nicht, dass man sich mit Aussagen nicht doch mehr helfen kann. Als Angeklagter kann man andere belasten oder entlasten oder man kann die genauen Tatumstände so erklären, dass sich eine Entlastung ergibt. Man kann auch als Zeuge auftreten und das zu Protokoll geben, was man selber beobachtet hat.

Wie verhält sich dies im "normalen" Leben?

Ist es so, dass die eigenen Aussagen normalerweise gegen einen verwendet werden?

Oder ist es nicht vielmehr so, dass man mit seinen Aussagen, die hoffentlich mit den eigenen Taten im Zusammenhang stehen, als gefestigte Persönlichkeit wahrgenommen wird, deren Haltung und Werte für das Umfeld auch erfahrbar sind?

Zunächst ist es für mich so, dass ich mich am liebsten in den Gebieten äussere, in denen ich durchaus etwas von den Themen verstehe und somit etwas beitragen kann. Dies hält mich aber nicht davon ab, in anderen Gebieten auch kritische Fragen zustellen. Ich habe das Gymnasium absolviert, Chemie studiert und mich danach mit viel Literatur über freie Marktwirtschaft und Freiheit, sowie über die Geschichte und Politik vom 19. Jahrhundert bis heute kundig zu machen versucht. Dazu habe ich, wie schon mehrfach erwähnt, eine christliche Erziehung genossen und habe mich mit einigen der Schriften tiefgreifender auseinandergesetzt. Dazu habe ich mir auch bezüglich der Entwicklung der eigenen Persönlichkeit viele Gedanken gemacht, weil es mir wichtig ist, mein Leben einerseits zu einem gewissen Teil planbar zu halten, andererseits aber genügend Raum für Spontanität zu haben. Als Experte würde ich mich auf keinem der genannten Gebiete bezeichnen.

Bezüglich Spontanität erlebe ich aktuell eine ziemliche Renaissance. Als Kind ist man eigentlich vorwiegend spontan, wobei einem schon recht bald nahegelegt wird, dass man sich nicht nur fünf Minuten mit einem Thema beschäftigen sollte, sondern dass man die Dinge, die man anfängt, auch zu Ende bringen sollte. Eine schöne Landschaft oder ein Auto wird nicht in fünf Strichen fertig gezeichnet, dafür braucht es mehr Durchhaltewillen. Nicht nur bezüglich der Tätigkeiten, auch in den Aussagen ist man als Kind weitgehend spontan und nicht sehr durchdacht. Das, was es fühlt, gibt es weiter und wenn es sich allzusehr missverstanden fühlt, wird auch mal geheult.

Mit zunehmender Intellektualisierung beim Erwachsenwerden wird die Spontanität geringer, mindestens dann, wenn vom Umfeld, in dem man sich bewegt, möglichst adäquate und wohl gewählte Aussagen verlangt werden. Wichtig bei diesem Prozess ist, dass er nicht zur vollständigen Erlahmung der eigenen Lebendigkeit und Spontanität führt.

In der Welt haben wir letztes Jahr erleben können, dass man auch mit einer sehr spontanen Art weit kommen kann. Den gewählten US-Präsidenten Donald Trump, der sehr bald im Amt sein wird, ist für mich ein Musterbeispiel in Sachen spontan losreden und nicht allzuviel überlegen vorher. Ich kann mir gut vorstellen, dass er kein Manuskript, das je für ihn hergestellt wurde, vollständig befolgt hat. Es ist klar, dass man aus Aussagen von einem Menschen mit derartiger Ausdrucksweise kaum 1/1 Bücher drucken kann, was nichts an der Lebendigkeit ihres Wesens ändert.

Für Intellektuelle sind maximal spontane Leute des öfteren schwer zu ertragen, zu unbeherrscht und zu lebendig und zu bewegungsaffin sind sie häufig. Ich selber habe meine Schwierigkeiten mit Menschen, die problemlos mit voller Wucht in eine Diskussion hineinplatzen, ohne zuvor aufmerksam aufgepasst zu haben, wie die "Reviere" abgesteckt worden sind. Allerdings ist mir bekannt, dass Menschen aus ganz unterschiedlichen Gründen hineinplatzen. Als da sind ein Hang zur Selbstinszenierung oder Profilierungssucht, aber es kann sich auch um einen grundehrlichen Menschen handeln, der es gewohnt ist, offen und direkt zu sprechen.

Nach dem Studium hatte ich immer wieder mit Unternehmern zu tun und habe die genannte Lebendigkeit und Spontanität als Hauptunterschied zwischen einem Unternehmer mit Leib und Seele und dem klassischen intellektuellen Denker ausgemacht. Intellektuelle beschreiben sehr oft Zustände und versuchen daraus auf das reale Leben zu schliessen. Allerdings wird eine Beschreibung von Zuständen der vollen Lebendigkeit der Natur nie gerecht. Man nehme eine Photographie von einem Biotop, einem Tier, einer Pflanze, einem Menschen und versuche, alle Lebensprozesse, die während der Belichtungszeit stattgefunden haben, zu beschreiben. Es wird einem kaum abschliessend gelingen, was nichts daran ändert, dass in der Natur jede Sekunde alle diese Prozesse teils abhängig, teils unabhängig voneinander ablaufen.

Ein Unternehmer ist bestrebt, aus den Gegebenheiten für ihn Vorteilhaftes zu generieren. Das muss kein absolut ausgereiftes oder umfassend fähiges Produkt sein, sondern eines, das den Anforderungen der Zielgruppe im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten gerecht wird. Wer sich heute die Anfänge der elektronischen Geräte und Rechner betrachtet, könnte sich eventuell fragen, warum die Pioniere überhaupt angefangen haben, den beschwerlichen Weg in diese Richtung zu gehen. Am Anfang hätte sich keiner träumen können, welche Auswirkungen die Basis ihrer Pionierarbeiten dereinst haben werden. Ohne Anfang gibt es aber kein Weiterkommen und keinen echten Fortschritt.

Für mich gilt diese Maxime eigentlich universell. Einen Geniestreich als Idee oder Ideologie zu formulieren, hat bei der doch recht fehleranfälligen Menschheit kaum je funktioniert. Es gibt kein erdachtes Paradies, das alle als solches empfinden. Gelingt es einem aber, eine minimale, einigermassen flexible und für Evolution offene Basis zu kreieren, wird die Begeisterung der Menschen dafür nicht ausbleiben. Sie werden auch mit Freude daran an der Evolution arbeiten, die aber kaum je einzig und allein in die gute Richtung geht, sondern eine Vielfalt an Lösungen präsentiert. Wichtig ist, dass in der Vielfalt der Lösungen diejenigen aussortiert werden, die sich als nicht förderlich erwiesen haben. Die fruchtlosen Äste müssen abgesägt werden, währenddessen mit den fruchtbaren weiter gearbeitet werden soll.

Mich zu exponieren, sowohl in meinem Umfeld, wie auch im Internet, hat für mich einen Wert. Man legt sein Wissen und seine Erkenntnisse dar und steigt damit in den Dialog mit anderen, die sich auch einbringen und hofft, dass sich deswegen alle Beteiligten evolutiv weiterentwickeln. Mal für Mal wird man mit seinen Einschätzungen im Nachgang falsch liegen, was einen stets dazu ermuntern soll, mit seiner Wahrnehmung noch näher zur Realität zu gelangen. Wichtig ist auch, dass in der Gesellschaft Irrtümer zugelassen sind und dass weitgehend nach dem von mir schon oft zitierten ethischen Imperativ gehandelt wird. Werden Irrtümer nicht mehr zugelassen, sind die Menschen in ungesunder Weise damit beschäftigt, sich entweder gar nicht mehr oder nur noch politisch korrekt oder so schwammig zu äussern, dass es ihnen in der Retrospektive nicht als Fehler oder Irrtum ausgelegt werden kann. Oder sie beschäftigen sich sehr damit, ihre Fehler, Schwächen, Unzulänglichkeiten und Irrtümer vor den Mitmenschen so sehr wie irgend möglich zu verbergen, was wiederum ungesund ist.

Die ganze überlieferte Geschichte der Menschheit ist voll von Menschen, die sich exponiert haben und die entweder Fehler gemacht oder richtig entschieden und den Sieg davongetragen haben. Die vielen Kriege sind ein gutes Beispiel. Der Feldherr, König, General entscheidet. Entscheidet er gut und hat eine schlagkräftige Armee, so gibt es einen Sieg. Entscheidet er nicht so gut, ist er von den Improvisationsfähigkeiten seiner Kämpfer abhängig, sind die auch nicht so toll, gibt es eine Niederlage.


Der Mut des Generals Rajewski in der Schlacht (Gemälde 1912). Von Nikolay Samokish [1].

Für mich ist klar, dass nicht jeder Mensch das Naturell besitzt, gerne vorne hinzustehen, sich zu exponieren und sich dabei auch einmal zu irren. Aber Erwachsene, die sich für eigenverantwortlich halten, sollten es tun. Auch aus dieser Sicht kann ich eine Brücke zum aktuell hochgekochten Thema "Fake News" schlagen. Ich halte das ganze Thema für verhängnisvoll und sehe es angebracht, sich wieder einmal für vollständige Meinungsfreiheit einzusetzen. Essentiell dabei ist, dass die Leute interessiert sind, sich für die Gesellschaft und individuelle Freiheit einzusetzen und die damit verbundenen Themen zu verstehen. Unter solchen Voraussetzungen haben notorische Tatsachenverdreher, Lügner und Propagandisten schlechte Karten. Sind die Menschen nicht interessiert, wird findige Manipulateure nichts von der Korruption der herrschenden Ordnung, hin zu einem mehr oder weniger offensichtlichen Totalitarismus abhalten.

Zuletzt sei angemerkt, dass sich unter "sich exponieren" nicht redselig oder schwatzhaft zu sein verstehe. Der Weise wurde in der Vergangenheit meist erst dann als solcher bezeichnet, wenn er auch schweigen konnte, wenn es angebracht war.


[1] Das Bild ist gemeinfrei und wurde in folgendem Artikel bei Wikipedia gefunden:
https://de.wikipedia.org/wiki/Mut
Über General Rajewski:
https://de.wikipedia.org/wiki/Nikolai_Nikolajewitsch_Rajewski

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