Ideologie 051 - Über das Jagen, Hetzen und Agitieren in der Politik

30. November 2017

Im Diskurs über politische Themen aller Art fallen oft die Wörter Agitation, Propaganda, Hetze und Jags. Sei es in Analysen, wenn einem politischen Akteur die Verwendung solcher Stilmittel attestiert oder vorgeworfen wird oder auch in Beschreibungen des eigenen Stils. Um dem Phänomen etwas auf die Spur zu kommen, möchte ich hier den Versuch einer Analyse unternehmen.

Eines der jüngsten Beispiele für die Verwendung des Wortes 'jagen' war die erste Stellungnahme des AfD-Fraktionsvorsitzenden im Deutschen Bundestag, Alexander Gauland, nach dem Wahlsieg am 24. September 2017 [1]. Gauland sagte folgendes:

(0:28-0:55)

«Da wir nun offensichtlich drittstärkste Partei sind, kann sich diese Bundesregierung, die gebildet wird, wie immer sie aussieht, warm anziehen. Wir werden sie jagen. Wir werden Frau Merkel oder wen auch immer jagen und wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen.»

In diesem Zitat kommt das Verb jagen vor. In seiner ursprünglichen, praktischen Bedeutung beschreibt es die Tätigkeit eines Raubtieres oder eines menschlichen Jägers [2]. Dieser will eine Beute machen, sucht sich eine solche aus und gewinnt sie, indem der Jagdinstinkt gekonnt genutzt wird oder wie es bei den Menschen oft der Fall ist, indem entsprechende Hilfsmittel verwendet werden. Das gewollte Ergebnis ist eine Beute, von der man sich ernähren kann.

Im politischen Kontext gerade in Demokratien geht es zumeist nicht um Leben und Tod, sondern eher um politische Abläufe. Die Leute in der Regierung tragen am meisten Verantwortung und befinden sich in der Position, in die ihre Mitbewerber hinwollen. Alle Parteien wollen in der Regel Funktionäre in die Exekutive entsenden. Oppositionstätigkeit wird vor allem dann angestrebt, wenn man weiss, zum gegebenen Zeitpunkt nicht regierungsfähig zu sein. In der Opposition geht es darum, von ausserhalb so auf die Regierung einzuwirken, dass sie sich keine Dreistigkeiten erlaubt und sich nebenbei noch als die fähigere Alternative darzustellen, um seinerseits in der nächsten Regierung mitwirken zu können.

Jagen kann man auf verschiedene Art und Weise. Man kann es etwa mit einem Hinterhalt, indem man der potentiellen Beute auflauert, auch Lauerjagd [3] genannt. Zentral ist dabei, dass sich der Jäger nicht selbst verrät und der Erfolg durch Überraschung erzielt werden kann. Eine zweite Möglichkeit ist die Treib- oder Hetzjagd [4]. Da wird die Beute aufgeschreckt und dann solange verfolgt, bis sie gestellt ist und erlegt werden kann. In der Politik kommen beide Arten vor. Eine Lauerjagd kann etwa durch überraschende Enthüllungen zum Erfolg gebracht werden. Die Hetzjagd besteht eher darin, dass man den Gejagten keine Ruhe gönnt und sie permanent kritisiert und angreift.

Unter dem Begriff der Hetze [5] versteht man in der Politik vor allem verunglimpfende und verächtlich machende Äusserungen über den politischen Gegner. Unter einem Hetzer versteht man einen Scharfmacher oder Aufwiegler. In der Regel wird dabei die Ebene der Sachlichkeit verlassen. Wenn die Hetze effektiv sein soll, braucht es trotzdem noch soviel Realitätsnähe, dass sie bei den Adressaten ankommt und ihre Wirkung entfaltet. In verschiedenen politischen Systemen war Hetze ein Straftatbestand, etwa in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Wirklich verfolgt wurden meist nicht die Leute, die wirklich absurde Dinge behauptet haben, sondern jene, die die Machenschaften der Regierung auf besonders gut nachvollziehbare Weise kritisieren und entlarven konnten.

Das Stilmittel der Hetze kann man auch in anderen politischen Kontexten anwenden, etwa gegen eine Gruppe von Menschen, die der eigenen Ideologie widerspricht, der man finstere Machenschaften oder geheime Absprachen unterstellt. Grundsätzlich kann auch jeder von diesem Stilmittel Gebrauch machen.

IdeologieKurzbeschreibung und mögliche Hetze
Roter SozialismusIn der Privatwirtschaft erfolgreiche Menschen sind die Gegner, Unternehmer gelten als Kapitalisten, die ihre Aktivitäten vor dem Staat verbergen wollen, krumme Geschäfte machen, trickreich Steuern sparen und ihre Angestellten ausbeuten. Grosse Unternehmungen mit starken Gewerkschaften und Betriebsräten gelten aber als wünschenswert. Marktwirtschaftliche Gesetzmässigkeiten werden vernachlässigt.
Grüner SozialismusDas mittelständische Individuum ist der Gegner, der zuviel Geld besitzt, dieses für umweltschädliche Zwecke einsetzt und zuviel konsumiert. Mithilfe umfassender Planungen sollen Konsumwahn und Umweltschädigugen radikal verringert werden, obwohl es bisher kein Beispiel einer umweltschonenden Planwirtschaft gegeben hat. Eine funktionierende, grüne Planwirtschaft ist bisher reine Theorie, inklusive schlechten Erfahrungswerten aus sozialistischen Experimenten.
Brauner SozialismusDie Gegner sind zum einen ausserhalb des eigenen Landes, aber auch innerhalb. Im nationalsozialistischen Deutschland wurde gegen Juden im Inland gehetzt und schlimmeres getan, gegen Slawen vorgegangen, auch gegen Sinti und Roma und gegen Menschen, die in der Gesellschaft nur wenig wirtschaftliche oder kriegerische Leistungen vollbringen konnten, sprich in irgendeiner Weise behinderte Menschen. Das Benes-Regime in der Tschechoslowakei trug auch national-sozialistische Züge, nicht zuletzt wurden darin die meisten dort lebenden Deutschen vertrieben und enteignet. Der braune Sozialismus lebt von einer Verherrlichung des eigenen Volkes, die aber nicht mit dessen tatsächlicher Leistungsfähigkeit korreliert sein muss, eher im Gegenteil. Grosse Verschuldung und Inflation, also eigentliche Selbstschwächung, sind wahrscheinlich. Je mehr es dazu kommt, umso grösser wird die Gefahr von Kriegen für Nachbarländer.
Bunter SozialismusAls solchen bezeichne ich die Idee einer sozialistischen Gesellschaft, die ethnisch heterogen ist. Die aktuelle politische Doktrin der Bundesrepublik Deutschland geht für mich in diese Richtung. Einerseits besteht er aus der Idee der multikulturellen Gesellschaft, in der Menschen mit unterschiedlichster Herkunft in Frieden und Wohlstand zusammenleben sollen. Dazu werden einigermassen ausgeprägt Elemente der grün-sozialistischen Ideologie eingebaut. Gegner sind konservativ orientierte Menschen, das klassische Bürgertum, marktwirtschaftlich denkende Menschen, insbesondere Unternehmer. Die Gefahr besteht, dass durch den unermesslichen Geldhunger des Staates und hohe Steuern der Staatsapparat sowjetische Ausmasse erreicht und gleichzeitig die Leistungsfähigkeit der Menschen abnimmt und es zu einem Kollaps kommt.
Republikaner FreiheitlicheUnterstützer eines freiheitlich orientierten, schlanken Staatswesens in Form einer Republik. Gegner sind jene, deren Ideen dazu dienen, den Staatsapparat auszubauen und die Freiheit und Eigenverantwortung des Individuums einzuschränken. Planwirtschaft wird als erwiesen untauglich erkannt, grosse Konzerne und Kartelle gelten eher als Ergebnis von Privilegien, als von Marktwirtschaft. Extreme Auswüchse von Hetze gehen dahin, hinter jedem sozial präsentierten Projekt eine sozialistisch-kommunistische Verschwörung zu entdecken. Im Kalten Krieg wurde Linken, Sozialdemokraten und Sozialisten oft die Kollaboration mit dem sowjetisch-sozialistischen Machtblock unterstellt.
KonservativeKonservative gibt es in ganz verschiedenen Formen, da ganz unterschiedliche Dinge als Errungenschaften gelten, die als bewahrenswert identifiziert werden können. Nationalkonservative positionieren sich gegen progressivistische, international oder global denkende Kreise oder auch Unterstützer einer sehr freien Marktwirtschaft, die nationale Grenzen und Interessen in ihrem Tun nicht speziell berücksichtigt. Auch Sozialdemokraten oder Sozialisten können sehr konservativ sein. Etwa dann, wenn sich von ihnen eingeführte Gesetze und Regeln als nicht zeitgemäss herausstellen.

Neben den Wörtern Hetze und Jagd stehen im einleitenden Satz dieses Artikels auch noch die Wörter Agitation [6] und Propaganda. Diese beiden Wörter sind erkennbar nicht deutschen Ursprungs. Insbesondere bei solchen Fremdwörtern schaue ich gerne nach, welche Bedeutung sie ursprünglich hatten. Daraus kann man eventuell schliessen, aus welchem Grund sie überhaupt in der deutschen Sprache Aufnahme fanden. Das Wort Agitation entstammt dem Lateinischen. Als verb agitare bedeutet es heftig bewegen, treiben, jagen, aufwirbeln oder auch betreiben. Als Substantiv agitatio bedeutet es vor allem Bewegung, Schwingen oder Schütteln. In anderer, persönlicher Form agitator bedeutet es Lenker, Treiber oder Aufwiegler. Nicht in jedem dieser Worte und in jeder Bedeutung ist das aktive Betreiben, Aufwiegeln oder Anstiften zwingend enthalten. Besonders im Verb aber schon und es geht stets um Bewegungen.

Das Wort Agitation ist in meiner Wahrnehmung im politischen Sinne ein Synonym für Jagd und Hetze. Wer agitiert, der jagt und hetzt gleichzeitig, unabhängig davon, welches Wort als Bezeichung für diese Aktivität bevorzugt wird.

Insbesondere in linken Kreisen ist die Agitation beliebt. Bei Georgi Walentinowitsch Plechanow (1856-1918) [7], einem russischen Sozialisten, wird sie neben der Propaganda als eine der Haupttätigkeiten in der Verbreitung der sozialistischen Ideen beschrieben. Allerdings habe ich keine von dessen Schriften je gelesen. Der Propagandist ist für die Vielfalt der Ideen zuständig, der Agitator dafür, dass die Ideen den Anhängern vermittelt werden und für entsprechende Bewegung gesorgt wird. Solches ist auch bei Wladimir Iljitsch Ulianow (1870-1924), genannt Lenin [8], zu lesen. Auch wenn in sozialistischen Systemen diese Art von Politik bereits Realität war, gab es etwa in der DDR dennoch die Position des Agitators, zum Beispiel an Schulen. Man begriff sich immer noch als Bewegung, deren Inhalte unablässig zu vermitteln sind.

Das Wort Propaganda [9] hat sich im politischen Sinne von seiner ursprünglichen Bedeutung entfernt. Es stammt auch aus der latenischen Sprache und bedeutet als Verb propagare fortpflanzen, verlängern, ausdehnen. Die Ausbreitung von Wellen wird im Englischen noch heute als Propagation bezeichnet. In der Politik bedeutet Propaganda auch die Verbreitung von Inhalten, wird aber meist im negativen Kontext verwendet. Wenn es darum geht, mit Tricks und hinterhältiger Taktik Meinungen zu beeinflussen und zu manipulieren.

Aus den Wörtern Agitation und Propaganda wurde auch ein neues Kunstwort erschaffen, die Agitprop [10]. Im frühen, sozialistischen Russland wurde eine Abteilung für Agitation und Propaganda geschaffen, die отдел агитации и пропаганды (otdel agitazii i propagandy).


[1] Alexander Gauland: Jagd auf Merkel "Wir werden Merkel jagen..." Deutscher Kaiser YouTube Kanal, 24. September 2017
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Jagd
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Lauerjagd
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Hetzjagd
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Hetze
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Agitation
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Georgi_Walentinowitsch_Plechanow
[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Wladimir_Iljitsch_Lenin
[9] https://de.wikipedia.org/wiki/Propaganda
[10] https://de.wikipedia.org/wiki/Agitprop


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