Individueller Konservatismus vs. kollektivistischer Konservatismus


Übersicht

Wir leben in einer Zeit, in der viel über Konservatismus diskutiert und das Gegenstück dazu "progressiv" genannt wird.  Beides davon ist denkwürdig. Denn dabei muss man sich zwei Fragen stellen:

1. Warum muss über Konservatismus diskutiert werden?

2. Ist es fortschrittlich (progressiv), nicht-konservativ zu sein?

Ich werde im folgenden versuchen, beide Fragen zu beantworten. Als Libertärer, der die Freiheit des Individuums anstrebt, habe ich mir vor allem Gedanken darüber gemacht, ob konservativ gleich konservativ ist. Meiner Theorie nach muss man nämlich streng zwischen individuellem und kollektivistischem Konservatismus unterscheiden.

Dabei werden dann u.a. weitere folgende Fragen geklärt: 

3. Warum muss man unterscheiden?

4. Warum wird Konservatismus vor allem mit Tradition und Religion gleich gesetzt?

5. Warum sind "konservative" Gläubige einiger Religionen homophob?

6. Brauchen wir Konservatismus?


Was ist Konservatismus?

Wie schon angesprochen, wird Konservatismus assoziiert mit Rückschritt, Tradition, verstaubt, alt, unnütz, nicht modern etc. Selten jedoch wird dabei geklärt, was Konservatismus tatsächlich ist. Um das herauszufinden gibt es einen einfachen Trick, der so selten genutzt wird, dass man darüber ein ganzes Buch schreiben könnte. Es würde dann wohl so etwa "Sprachverfall - warum Definitionen Gold wert sind" heißen. Also, der Trick ist, sich über die Herkunft des Wortes zu informieren - wobei man schnell auf den Trichter kommt, dass es aus dem Lateinischen kommt - und das lateinische Wort "conservare" übersetzt. 

Die Überraschung: Es heißt nicht "Rückschritt" oder "Staub", sondern "erhalten", "bewahren" oder auch "sparen". Kann man sogar schon bei der Wikipedia-Seite zu Konservatismus lesen. Darauf hätte man auch kommen können, wenn man an Konservendosen denkt. Denn wofür sind diese gut? - Man kann Nahrungsmittel extrem lange darin aufbewahren.

Im Prinzip dürfte damit alles geklärt sein und ich könnte aufhören zu schreiben. Allerdings scheint es wohl so zu sein, dass obwohl Wikipedia wohl eine der meistbesuchtesten Seiten ist, kaum jemand auf den Gedanken kommt, sich mit ständig verwendeten Begriffen auseinander zu setzen, sie entsprechend zu verwenden und sich dafür einzusetzen, dass wir wieder zu definitionsgemäßen Begrifflichkeiten zurückkommen und nicht jeder seine eigene Definition verwendet und diese dann bei Bedarf wechselt wie seine Unterhosen. 


Kollektivistischer Konservatismus

Konservatismus bedeutet also "erhalten". Viele Leute wollen Dinge erhalten, kritisieren die Wegwerfgesellschaft und gehen mit Jutebeutel einkaufen. Oft die selben Leute, die konservative Mitmenschen als "ewig gestrig" bezeichnen. Konservative wollen meistens ihre Kultur, ihre Religion oder ihr Land erhalten. Was muss dafür getan werden? Man muss das zu bewahrende Objekt pflegen und vor ungewollter und potentiell destruktiver Veränderung schützen. 

Will ich also meine Kultur erhalten, engagiere ich mich in entsprechenden Vereinen, spende Geld an Museen u.ä. und fordere den Staat auf, mehr Geld zur Verfügung zu stellen. Dabei ist mir egal, dass das Geld dafür auch von Leuten kommt, denen meine Kultur völlig egal ist und die sich möglicherweise andere Prioritäten gesetzt haben. Als Kulturist setze ich mich dafür ein, dass historische Bauwerke nicht dem Erdboden gleich gemacht werden, dass Weihnachtsmärkte nicht in Wintermärkte umbenannt werden (eine von vielen Schnittmengen zu Gläubigen), dass sich das Bild meiner Stadt nicht zu stark verändert usw. Zusammengefasst sorge ich dafür, dass ich das, was ich an meiner Kultur schätze, schütze und vor äußeren Einflüssen bewahre.

Da Kultur eng mit einzelnen Ländern und Nationen einher geht, verhalten sich Patrioten oft genauso. Wobei Kulturisten und Patrioten wohl eine sehr hohe Schnittmenge haben. Ein Punkt wäre zum Beispiel das Kindergeld, das auch die Leute bezahlen müssen, die selbst gar keine Kinder haben, wollen oder brauchen, dann aber nicht in gleichem Maße wie die Eltern von der Investition Kind profitieren. Patrioten, Nationalisten und Kulturisten wollen natürlich vor allem ihr eigenes Volk konservieren, weswegen sie den sozialen Leistungen an  einem überproportionalen Ausländeranteil verständlicherweise kritisch gegenüberstehen. Hat man diesen Punkt des Konservatismus verstanden, kann man sich sämtliche weitere Faktoren wie Arbeitsplätze, Renten etc erschließen.  Deswegen gehe ich direkt auf die Religionsanhänger über.

Gläubige wollen vor allem zwei Dinge: Ihren Glauben so frei wie möglich leben und ihren Glauben verbreiten. Letzteres trifft auf die Gläubigen nicht zu, deren Religion man nicht ohne weiteres beitreten kann (bspw. Judaismus oder Hinduismus). Die bekanntesten Religionen, die auf Verbreitung angelegt sind und diese auch als Auftrag an ihre Anhänger haben, ist das Christentum und der Islam/Mohammedismus.

Als Gläubiger dieser beiden Religionen muss ich meinen Glauben ebenfalls konservieren.  Eine Religion existiert ausschließlich durch ihre Anhänger. Gibt es keine Gläubigen, gibt es auch keine gelebte Religion. Also muss der Glaube an die Religion - sofern sie auch in Zukunft existieren soll - in die Breite und auch auf die zeitliche Länge verbreitet werden. Erstere erhöht die Wahrscheinlichkeit auf das Letztere. Die eigenen Nachkommen werden dabei natürlich zur Verbreitung genutzt, die dann ebenfalls in die Breite und die Länge verbreiten sollen. Das bedeutet, dass die Kinder als potentielle Glaubensträger ebenfalls vor anderen oder gegenteiligen Einflüssen bewahrt werden müssen.  Sämtliches, was mit Konservatismus zu tun haben scheint - wie Tradition, Vorsicht vor bzw. Misstrauen in wirtschaftliche, technische oder politische Veränderungen ist somit nachvollziehbar.

Auch der Vorwurf der Homophobie lässt sich somit erklären. Denn als Kollektiv, das seinen Glauben, seine Kultur oder Ethnie auch in Zukunft erhalten will, ist man darauf angewiesen, dass die eigenen Nachkommen ebenfalls Kinder zeugen und den selben Anspruch haben. Als Nichtheterosexueller, der bei seiner Sexualität auch keine Kompromisse eingehen will, kann man keine eigenen Kinder zeugen. Beachtet man, dass Religionen, Kulturen, Nationen oder Ethnien nicht erst gestern erfunden wurden, sondern schon teils vor mehreren Tausend Jahren, wird auch klar, warum Religionen es als Dogma beinhalten, dass nur Mann und Frau zusammen sein, Kinder zeugen und großziehen sollen; oder warum Homosexualität lange Zeit in westlichen und bis heute in islamischen Ländern per Gesetz verboten und hart bestraft wird. 

Auch der Austritt aus einer Religionsgemeinschaft hatte und hat teils sehr schwerwiegende Konsequenzen: Als die katholische Kirche noch etwas zu sagen hatte, wurde Heiden die Hölle prognostiziert. Heute wird das in islamischen Ländern ähnlich gehandhabt, nur kommt eben hinzu, dass man Heiden aka Ungläubigen (aber auch Homosexuellen) die Hölle auf Erden bereitet oder sie per Erhängen oder Köpfen direkt dorthin befördert.

Kollektiver Konservatismus ist also nachvollziehbar, wenn man seinen Sinn/sein Ziel versteht. Gleichzeitig wird aber auch deutlich, dass er in der Kollektivversion die Freiheit und die Selbstbestimmung des Einzelnen zugunsten eines "hehren" Ziels einschränkt oder beschneidet, selbst wenn ein Einzelner gar nicht das selbe Ziel verfolgt.

Um hier auf Frage 2 einzugehen: Natürlich ist das, was für den einen rückschrittlich ist, für den anderen fortschrittlich progressiv. Für einen Mohammedaner ist es progressiv, seinen Glauben zu verbreiten. Für einen Atheisten oder Agnostiker (wie ich es bin), ist genau das ein deutliches Zeichen von Rückständigkeit. Ebenso lässt sich damit ein Teil von Frage 6 beantworten: Für die Einhaltung kollektivistischer Ziele, braucht das Kollektiv Konservatismus - auch sozialistische Systeme in ihren eigenen Formen. Der Unterschied liegt darin, dass verschiedene Gruppierungen unterschiedliche und oft gegensätzliche Prioritäten und Ziele haben. Als Individualist strebe ich meine eigene Freiheit an, also auch die Freiheit vor aufgedrückten Regeln, Gesetzen und Dogmen. Hierbei kann man erwähnen, dass die Goldene Regel, die bei kollektiver Einhaltung die Freiheit des Individuums garantiert, ironischerweise gerade auch aus den Religionsgrundlagen kommt - sogar im Islam gibt es eine Form der Goldenen Regel (wobei diese dann nur für und gegenüber Gläubigen gilt). 

Das Problem ist also nicht der Konservatismus, sondern der Kollektivismus.


Individueller Konservatismus

Nachdem ich nun ausführlich den kollektiven Konservatismus beschrieben habe, stellt sich die Frage, was dann individueller Konservatismus ist und ob auf diesen die gleichen Eigenschaften zutreffen. 

Nochmal zur Erinnerung: Konservatismus heißt "erhalten/bewahren". Der Mensch ist also allein aus biologischen Gründen konservativ, weil er - sofern er nicht völlig gestört ist - einen Selbsterhaltungstrieb hat. Der Mensch war demnach schon immer konservativ. Zur Selbsterhaltung war es für ihn nötig, sich vor Gefahren zu schützen und  regelmäßig Nahrung zu sich zu führen. Ein weiterer biologischer Trieb war es schon immer, sich fortzupflanzen. Als einzelner Mensch hätte man sich in der Steinzeit jedoch kaum vor natürlichen Gefahren schützen  noch fortpflanzen können. Menschen lebten schon immer in vorwiegend in Gruppen, die 3 Dinge garantierten: 1. Gemeinsamer Schutz vor Gefahren (bspw. durch Schichtbetrieb)  2. Lebensnotwendige Arbeitsteilung u.a. bei der Nahrungsbeschaffung 3. Altersvorsorge durch Fortpflanzung (die jungen haben die Ältesten versorgt).  

Ich stelle hiermit die durchaus gewagte These auf, dass die Steinzeit die letzte Zeitperiode war, in der kollektiver Konservatismus lebensnotwendig war.

Die Neolithische Revolution - also das Ende von parasitärer Ernährung und der Beginn von produzierender Beschaffung von Nahrungsmittel - änderte die Spielregeln. Ich empfehle dazu das Buch "Eine kurze Geschichte der Menschheit" von H. H. Hoppe. Die Neolithische Revolution war wohl der erste bedeutende Schritt in Richtung Zivilisation. Denn der Mensch war nicht mehr darauf angewiesen, jeden Tag jagen zu gehen, zu fressen oder sterben, sondern er konnte vorausplanen. Bestellte er im einen Jahr einen Acker, konnte er ein Jahr später ernten. Dies konnte er als einzelner tun. Dazu muss er einen Kompromiss in der Gegenwart machen, nämlich den Boden bereiten, die Samen verteilen usw und kann in der Zeit nicht jagen gehen. Dieser Kompromiss bedeutete für ihn aber, dass er in Zukunft mehr Nahrung durch weniger Anstrengung bekommen würde. Natürlich setzte dies auch voraus, dass er seinen Acker als Seinen betrachtete und dafür sorgte, dass andere noch parasitär lebende Menschen ihm nicht nach einem Jahr die Ernte stahlen. Somit war die Neolithische Revolution also auch der Beginn von dem Prinzip Eigentum.

Die weiteren Zusammenhänge dazu im erwähnten Buch von H. H. Hoppe. Ich möchte nun mit einem Szenario fortfahren:

Habe ich es als Einzelner geschafft, einen Acker zu bestellen, kommen mir möglicherweise einige Gedanken, wie ich dies in Zukunft effizienter gestalten könnte. (Hier sei erwähnt, dass ich nicht glaube, dass die Leute damals so kühl und kalkulierend gedacht haben, wie ich es im folgenden schreiben werden, allerdings denke ich, dass sie es mindestens aus Intuition und Instinkt heraus taten). Als Einzelner muss ich die ganze Arbeit alleine machen und profitiere nicht vom revolutionären Prinzip der Arbeitsteilung. Hätte ich bspw. eine Frau und dadurch Kinder, könnte meine Frau einen kleinen Teil der Ernte zu Brot backen und meine Kinder könnten den restlichen Teil für die nächsten Monate einlagern. In der Zeit kann ich mich darum kümmern, den Boden für die nächste Saat vorzubereiten. Schnell werde ich merken, dass ich mehr Getreide habe, als ich und meine Familie in dessen Halbwertszeit essen kann, allerdings könnten wir ein paar neue Schuhe gebrauchen. Also tauschen wir mit einem Schuster Schuhe gegen Getreide. Mit dem Tauschhandel stellt sich ziemlich schnell heraus, dass es sinnvoll ist, etwas zu schaffen, das es ermöglicht, zu sparen, statt direkt zu verzehren. Die nächste bedeutende Revolution: Gold als  Tauschmittler.

Ist der einzelne Mensch fähig, in die Zukunft zu planen, kann er auch seine Selbsterhaltung auf einen längeren Zeitraum weitgehend sicher stellen. Als vorausschauender Mensch erkennt er, dass wenn er keine Nachkommen zeugt, er sich auch im Alter selbst versorgen müsste. Sinnvoller ist es für ihn, früh Kinder zu zeugen, die ihm nicht nur ein genehmeres Alter verschaffen, sondern davor auch Teil des Arbeitsteilungsprinzip sind. Die logische Konsequenz aus der Neolithischen Revolution ist demnach auch die traditionelle Familienstruktur. Diese war jedoch nicht nur zu dieser Zeit überlebensnotwendig, sondern macht auch bis in die heutige Zeit Sinn.

Allerdings will der Staat die Familie durch sich ersetzen, was er bspw. durch Zwangsversicherungen, Sozialleistungen oder sein Rentenmodell  versucht und dies auch schafft. Gerade in Sozialstaaten/Wohlfahrtsstaaten gibt es immer mehr zerbrochene Familien, Single-Mütter, Patchworkfamilien etc. Die Folgen daraus (wie Kitas, Kindergeld, ein Heer von Pädagogen und Gesellschaftsklempnern) müssen vor allem von denen bezahlt werden, die ihre Verantwortung über ihr Leben nicht an den Staat abgeben, sondern stattdessen bewährte Konstrukte erhalten, in die Zukunft planen und dadurch einen gewissen Wohlstand aufbauen, der durch "Umfairteilung" dann an die verteilt wird, die einen hedonistischen Lebensstil bevorzugen. (Ironischerweise bezeichnen die Hedonisten die Hand die sie füttert als rückständiges Bürgertum)

Ohne (Wohlfahrts)Staat wäre jeder gezwungen, konservativ zu sein. Dazu zählt, 1. etwas zu lernen, was einem Wohlstand bereitet, der auch 2. eine Familiengründung bewerkstelligen und finanzieren kann und 3. soweit anwächst, dass auch die Nachkommen davon profitieren können, um wiederum die Zeit und Mittel zu haben, um neben der eigenen Selbsterhaltung auch die 4. Konservierung der Eltern tragen zu können.  Ein Leben ohne Staat erfordert vollkommene Eigenverantwortung über sich (und seine Familie) in der Gegenwart sowie in der Zukunft. Prinzipiell muss die Verantwortung immer von irgendjemand übernommen werden. Nur ist es heute nun mal so, dass die meisten ihre Verantwortung indirekt an die abgeben, die diese Prinzipien verstanden und einen so großen Wohlstand aufgebaut haben, der auch parasitäre Lebensstile mitfinanzieren kann, was allerdings weniger "Umfairteilung" als "Unfairteilung" ist, zumal sie nicht freiwillig, sondern durch Zwang (Steuern) geschieht. 

Heißt das nun, dass Homosexualität nicht konservativ sein kann und stattdessen prinzipiell parasitär ist?

Das  kompromisslose Ausleben von Nichtheterosexualität (also keine Wahrscheinlichkeit auf eigene Nachkommen) ist ein Luxus, der vor allem durch die industrielle Revolution und einen relativ starken Kapitalismus ermöglicht wurde. Für einen einzelnen Menschen ist es dank Globalisierung, Digitalisierung und relativ freiem Handel möglich, so viel Mittel anzuhäufen, dass er sie mit einem gewissen Maß an Selbstdisziplin auch dann zur Verfügung hat, wenn er nicht mehr fähig ist zu arbeiten. Er kann sich also seine eigene Rente aufbauen und garantieren. Sofern er diese nicht vorher durch hedonistischen Lebensstil verzehrt, kann er im Alter oder bei Krankheit darauf zugreifen. Ebenso kann er sein soziales Umfeld so wählen und gestalten, dass er den sozialen Aspekt bei Alter oder Krankheit weitgehend sicher stellen kann. Rational gesehen, ist es für die Selbsterhaltung nicht nötig, selbst Nachkommen zu zeugen. Man kann sein komplettes Leben eigenverantwortlich in anwachsendem Wohlstand verbringen, sofern man die angesprochenen Aspekte des Konservatismus miteinbezieht.

Hiermit wäre also auch die letzte Frage beantwortet, ob wir Konservatismus brauchen:

Ja, wir brauchen individuellen Konservatismus. Führen wir keinen konservativen, sondern parasitären, hedonistischen Lebensstil, muss er von anderen bezahlt werden, die ihn umso effizienter führen. Somit wäre es rückschrittlich (also regressiv), unkonservativ zu sein.


Weitere mögliche Artikel, die sich daraus ergeben:

- Die Investition Kind

- Die Bedeutung von Eigentum

- Warum der Staat ein Interesse daran hat, die traditionelle Familie zu zerstören

 


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