Lillli liest Bregman II oder „Warum geschenktes Geld nicht faul macht, sondern Würde gibt.“

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Im ersten Teil meiner Rezension des Buches “Utopien für Realisten“ von Rutger Bregman sollte deutlich werden, dass ein gewisses Maß an Sicherheit durch das Vorhandensein von Geld dazu führt, dass Menschen ein selbstbestimmteres und intelligenteres Leben führen können. Der zweite Teil dient dazu anhand von Auszügen aus seinem Buch das Argument zu widerlegen, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen dazu führt, dass alle sich auf die faule Haut legen und die Wirtschaft daran kaputtgeht, im Gegenteil, ein menschenwürdigeres Leben möglich macht.

Tatsächlich standen die Vereinigten Staaten von Amerika, also die USA, schon mal kurz vor der Einführung eines solchen bedingungslosen Grundeinkommens. (S. 45, S. 48). Sowohl Präsident Lyndon B. Johnson war sehr angetan davon als auch Präsident Nixon hatte schon konkrete Pläne und Gesetzesentwürfe. Vorher wurden aber natürlich Experimente durchgeführt.
Zum Beispiel: Es wurden mehrere Millionen Dollar bereitgestellt um 8500 Bewohner*innen von New Jersey, Pennsylvania, Iowa, North Carolina, Indiana, Seattle und Denver ein Grundeinkommen zu finanzieren. Es gab Versuchs- und Kontrollgruppen und es sollten drei Fragen beantwortet werden:


„1. Würden die Menschen deutlich weniger arbeiten, wenn sie ein garantiertes Grundeinkommen erhielten?“
„2. Würde ein solches Programm zu teuer sein?“
„3. Würde es sich als politisch nicht durchsetzbar erweisen?“

Und die Antworten?

„Nein, nein und ja“ (S. 45)


Es gab weder einen massenhaften Rückzug aus der Arbeitswelt (S. 45), noch setzten sich die Jugendlichen vor Ego-Shooter. Im Gegenteil, sie investierten in eine bessere Ausbildung: „Unter den Versuchsteilnehmern in New Jersey stieg der Anteil der Highschool-Absolventen um 30 Prozent.“ (S. 46 zitiert aus Dylan Matthews „A Guaranteed Income for every American Would eliminate Poverty – And It Wouldn’t Destroy Economy“)

Was sagten die Experten zu den Ergebnissen und der Finanzierbarkeit?

„Im Jahr 1968, als weltweit die Studentenrevolte begann, schrieben fünf bekannte Ökonomen – John Kenneth Galbraith, Harold Watts, James Tobin, Paul Samuelson und Robert Lampman – einen offenen Brief an den Kongress:“

„Das Land hat seine Pflicht gegenüber den Bürgern erst erfüllt, wenn jedermann ein garantiertes Grundeinkommen bezieht, das nicht unterhalb der amtlichen Armutsgrenze liegen darf.“

„erklärten sie in einem Artikel, der auf der New York Times erschien. Die Kosten, so die Ökonomen, würden beträchtlich sein, aber „durchaus im Rahmen der wirtschaftlichen und finanziellen Möglichkeiten des Landes liegen.““ (S. 46-47)

1200 Wirtschaftswissenschaftler hatten diesen Brief unterzeichnet!!!

Nixon reagierte positiv, die Zeitungslandschaft prognostizierte weite Zustimmung zu diesem Projekt: „Es schien, als wäre die Zeit des Grundeinkommens tatsächlich gekommen.“ (S. 47)

Das Absurde, was in den USA (aber bestimmt auch anderswo passiert) geschah, der Kongress winkte das Gesetz durch. Erst im Senat zweifelte der Finanzausschuss der Republikaner an dem “umfassendsten, kostspieligsten und expansivsten Sozialgesetz“ (S. 48), gescheitert ist das anschließende Tauziehen aber wohl an den Demokraten. Ihnen war die Höhe des Grundeinkommens zu niedrig… (S. 48)

Ich will jetzt nicht zu sehr ins Detail gehen, vielleicht möchte der eine oder andere das Buch ja auch noch selber lesen, aber für mich war es beim lesen eine unglaubliche Überraschung, dass es dieses Thema überhaupt jemals schon in den USA gab und in den70er-Jahren 80 Prozent der US-Amerikaner ein bedingungsloses Grundeinkommen befürworteten!!!

Und noch einmal zurück zu der Finanzierbarkeit, laut Bregman befinden wir uns zum ersten Mal in der Geschichte in der Situation tatsächlich reich genug zu sein, um ein ausreichendes Grundeinkommen bezahlen zu können:

„Die Ausrottung der Armut in den USA würde nur 175 Milliarden Dollar kosten, das heißt nicht einmal 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das entspricht etwa einem Viertel der amerikanischen Verteidigungsausgaben.“ (S. 50)

Weiter argumentiert Bregman, dass das Bedingungslose Grundeinkommen nicht nur einen Weg aus der Armutsfalle bietet, sondern ihnen ja auch den Anreiz gibt, sich auch um eine bezahlte Arbeit zu kümmern. Denn das Grundeinkommen ist ja bedingungslos und würde auch nicht entzogen, wenn jemand eine Beschäftigung findet. So könne sich die Situation eines Menschen nur verbessern. (S. 51)


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Ein Beispiel aus einem Reservat, bei welchem sich durch die gemeinschaftliche Teilhabe an den finanziellen Erträgen eines Casinos nicht nur die finanziellen Lebensumstände aller verbesserte, sondern Verhaltensstörungen bei Kindern um 40 Prozent zurückgingen, kriminelles Verhalten drastisch sank und die Wahrscheinlichkeit von Straffälligkeit im Alter von sechzehn Jahren um 22 Prozent verringert. (S.59).

„Wie die Cherokee Vickie L. Bradley erklärt, verringerte das Zusatzeinkommen vor allem den Druck auf die Familien, sodass sie die Energie, die früher durch die Sorgen über ihre finanzielle Situation aufgezehrt worden war, jetzt ihren Kindern widmen konnten. Und „das hilft Eltern, sich in bessere Eltern zu verwandeln“, erklärt Bradley.“ (S. 60)


Der Fluch der Ka…, nein: Ungleichheit

Leider ist die Situation aber nicht einfach nur so, dass wir alle glücklicher und intelligenter werden, wenn wir alle ein bedingungsloses Grundeinkommen haben. Ein weiter Faktor ist die sogenannte relative Armut. Je größer das Gefälle zwischen arm und reich, desto mehr gäbe es laut dem britischen Wissenschaftler Richard Wilkinson eine „psychologische Konsequenz, dass sich Menschen in ungleichen Gesellschaften mehr Sorgen darübermachen, wie sie von anderen eingeschätzt werden.“

„Das beeinträchtigt die Qualität der Beziehungen und führt beispielsweise zu Misstrauen gegenüber Fremden sowie zu Statusangst. Der chronische Stress trägt erheblich zu Krankheiten und chronischen Gesundheitsproblemen bei.“ (S. 72)
Hört sich immer noch alles ziemlich links an, jeder sollte es doch aus eigener Kraft schaffen oder nicht? Vom Tellerwäscher zum Millionär? Bregman schlägt vor, dies eher in Schweden als in den USA zu versuchen, da ist dieser Traum inzwischen nahezu unmöglich geworden. (S.72.)

„Der Intenationale Währungsfonds hat kürzlich festgestellt, dass ein zu hohes Maß an Ungleichheit tatsächlich Wirtschaftswachstum hemmt.“ (S. 72-73 zitiert aus „Redistribution, Inequality and Groth“ Internationaler Währungsfonds, April 2014)

Es folgt bei Bregman ein längeres Kapitel über das Scheitern der Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens durch Nixon (s. 81-96), das sehr lesenswert ist, hier aber den Rahmen sprengt.

Big Brother im Sozialstaat

Unser Sozialstaat hat sich ein den letzten Jahrzehnten in einen Überwachungsstaat verwandelt. Sogenannte „Aktivierungsmaßnahmen“ zur Integration: „Selbst wenn es zehn Bewerber für jeden Arbeitsplatz gibt, wird das Problem nicht in der Nachfrage, sondern im Angebot gesucht – also bei den Arbeitslosen (…).“ (S. 98-99)

Nehmen wir noch das Beispiel von Bregman einer alleinerziehenden Mutter, welche von Sozialhilfe abhängig ist und deren Leistungen noch zusätzlich gekürzt werden, „weil sie ihre Qualifikationen nicht ausreichend weiterentwickelt hat.“ (S. 99) Die versteckten Kosten, durch in Armut aufwachsenden Kindern, schlechter Ernährung, mangelhafter schulischer Leistungen und einer höheren Wahrscheinlichkeit der Straffälligkeit, bleiben unbeachtet und belasten das Sozialsystem am Ende erheblich stärker. (S. 99) Auch hier kommt das Argument der Knappheitsdemenz meiner Meinung nach wieder erheblich zum Tragen.

Aber die Pointe kommt noch:

„Das gegenwärtige bürokratische Gewirr hält die Menschen in der Armut gefangen, ja, es macht sie abhängig.“

„Während Beschäftigte auf dem Arbeitsmarkt ihre Stärken zeigen sollen, erwarten die Sozialdienste von Hilfeempfängern, ihre Defizite nachzuweisen, ein ums andere Mal zu belegen, dass eine Krankheit sie tatsächlich arbeitsunfähig macht, dass sie durch eine Depression ausreichend behindert werden und dass ihre Aussichten auf einen Arbeitsplatz wirklich miserabel sind.“

„Gelingt ihnen der Nachweis ihrer Untauglichkeit nicht, werden ihnen die Leistungen gekürzt.“ (S. 99-100)

Diese Verfahren sind nicht nur entwürdigend und damit ein Verstoß gegen den ersten Artikel unseres Grundgesetzes, nein, sie kosten auch noch jede Menge Geld, welches bei weitem besser in ein bedingungsloses Grundeinkommen investiert werden könnte und so auch die, ich sage es nochmal, entwürdigende Praxis abgeschafft werden könnte.

Utopien sind nicht nur Träume, sondern Ziele, und dieses ist in greifbarer Nähe!


Dies ist der zweite Teil der Buchbesprechung "Utopien für Realisten, Teil 1 findet hier ihr:

Lilllli liest Bregman I oder "Warum Armut dumm macht"
(https://steemit.com/deutsch/@lillliputt/lillli-liest-bregman-oder-warum-armut-dumm-macht)

Teil 3 findet ihr hier:
Lillli liest Bregman III oder „Wenn 15 Stunden reichen, was machen wir dann mit der ganzen Freizeit?“
(https://steemit.com/deutsch/@lillliputt/lillli-liest-bregman-iii-oder-wenn-15-stunden-reichen-was-machen-wir-dann-mit-der-ganzen-freizeit)

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