Gedankenimpuls 001 - Die moralische Zweifelhaftigkeit der westlichen Sozialstaaten im weltweiten Kontext

17. August 2017

Die neue Rubrik Gedankenimpuls möchte ich für Beiträge reservieren, in denen ich spontan das notiere, was sich Gerade an Gedanken in meinem Kopf manifestiert. Der Inhalt eines Gedankenimpulses kann also sowohl handfest und praxisnah, als auch sehr roh und unfertig daherkommen und vor allem kontrovers sein.

Im Zuge meiner gestrigen Veröffentlichung [1], in der ich einige Daten über den blauen Planeten präsentierte und kommentierte, las ich einige Passagen im Bodenatlas [2], der von Organisationen herausgegeben wird, die politisch vor allem der Grünen Partei nahestehen. In diesem ist viel davon die Rede, wie ungleich der Reichtum der Erde verteilt ist, was sich alles ändern muss, damit der Mensch auch nur in geringem Masse endlich wieder den Einklang mit der Natur findet. Die Verfasser scheinen sehr davon überzeugt zu sein, dass endlich mehr Gerechtigkeit geübt werden soll. Inwiefern ausgerechnet die Grünen ein Garant dafür sein können, erschliesst sich mir aktuell nicht. In Deutschland unterstützen sie aktuell einmal mehr eine hübsch und populistisch klingende Forderung zur Steuergerechtigkeit, die einigermassen hemmungslos auf die kleinen Leute abzielt [3].

2017-08 - Weg Titelbild.JPG

Ein weiteres Bild aus meiner Heimat, vom schönen Sommer 2017. Eigene Aufnahme.


Nach der kurzen Einleitung komme ich nun also zum Inhalt.

Mir ist gestern im Kopf herumgegeistert, dass gerade aus einem Gerechtigkeitsmotiv oder aus moralischen Gründen die im Westen vorherrschenden Sozialstaaten im globalen Kontext betrachtet zweifelhaft sind. Diese Gedanken habe ich mit eigenen Erfahrungen kombiniert, so dass sicher ein einigermassen langer und kontroverser Artikel daraus entstanden ist.

In den vergangenen Dekaden wurden allerlei soziale Sicherungssysteme eingebaut. Von der Altersvorsorge, die zunächst nur aus einem Umlagesystem, dem Rentensystem bestand, dann um die berufliche Vorsorge und um zunächst steuerbegünstigte Produkte zur privaten Vorsorge erweitert wurde. Es gibt staatliche Arbeitslosenversicherungen, Grundsicherung, Hartz IV in Deutschland, die Sozialhilfe in der Schweiz und noch vieles mehr. Einiges davon wird direkt aus zweckgebundenen Abgaben bezahlt, anderes, wo das eingenommene Geld nicht reicht, wird mit Steuermitteln querfinanziert oder mittels Neuverschuldung, die noch nie so günstig war, wie heute. Wenn ich mich recht erinnere (muss nicht sein), wird in Deutschland die klassische Rente bereits heute jährlich mit etwa € 86 Mia. [4] - also etwa € 1'100 pro Einwohner und Jahr - aus Steuermitteln mitfinanziert, Tendenz rasch steigend. Wer sich die Prognose des Philosophen und Finanzberaters Jürgen Fritz ansieht [5], der die Zukunft Deutschlands im wesentlichen in den Händen von 8 Millionen hoch Produktiven Menschen sieht, Nettosteuerzahler gibt es aktuell noch 27 Millionen, kann leicht sehen, dass diese in Zukunft entweder noch viel produktiver werden müssen oder abwandern werden, wenn es ihnen wirklich zu bunt wird, falls man das dann noch zulässt.

Es gibt also kaum eine Institution, die in grösserem Masse Pleite ist, als das deutsche Rentensystem, ich bin übrigens nicht der Überzeugung erlegen, dass es in anderen Ländern viel besser aussieht, auch nicht in der Schweiz, ich plane für mich offiziell keinen Ruhestand. Für mich ist vollkommen klar, dass ich werde arbeiten müssen, bis ich eingesargt werde. Noch vor wenigen Wochen schrieb ein namhaftes, deutsches Medienerzeugnis [6], dass die Deutsche Rentenversicherung nur ein relativ geringes Defizit aufwies, es lag im Bereich von etwa einem Prozent von dem, was ausbezahlt wurde. Wenn aber in etwa 30 Prozent des ausbezahlten Geldes aus eigentlich nicht dafür vorgesehenen Mitteln stammt, muss man sich die Frage stellen, wie das Defizit gerechnet wurde.

Wichtig nach diesen Ausführungen, ist eines. Die Menschen in den westlichen Industriestaaten sind weitgehend abhängig von den Sozialwerken ihrer Staaten. Auch wenn diese Staaten vielfach extrem verschuldet sind, bei den Banken, die sie zu kontrollieren und zu regulieren vorgeben. Ein solcher Staat kann in seiner Souveränität durchaus mit einem rebellischen Jugendlichen verglichen werden, der nicht Herr über seine Finanzen war und sich nun im Recht glaubt, von seinen Eltern nicht nur den Ausgleich seines Defizits zu verlangen, sondern auch noch darüber meint, diesen Vorschriften machen zu dürfen. Dass Staaten Banken kontrollieren, kann aus dieser Perspektive als illusorisch bezeichnet werden, der Staat ist der Patient, wer der Arzt ist, ist unklar, die Banken dürften es nicht sein.

Wenn ich von der immensen Verschuldung einiger Industriestaaten spreche, so konnten diese das überhaupt nur tun, weil über die vergangenen Generationen in diesen viele Werte geschaffen wurden. Die Produktivität ist gestiegen, weswegen auch die Bonität dieser Staaten von Ratingagenturen hoch bewertet werden. Auch wenn die Staaten nahezu unendlich viel Geld ausgeben, wird in der Volkswirtschaft, im privaten Sektor, vergleichsweise viel Gegenwert erschaffen. Trotzdem sollte man es mit dem Ausgeben von Geld nicht übertreiben, denn, wer mehr ausgibt, als er einnimmt, fängt an, seine Ersparnisse zu verzehren. Helfen die bereits erwähnten Ratingagenturen durch zu gute Einschätzungen beim Geldausgeben und Schuldenmachen mit, kann es sogar sein, dass nicht nur die Ersparnisse in Gänze aufgebraucht, sondern auch Verbindlichkeiten eingegangen werden, die bei einem Zusammenbruch einen unvorstellbaren Schuldenberg und eine Menge an Leistungsansprüchen hinterlassen. Solange die Menschen in einer solchen Situation noch zu essen haben, werden sie sich darum streiten, wer den nun den Anspruch eher geltend machen kann als ein anderer. Am Ende wird man aber merken, dass gar nichts mehr vorhanden ist und man deswegen, wenn man sich nicht selber versorgt, in den Hungertod gehen wird.

Eine Verschuldung, wie ich sie eben erwähnt habe, ist nur in einem Industrieland in diesem Masse möglich. Wirtschaftlich weniger starke Länder, das gilt für die meisten Länder in Afrika, Südamerika und Asien, müssen besser haushalten und würden bei einer ähnlichen Finanzpolitik viel früher in einer Hyperinflation landen. Von den Bürgern dieser Länder wird also mehr Selbständigkeit und Fähigkeit zur Selbstversorgung verlangt, als in den Industrieländern. Auch wenn in diesen Ländern die Infrastruktur nicht gut ausgebaut ist, nach Verbesserungen schreit und auch Bildung nicht im Überfluss vorhanden ist, müssen sich die Menschen dort selber versorgen können, wenn sie überhaupt überleben wollen. Dazu können sie nicht auf grosszügig vorhandene Ersparnisse zurückgreifen, sondern starten ihr Leben in wirklich prekären Verhältnissen. Von diesen Menschen wird also eine Leistung verlangt, die man den Bürgern von Industriestaaten nicht (mehr) abverlangt, obwohl man diese zumeist für mindestens 10 Jahre in die Schule und dann noch in eine Berufsausbildung oder/und ein Studium schickt. Was, wenn nicht das, kann die Ineffizient westlicher Bildung deutlicher zeigen?

In den Industrieländern leistet man sich heute sogar den Luxus, junge Menschen teilweise bis sie 30 Jahre alt sind auf dem Abstellgleis der Unproduktivität zu parken, währenddessen man sie vielleicht mit etwas Entgelt aus den Sozialkassen ruhig stellen kann. Nicht zu vergessen: das sind im weltweiten Durchschnitt betrachtet, alles Hochgebildete, wer es zynischer mag, sagt dazu vielleicht Hochverbildete. In der EU, in der man am Anfang der 2000er Jahre noch von der Abschaffung der Jugendarbeitslosigkeit sprach, gibt es diese mittlerweile in mehr als substantiellem Ausmass. In den südeuropäischen Ländern Spanien, Portugal, Italien und Griechenland, teilweise auch Frankreich spricht man von einer verlorenen Generation. Wie man diesen Menschen weiterbringen kann, darüber mache ich mir immer wieder Gedanken. Bisher steht für mich eines fest, der Staat wird in der Lösung des Problems allerhöchstens einen marginalen Platz einnehmen.

Wer zum Vergleich in einem Nicht-Industrieland bis zum Ende seines 30. Lebensjahr nicht schon etwa 15 Jahre gearbeitet hat, dürfte in der Zwischenzeit kaum mehr unter den Lebenden sein oder ist mindestens auf ein sehr gut funktionierendes Familiennetzwerk angewiesen. Als Krönung der Heuchelei wird im Westen, besonders in rohstoffarmen Ländern, gerne ein Mantra verbreitet, dass Bildung unsere einzige Ressource sei, dass gute Bildung unerlässlich sei und dass man eigentlich nie genug Geld dafür ausgeben kann. Es wird teilweise sogar gesagt, dass bei der Bildung nicht gespart werden kann, was automatisch impliziert, dass es vor allem wichtig ist, dass man viel Geld für Bildung ausgibt. Wofür ist also sekundär, wichtig ist erst einmal, dass es viel ist. Dabei kann vielerorts gespart werden. Lehrbücher, wenn auch vielleicht nicht mit den neuesten Impulsen des Zeitgeistes versehen, gibt es ausserhalb des Urheberrechts in Hülle und Fülle im Internet. Für solche Inhalte muss man aktuell kaum mehr Geld ausgeben. Wichtig ist, dass es ein paar Leute gibt, die gelernt haben, wie man sich selber Dinge beibringt und die Inhalte vermittelt, das müssen nicht einmal die gleichen sein. Sind solche Leute vorhanden, steht guter Bildung Tür und Tor offen.

Eine solche Dekadenz, wie eben beschrieben, ist in weiten Teilen der Welt völlig undenkbar. Wäre ich Präsident eines armen oder aufstrebenden Landes, würde ich mich unbedingt in pro marktwirtschaftlicher, aber dezidiert antiwestlicher Rhetorik üben. Mit antiwestlich meine ich nicht die geniale Errungenschaft des Individualismus, das endlich dem Einzelnen ermöglicht, für sich selber zu stehen und seine Energie vollständig freizusetzen. Auch meine ich damit nicht die Marktwirtschaft, die die Menschen in einem Masse selbständig gemacht und zu Wohlstand gebracht hat, wie es sich vor Jahrhunderten noch keiner vorstellen konnte. Ich meine die angesprochenen Auswüchse der Dekadenz, welche sich des öfteren in seltsamen Einbildungen von Moral kristallisieren. Als eben genannter Präsident würde ich dem sehr oft auftretenden moralischen Sendungsbewusstsein einiger, vor allem westlich geprägter Weltverschlimmbesserer in härtester Weise widersprechen. Die Abhängigkeit der Bürger der Industriestaaten von diesen Staaten würde ich verspotten. Denn, da hat man hochkomplizierte Bildungssysteme hochgezogen, in denen man die Menschen ausbildet, gleichmacht und konditioniert, wobei man im Ergebnis sieht, dass diese trotzdem oder gerade deswegen gar nicht für sich selber sorgen können. Trotz einem vor einiger Zeit angehäuften, immensen Reichtum sind die Menschen also weder frei noch selbständig, was eine unglaublich schlechte Leistung darstellt, nicht?

Man kann die Geisselung noch weiter treiben: Die Industriestaaten, haben ihre jungen Generationen nicht nur in Sachen Produktivität teilweise aufs Abstellgleis gesetzt, sondern sie durch ihre immense Verschuldung eigentlich zur Leistungserbringung und Produktivität verpflichtet. Wer es auf die Spitze treibt, kann diesen Vorgang auch Versklavung nennen.


[1] Geographie 005 - Einige Daten zur Oberfläche des Planeten Erde. @saamychristen, 16. August 2017 https://steemit.com/deutsch/@saamychristen/geographie-005-einige-daten-zur-oberflaeche-des-planeten-erde
[2] Der Bodenatlas - Daten und Fakten über Acker, Land und Erde. 4. Auflage 2015, Heinrich Böll Stiftung, IASS Potsdam, BUND, Le Monde diplomatique. Lizenz: Creative Commons Lizenz CC-BY-SA https://www.boell.de/sites/default/files/bodenatlas2015_iv.pdf?dimension1=ds_bodenatlas
[3] Offener Brief zur Anzeige von Steuervermeidung an die Grünen. Horst Lüning YouTube Kanal, 16. August 2017

[4] Rente - Bundeszuschuss erstmals über 100 Milliarden Euro. Handelsblatt.de, 17. August 2016, http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/rente-bundeszuschuss-erstmals-ueber-100-milliarden-euro-/14024558.html
[5] Jürgen Fritz: Ökonomische Zukunft Deutschlands liegt auf dem Rücken von nur 8 Millionen Bürgern. Epoch Times, 08. August 2017, von Jürgen Fritz http://www.epochtimes.de/politik/deutschland/juergen-fritz-oekonomische-zukunft-deutschlands-liegt-auf-dem-ruecken-von-nur-8-millionen-buergern-a2184356.html
[6] Mehrbelastungen - Rentenkasse macht 2,2 Milliarden Euro Minus. FAZ.net, 26. Juni 2017, von Dietrich Creutzburg http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/was-wird-aus-der-rente/deutsche-rentenversicherung-macht-2-2-milliarden-euro-minus-15077769.html

H2
H3
H4
3 columns
2 columns
1 column
Join the conversation now
Logo
Center