Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat | The Resistance to Civil Government – Henry David Thoreau

Was bedeutet es, frei geboren zu sein, aber nicht frei zu leben?
»Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat«, Essay von Henry David Thoreau (1849)

Mit einem der großen und frühen Pioniere des Libertarismus, Henry David Thoreau, haben wir uns bei Konterrevolution bereits eingehend auseinandergesetzt, als seine literarische Hommage an die Natur und das selbstbestimmte Leben aus dem Werk “Walden oder Leben in den Wäldern” vorgestellt wurde. Doch der amerikanische Schriftsteller und Philosoph Thoreau hatte im Laufe seines schriftstellerischen Wirkens nicht nur seine Erfahrungen mit und in der Natur, sondern auch immer wieder sein Misstrauen gegenüber den Staat, seinen Regierungen und seinen willkürlichen Gesetzen ausführlich niedergeschrieben. Am eindrucksvollsten sicherlich in seinem 1849 erstmals abgedrucktem Werk “Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat”.

Diese Streitschrift kann als Handbuch und ebenso Inspirationsquelle für den friedlichen zivilen Ungehorsam gegenüber jeglicher willkürlicher Autorität gelten. Einer Art des zivilen Ungehorsams, der allen Libertären und Individualanarchisten nicht nur ein Anliegen sondern auch ein innewohnendes Element sein sollte. Es war eine präzise und scharfe Erkenntnis Thoreaus, dass auch ein so junger Staat wie die USA, samt seiner hehren Verfassung und allen damit einhergehenden Rechten, keinesfalls ein naturgegebener Garant für persönliche Freiheit und Entfaltung ist. Dem in Massachusetts lebenden Philosophen ging es in seiner Schrift daher vor allem darum, die scheinbar gottgegebene Legitimität von Recht und Gesetz einer moralischen Prüfung zu unterwerfen und wo notwendig, Moral und Vernunft des Individuums über das positive Recht des Staates zu setzen, mit allen Konsequenzen.

“Die beste Regierung ist die, welche gar nicht regiert”

Für Thoreau war klar: Der Staat, besser gesagt seine Regierung, ist immer ein volatiles Instrument in den Händen einiger weniger Mächtiger, welche dadurch der Möglichkeit anheimfallen, die leicht manipulierbare Masse (das Volk) nach ihren Belieben zu lenken. Dabei sei die Herrschaft einer Regierung sowie jeder anderer übergeordneten Autorität kein Produkt des Naturzustandes, sondern lediglich die Vorstellung einer Tradition, die irgendwann ihren Anfang nahm und bis in alle Ewigkeit weitergeführt wird. Herrschaft ist eine Sache die im Kopf entsteht und nicht auf den Bäumen wächst. Daher muss es auch nicht in erster Linie die Regierung sein, welche betrügt und belügt. Dieser Schritt setzt bereits vorher im Bürger ein, denn er betrügt sich zu seinem scheinbaren Eigennutzen selbst, indem er Freiheit für Sicherheit abgibt und von diesem Punkt an willenlos dem Diktat der Mehrheit (in Demokratien) unterworfen wird. Bei Thoreau kann die Mehrheit jedoch niemals auf Gerechtigkeit gegründet sein, da in ihr das Gewissen ebenso wie die Moral untergeht. Der Respekt vor der Gerechtigkeit wird durch den Respekt vor dem (willkürlichen) Gesetz ersetzt: “Die Mehrzahl der Menschen dient also dem Staat mit ihren Körpern nicht als Menschen, sondern als Maschinen.” S. 10

In solchen rechtsbasierten Gebilden, die wir Staaten nennen, ist es folglich nicht verwunderlich, dass jene die sich ihren Mitmenschen hingeben und uneigennützig handeln als nutzlos, ja sogar als Feinde des Gebildes erscheinen, jene aber die ihre Uneigennützigkeit nur vortäuschen und andere in Wahrheit übervorteilen, zu Wohltätern und Menschenfreunden erklärt werden. Der Staat und seine Regierung benötigen Konkurrenz und keine Kooperation, um überlebensfähig zu bleiben und die Legitimität der alleinigen Gewaltanwendung möglichst lange aufrechterhalten zu können.

Kritik am Dasein des Staatsbürgers

Im weiteren Verlauf des Essays, macht Thoreau zentrale Punkte seiner Kritik nicht nur am Staat, sondern auch am dadurch entstandenen Dasein als Staatsbürger fest. Es ist eben jener Staatsbürger, der seine moralischen Grundsätze und sein Recht auf Widerstand bei der Jurisdiktion abgibt und sich so quasi selbst entmündigt. Anders kann sich der Philosoph prägende Phänomene seiner Zeit, wie Krieg und Sklaverei, nicht erklären. So fasst er sinngemäß zusammen, “es gibt Tausende, die im Prinzip gegen Krieg und Sklaverei sind und die doch praktisch nichts unternehmen.” S.13 Ein Sittenbild, dass wir aus Gesellschaften westlicher Demokratien nur zu gut kennen. Unrecht und Willkür sind allseits bekannt, doch die vielschichtigen Dependenzen des Lebens als Staatsbürger lassen keine Reaktion aus dieser Erkenntnis erwachsen. Der wohlsituierte Citoyen vertraut lieber darauf, dass der “Nanny-Staat” seinen fragwürdigen Pflichten nachkommt, damit man selbst nicht mehr an den diversen Fehlentwicklungen anstoß nehmen muss. Das höchste der Gefühle, wenn es zu Selbstbestimmung und Eigenverantwortung kommt, ist noch die Wahl. Das Abgeben der Gerechtigkeit in eine Urne, für nichts mehr als leere Versprechungen und das Diktat der Mehrheit, der wiederum Tugend und Moral fehlt. Der Philosoph kritisiert hier besonders die Selbstzufriedenheit des Bürgers moderner Gesellschaften mit seiner eigenen Meinung, die alles andere an naturgegebenen Freiheiten zu ersetzen scheint. Eben dieser Citoyen hält sich ob seiner Meinung für den Gipfel des intellektuellen Liberalen, der so liberal ist, dass er den freien Gedanken seiner Mitmenschen fürchtet wie der Teufel das Weihwasser.

So kommt es auch zu dem Paradoxon, dass eben jene die oftmals die Einstellungen und Maßnahmen der Regierung kritisieren und missbilligen, auch jene sind die wiederum ihre glühendsten Verfechter und ehrhaftesten Verteidiger sind. Thoreau nennt dies treffend den “kleinen Fehler, welcher der Tugend des Patriotismus anhaftet.” S. 16 Als Grund für dieses Verhalten identifiziert er die Abhängigkeit und Furcht vor der Staatsgewalt. Wer Angst um seine Familie und sein Eigentum haben muss, wenn er sich seiner Freiheit entsprechend verhält – und wie Thoreau beispielsweise keine Steuern bezahlt – dem wird es unmöglich gemacht, ehrlich und angenehm zu leben. Die Willkür des Gesetzes sitzt einem immer im Nacken.

Im Gefängnis

Thoreau, freilich, schlug einen anderen Weg ein. Als Minimalist verzichtete Zeit seines Lebens sowohl auf die Anhäufung von Eigentum, als auch auf die Gründung einer Familie, um so unter anderem den langen Armen des Staates nicht vollends ausgeliefert zu sein. Als er für einen Tag in das Gefängnis seiner Heimatstadt Concord geschafft wurde, weil er keine Wahlsteuern bezahlte – der Aufenthalt wurde letztlich Grund für seinen vorliegenden Essay – fasste er seine dadurch gewonnene Erkenntnis philosophisch zusammen. Nicht der Mensch ist es, der sich vor dem Staat zu fürchten hat, der Staat ist es, der sich vor den Menschen in Acht nehmen muss, da er niemals Zugriff auf deren Geist haben wird. Der Staat könne zwar den Körper bestrafen, nie jedoch den eigenwilligen Geist des Individuums fassen. Er spricht vom “inneren Wesen”, das nicht für den Zwang bestimmt wurde und mit dem sich der Staat weder intellektuell noch moralisch auseinandersetzen kann.

Dieses innere Wesen ist bei Staatsmännern, Gesetzgebern und Institutionen nicht zu erkennen. Denn sie verstecken sich hinter der geschützten, undurchsichtigen Fassade der Intransparenz und des Schweigens, anstatt auf einer Stufe mit ihren Regierten zu interagieren: “wo die Wahrheit nicht hinkommt, da wächst eine Institution heran” S. 60 Daraus leitet Thoreau das unverletztliche Recht auf Selbsteigentum ebenso wie die Unbrauchbarkeit solcher Personen und Institutionen für das Individuum ab, dass letztlich besser ohne sie für sich selbst sorgen kann. Ein Staat ist nicht gerecht, wenn er den Individuen nicht gewährt, auch außerhalb des seinigen Gebildes ein Leben zu fristen und ihnen folglich nicht als wohlwollender Nachbar sondern als Herrscher begegnet. Das ökonomische, politische wie moralische Diktat des Staates gilt es abzuschütteln.

“WENN ABER DIE TRÄGHEIT EINEN EIGENEN APPARAT ERHÄLT, WENN UNTERDRÜCKUNG UND RAUB ORGANISIERT WERDEN, DANN SAGE ICH: WIR WOLLEN SOLCH EINEN APPARAT NICHT LÄNGER DULDEN.” S. 11

Die praktische Umsetzung des Ungehorsams

Jeder Mensch, sieht er sich selbst als Bürger oder einfach als Individuum, hat das Recht, dem Staat und seiner in ihm waltenden Regierung die Gefolgschaft zu verweigern. Das Naturrecht wird zur Bürgerpflicht erhoben, da diese auf ihre Zweckmäßigkeit zurückgeführt wird. Natürlich herrscht für niemanden die Pflicht des Widerstandes, aber es besteht zumindest die moralische Pflicht, nicht am Unrecht des Staates und seiner Regierungen beteiligt zu sein oder aktiv mitzumachen. Verweigerung ist hier ein probates Mittel: “Mach dein Leben zu einem Gegengewicht, um die Maschine aufzuhalten.” S. 18

Thoreau schreibt im Sinne seiner Auslegung des zivilen Ungehorsams, dass es egal ist wie gering die Anfänge seines Engagement ist, denn was einmal wohlgetan wurde, ist für immer getan. Die “friedliche Revolution” beginnt dann, wenn beispielsweise tausende Bürger einfach keine Steuern mehr bezahlen. Hierfür muss kein Blut in den Straßen fließen, der Untertan muss sich lediglich seiner Rolle bewusst werden und den Gehorsam verweigern. Letztlich beginnt jeder Widerstand im Geiste. Um diesen rein zu halten und auf das wesentliche im Leben zu fokussieren, empfiehlt Thoreau – wie schon in “Walden oder Leben in den Wäldern” – die Hinwendung zur Natur. Man lernt von ihr indem man sich in ihr aufhält, sie ehrt und von ihr lernt. Ebenso empfiehlt der Philosoph nicht nach Geld und Reichtum sondern nach einer Tätigkeit, die einen erfüllt und seinen natürlichen Interessen entspricht, zu streben. Ansonsten werde man immer dafür entlohnt, nicht ganz Mensch zu sein: “Ein tüchtiger und wertvoller Mensch tut, was er kann, ob die Gesellschaft ihn bezahlt oder nicht” S.42

Als letzte Empfehlung weist uns Thoreau darauf hin, sich von der Masse und ihren Wegen zu entfernen und den höheren Weg zu wählen. Denn nur jener der seinen eigenen Weg geht, den des Individuums, wird Erfüllung finden.

Beitragsbild: © www.ancientanswers.org thoreau.jpg

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