Ideologie 066 - Keine Revolutionen mehr von oben nach unten - Gary North

11. Mai 2018

Auch wenn ich zu diesem Thema und den grundsätzlichen Herangehensweisen - von oben nach unten und von unten nach oben - selbst einen Artikel verfassen könnte, soll hier wieder einmal fremdes Material geteilt werden. In diesem Falle stammt es von dem US-Amerikaner Gary North, der dieser Tage unter dem Titel No More Top-Down Revolutions [1] einen Artikel veröffentlicht hat. Das Original ist selbstverständlich in englischer Sprache veröffentlicht worden, ich habe mich an einer Übersetzung versucht.

Gary North habe ich im Juni 2017 einen Zitate-Artikel gewidmet [2]. In diesem ging es vor allem um wirtschaftliche Themen und darum, den Mainstream, das heisst die Keynesianer und entsprechend ausgerichtete Politiker zu kritisieren. Im heute geteilten Artikel geht es um ein Paar Gedanken bezüglich des Wirkens der Werke von Karl Marx und wie man das aus einer historischen Sicht bewerten kann. Insbesondere ob es heute noch zu Revolutionen von oben nach unten kommen kann. Ich halte das nach wie vor für absolut möglich, da gerade mithilfe verschiedener Techniken von Manipulation und Desinformation - etwa via Politik, Geheimdienste, Medien und Schulen - Menschen stark und toxisch beeinflusst werden können. Das entscheidende Wissen um die Funktionsweise politischer Machtspielchen und der Beeinflussung liegt noch immer klar aufseiten derer, die schon Jahrhunderte Macht ausüben. Gary North scheint das etwas anders zu sehen.


Keine Revolutionen mehr von oben nach unten

2018-05 - North Top Down Revolution - Lenin.PNG

Mein ganzes Leben als Erwachsener (geboren 1942) habe ich im Schatten eines Mannes verbracht, Karl Marx (1818-1883) [3].

Im Alter von 14 Jahren erkannte ich, wie wichtig Marx in der Geschichte war. Ich begann, einige seiner Schriften zu studieren, als ich in der High School im Abschlussjahrgang war. Ich fuhr in der Graduiertenschule fort, ihn zu ergründen. Mein Buch über Marx wurde 1968 veröffentlicht [4].

Karl Marx hat die Welt verändert. Doch das hat er nicht allein und aus eigener Kraft getan. Sein Kollege, Frederick Engels (1820-1895) [5], schrieb einige seiner kürzeren Materialien, etwa Zeitungsartikel und liess Marx seinen Namen darauf schreiben. Er war auch Mitautor des zunächst anonym veröffentlichten Kommunistischen Manifests (1848) [6]. Er hat auch Marx über 20 Jahre lang als Arbeitslosen leben lassen. Engels war ein erfolgreicher Unternehmer und Kapitalist in der Textilindustrie. Er leitete das Familienunternehmen in Manchester UK. Ohne Engels hätte keiner je von Marx gehört. Es war Engels, der ihn zum dialektischen Materialismus bekehrte. Das war 1843. Noch heute gilt Engels immer als die zweite Banane (im Sinne von zweite Geige, im Hintergrund aktiver - Anm.). Engels war ein bei weitem besserer Autor als Marx. Er bekommt dafür etwas Anerkennung, allerdings nicht genug.

Nach Marx' Tod im Jahre 1883 war die kommunistische Bewegung bis 1917 minimal. Im Vorfeld von Lenins erfolgreicher Revolution im Oktober 1917, die eigentlich eher ein Staatsstreich war, wurde Marx von sehr wenigen Menschen studiert. Es war Lenin und nicht Marx, der Marx rückwirkend zu einer heroischen Figur und einem kreativen Denker erhob. Marx war aber weder heldenhaft noch ein kreativer Denker, welcher auf irgendeine Weise die intellektuell herausragenden Kräfte seiner Zeit herauszufordern im Stande gewesen wäre. Er schrieb geschwollene Wirtschaftsanalysen und Tiraden gegen andere unbekannte deutsche und französische Radikale und Utopisten im politischen Linksaussenbereich.

Weil Lenin an die Macht kam, begann eine Handvoll Intellektueller, Marx ernst zu nehmen. Marx' Vorstellungen über den Klassenkampf und die Ausbeutung der Arbeit erhielten einige Anhänger, die Abhandlungen und Artikel für andere Intellektuelle schrieben. Aber nach dem Einmarsch der UdSSR in die Tschechoslowakei im Jahre 1968 sind sie ständig übergelaufen. Als die Sowjetunion im Dezember 1991 zusammenbrach, verliessen praktisch alle diese Intellektuellen das Schiff. Es gibt heute wirklich keine identifizierbare marxistische intellektuelle Bewegung auf dem College-Campus.

Anmerkung: Genau das sehe ich im Moment. Militante Forderer, die nach der Einführung irgendwelcher utopischer Dinge dürstet, mithilfe derer sich das Paradies auf Erden realisieren lassen soll. Dinge, für deren Kosten stets andere aufkommen sollen. Wobei diese Anderen wiederum Schuld daran sein sollen, wenn das Utopia nicht wie vorgezeichnet Realität wird.

Marx' schwülstige, germanische Prosa diente als ideologische und damit religiöse Rechtfertigung für atheistische Tyranneien, die von 1949 bis 1979 ein Drittel der Weltbevölkerung kontrollierten. Mao übernahm in China im Jahre 1949. 1979 Deng Xiaoping gab die sozialistische Wirtschaft auf.

Die Unwahrscheinlichkeit des marxistischen Triumphs

Wie war es überhaupt möglich, dass Marx die Welt veränderte, indem er Tag für Tag, Jahrzehnt für Jahrzehnt auf einem Stuhl im British Museum in London sass und staubige Bücher las und Texte schrieb, die fast niemand zu seinem Lebzeiten las? Aus einer historischen Sicht ist das einfach unglaublich. Aber er tat es. Dieser arbeitslose deutsche Doktor, dessen Handschrift so schlecht war, dass er den einzigen Job, den er in London je bekommen wollte, nicht bekam; der von der Fürsorge eines erfolgreichen Kapitalisten lebte, schrieb nahezu unlesbares Material, welches die Meinung des Sohnes eines russischen Bürokraten änderten, der wiederum das Russische Reich in nur zehn Tagen eroberte. Das ist einfach unglaublich.

Es gibt keine Möglichkeit, dass ein nachfolgender Gelehrter in diesem historischen Zusammenhang ein Muster finden könnte. Es gibt kein Modell, das man imitieren könnte. Es gibt Zehntausende von Gelehrten auf der ganzen Welt, die am laufenden Band ihre Bücher und Artikel herausbringen, die so unlesbar sind wie alle, die Marx jemals geschrieben hat. Es gibt zweifellos einige Revolutionäre unter diesen. Diese Revolutionäre können von der Fürsorge leben, was aber bedeutet, dass sie irgendwo auch angestellte Professoren sein können. Aber nur wenige ihrer Schüler lassen sich wirklich überreden. Ihre Leser sind wenige und ohne grösseren Einfluss. Die Wahrscheinlichkeit, einen Lenin unter ihnen zu finden, ist minimal. Sogar in Lenins Fall war er einer von vielleicht 3'000 Vollzeitrevolutionären in Europa im Jahr 1900 und er war der einzige, der jemals eine Revolution zustande brachte, die mehr als ein paar Wochen andauerte.

Es gab einige Gelehrte, die das Denken der Intellektuellen beeinflusst haben, die wiederum das Denken der Aktivisten beeinflusst haben. Immanuel Kant war so ein Gelehrter. Fast niemand liest sein Originalmaterial, aber er hat das Denken von Generationen von Schriftstellern und Lehrern beeinflusst, die sich des Ausmasses gar nicht bewusst waren, inwieweit sie Anhänger von Kant waren. Ich habe mit Friedrich August von Hayek 1985 ein Gespräch geführt. Schon früh in meiner Karriere hatte ich erkannt, dass er ein Anhänger Kants war. Dennoch gab er in dem Gespräch zu, dass er nicht wirklich verstanden hatte, in welchem Ausmass er ein Anhänger von Kant war, bis John Grays [7] Buch über ihn erschien (Hayek on Liberty [8]). Seine Aussage verblüffte mich.

Charles Darwin hatte einen enormen Einfluss auf das Denken der Intellektuellen weltweit. Aber er hegte nicht die Absicht, den Darwinismus zu begründen. Er verfolgte keine Strategie, um Anhänger für seine Zwecke zu gewinnen. Er war ein Einsiedler. Er mochte keine gedruckten Konfrontationen. Es war Thomas Huxley, der ab dem Ende des Jahres 1859 als Darwins Bulldogge bekannt wurde. Er erledigte das intellektuelle Gewichtheben und dann verbreiteten sich die Darwins Ideen sehr schnell. Darwin war ein Evolutionist, da ich bin sicher, dass Sie mir zustimmen. Er glaubte nicht an radikale Diskontinuitäten als die Gestalter der Natur. Sein ganzes System stand einer radikalen Diskontinuität als Erklärungshilfsmittel entgegen.

Das Internet

Durch das Internet können sich heute Ideen schnell verbreiten. Das vielleicht beste Beispiel unserer Tage ist Jordan Peterson. Niemand kann dieses Phänomen erklären. Aber er organisiert keine Bewegung. Er verkörpert diese nur. Er unterrichtet seine Anhänger. Aber er spricht von individueller Transformation, nicht von einer Transformation der Welt durch organisiertes, politisches Handeln. Er scheint gegen solch großspurige Pläne eingestellt zu sein. Er scheint wirklich an die Wahrheit zu glauben, die Jesus zum Ausdruck brachte: Man muss den Balken aus dem eigenen Auge nehmen, bevor man versucht, den Splitter aus dem Auge eines anderen Menschen zu bekommen [9]. Sonst ist man nicht in der Lage, klar genug sehen, um dem anderen überhaupt eine Hilfe zu sein. So wird man mehr Schaden als Nutzen hervorbringen.

Das Internet fördert den individuellen Wandel und möglicherweise auch den Wandel der lokalen Gemeinschaft, aber es gibt so viele konkurrierende Stimmen mit so vielen konkurrierenden Programmen, dass es für jede zentralisierte Bewegung fast unmöglich sein wird, etwas zu übernehmen, das größer ist als eine Grafschaft. Ich sehe nicht, wie die Religion der Revolution jemals das Äquivalent zu den kommunistischen Revolutionen des 20. Jahrhunderts produzieren kann. Die Kommunikation ist einfach zu dezentralisiert.

Ein gesellschaftlicher Wandel wird von unten nach oben kommen. Diese Transformation steht im Einklang mit den Lehren der großen Religionen der Welt. Sie steht sicherlich im Einklang mit der politischen Philosophie des freien Marktes eines Adam Smith (1723-1790) [10] und der schottischen Aufklärung [11]. Sie steht ebenso im Einklang mit Edmund Burkes (1730-1797) [12] antirevolutionärer Philosophie, die den europäischen Konservatismus im 19. Jahrhundert untermauerte. Burke und Smith zeigten grossen Respekt vor den Schriften des jeweils anderen. Sie waren eine Zwei-Mann-Gesellschaft gegenseitiger Bewunderung.

Deswegen sehe ich das Ende von allem, was entfernt dem Sozialismus oder Kommunismus ähnelt. Wenn das Geld des Nationalstaates zur Neige gehen wird, ist das grosse Experiment vorbei. Wirklich, es endete am 25. Dezember 1991. Aber es wird im Hintergrund fortbestehen. Menschen mit großspurigen Schemata der politischen Transformation von oben nach unten artikulieren gerade Weltanschauungen der Zentralisierung wie sie in den Zeiten vor dem Internet galten.

Wenn ein Video viral werden kann, kann es ein anderes auch. Für die Freiheit sind das gute Nachrichten.


[1] No More Top-Down Revolutions. Mises Wire on mises.org, 07. Mai 2018, von Gary North https://mises.org/wire/no-more-top-down-revolutions
[2] Zitate 029 - Gary North. @saamychristen, 19. Juni 2017 https://steemit.com/deutsch/@saamychristen/zitate-029-gary-north Gary North bei Wikipedia-en: https://en.wikipedia.org/wiki/Gary_North_Economist
[3] https://en.wikipedia.org/wiki/Karl_marx
https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_marx
[4] MARX'S RELIGION OF REVOLUTION: The Doctrine of Creative Destruction. Gary North, 1968, Craig Press Amazon: https://www.amazon.com/dp/B000RB8DWY/ref=cm_sw_r_tw_dp_U_x_bJx9AbE2FQKBH PDF Download: https://archive.org/details/MarxsReligionOfRevolutionGaryNorth
[5] https://en.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Engels
https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Engels
[6] https://en.wikipedia.org/wiki/The_Communist_Manifesto
https://de.wikipedia.org/wiki/Manifest_der_Kommunistischen_Partei
The Communist Manifesto. Karl Marx and Friedrich Engels, 1848 Document: https://archive.org/details/ComManifesto Audio-Version: https://archive.org/details/communistmanifesto_librivox
Das kommunistische Manifest. Karl Marx und Friedrich Engels, 1848 https://archive.org/details/daskommunistisch00marx
[7] https://en.wikipedia.org/wiki/John_Gray_Philosopher
https://de.wikipedia.org/wiki/John_N_Gray
https://en.wikiquote.org/wiki/John_Gray_Philosopher
[8] Hayek on Liberty. John N. Gray, 1984, Blackwell Pub, Amazon: https://www.amazon.com/dp/0631148140/ref=cm_sw_r_tw_dp_U_x_pEy9Ab5N9PCE1
[9] Bibel. Matthäus 7, 3-5, Lutherbibel 2017: 3 Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und nimmst nicht wahr den Balken in deinem Auge? 4 Oder wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt, ich will dir den Splitter aus deinem Auge ziehen! – und siehe, ein Balken ist in deinem Auge? 5 Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge; danach kannst du sehen und den Splitter aus deines Bruders Auge ziehen.
[10] https://en.wikipedia.org/wiki/Adam_Smith
https://de.wikipedia.org/wiki/Adam_Smith
[11] https://en.wikipedia.org/wiki/Scottish_Enlightenment
https://de.wikipedia.org/wiki/Schottische_Aufkl%C3%A4rung
[12] https://en.wikipedia.org/wiki/Edmund_Burke
https://de.wikipedia.org/wiki/Edmund_Burke


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