Früh morgens in der Bäckerei - der sehr spezielle Service eines Familienbetriebs

An einem Novembermorgen, grau und nasskalt mit Nieselregen. Der Nährboden für Grippe, Erkältung, Husten, Heiserkeit....dieses Einkaufserlebnis möchte ich euch erzählen.

Die Dorfbäckerei wird schon seit fünf oder sechs Generation als Familienbetrieb geführt. Die Grossmutter des Bäckermeisters stand mal wieder hinter der Verkaufstheke. In stolzem Alter, nett und liebenswürdig, verkaufte sie hier schon vor 50 Jahren Ihre Backwaren. Aus Ihrem früheren Alltag gibt es meistens Geschichten zu hören - als sie noch in Vollzeit hinter der Ladentheke stand. Seit Jahren wird Ihre Unterstützung nur noch bei Personalnot in Anspruch genommen. Diese Chance zu Gesprächen und zur Kontaktpflege der treuen, altbekannten Kundschaft geniesst sie dann in vollen Zügen. Schliesslich sind diese Gelegenheiten selten geworden. Fast alle Kunden, ob jung oder etwas älter, kennen die redselige Oma. Hin und wieder sind die Erzählungen etwas aufdringlich, weil dadurch der Einkauf unnötig in die Länge gezogen wird. Versüsst wird die Wartezeit durch die herrlichen Düfte der Backwaren, die sich im ganzen Raum ausbreiten. Das Wasser läuft einem schon beim Betreten der Bäckerei im Mund zusammen. Die Vorfreude auf das Frühstück wird geweckt.

Vor mir wurde noch ein anderer Kunde bedient. Oma war trotz Heiserkeit wieder gesprächig. Die beiden angestellten Verkäuferinnen seien krank, erzählte Sie mit rauher Stimme. Sie selbst habe auch mit einer Erkältung zu kämpfen und sollte deshalb nicht hier stehen - aber was soll man machen, die Kunden möchten bedient und die Brötchen müssen verkauft werden. Kaum ausgesprochen, offenbarte sich Ihr Schnupfen. Ungebremst, weil mit beiden Händen damit beschäftigt, die gewünschten Brötchen einzupacken, schossen die Bakterien mit allseits bekanntem Druck und in enormer Geschwindigkeit aus Mund und Nase heraus, über und in die Verkaufstheke.

Unbeirrt befüllte Sie weiter die Tüte und legte sie für den Käufer auf die Ladentheke. Der Kunde bezahlte, nahm anstandslos seine Tüte mit den Brötchen und verliess die Bäckerei. Ich hätte gerne seinen Gesichtsausdruck gesehen, was leider nicht möglich war. Er drehte sich, mir den Rücken zudrehend, in entgegen gesetzter Richtung hin zur Türe. Vielleicht war er darüber froh, dass der Schnupfen in dieser Weise den Monolog beendet hat.

Nun war ich an der Reihe. Eine Sesambrezel und zwei Buttercroissant. Die Kunden sind es gewohnt, dass im alt eingesessenen Bäckerladen oft keine Schutzhandschuhe benutzt werden. Der Service ist zu ganz speziellen Zeiten von historischer Qualität. Kaum hatte ich meinen Wunsch genannt, sah ich in den Gesichtszügen die sich anbahnende nächste Niesattacke. Ich machte einen Schritt zur Seite, aus der "Schusslinie", und versuchte den Eindruck zu erwecken, in der Theke noch andere Backwaren auszusuchen. Eine Hand der Bäckersdame war frei. Ihre Handinnenseite diente als Auffangbecken. Danach brummelte sie noch etwas, mir Unverständliches, in die Handinnenfläche und setze Ihre Arbeit unbeeindruckt und in aller Ruhe weiter fort. In der einen Hand die Papiertüte, griff sie mit der Hand voller Bakterien zur Sesambrezel, danach hinüber zu den Croissants und steckte das Gebäck in die Tüte. "Zwei Euro Fünfzig" war ihr einziger Kommentar. Sie hielt mir Ihre Bakterienhand entgegen, liess sich das abgezählte Münzgeld geben und bedankte sich in Ihrer herzlichen Art. Mit Ihrer anderen Hand reichte sie mir die Tüte mit Brezel und Croissants. Höflich, aber fassungslos verabschiedete ich mich und verliess die Bäckerei.

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Ich wollte es nicht glauben. Habe ich geträumt oder hatte ich tatsächlich die Tüte mit den grippalen Backwaren in Händen? Ich steckte die Tüte ungeöffnet in die Mülltonne, die nicht weit entfernt an diesem Tag am Strassenrand zur Leerung bereit stand.

Meinen Appetit auf ein leckeres Frühstück hatte ich an diesem trüben Vormittag verloren.

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