U-1206 – Vom Overengineering, Kompetenzüberschreitung und anderen Scheiß

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Prolog

Wie ich in der Vergangenheit schon öfters geschrieben habe, finde ich es unglaublich interessant, wenn man zurück in die Geschichte blickt und etwas für die heutige Zeit daraus lernen kann. Dabei sind die Lektionen nicht immer sofort ersichtlich und muten rückblickend oft bizarr.

Da die deutsche Marine im zweiten Weltkrieg insbesondere der britischen Marine hoffnungslos unterlegen war, setzen die Nazis auf eine andere Strategie. Anstatt mit purer Feuerkraft der britischen Marine entgegen zu treten, schickte man lieber U-Boote aus, die insbesondere die Versorgung der Insel gefährden sollten und im Atlantik nach leichter Beute Ausschau halten sollten.

Eine berüchtigte Taktik war die „Rudeltaktik“ oder im englischen auch Wolfspack genannte Strategie. Anstatt das ein einzelnen U-Boot einen Konvoi (mit oft begrenzten Schaden) angriff, griff man mit mehreren U-Booten gleichzeitig an. Der potenzielle Schaden vergrößerte sich und es stiftete mehr Verwirrung und erschwerte somit eine effektive Abwehr.

Insbesondere durch den Mangel an Schiffen setzten die Deutschen dabei auf Technik. So suchten die U-Boote in Streifen nach potenzieller Beute und vergrößerte den Suchradius und damit die Chance etwas zu finden. Wurde ein Konvoi entdeckt wurde eine Meldung an die anderen U-Boote gesendet, die dann zur Hilfe zum eigentlichen Überfall kamen.

Das Problem

Eigentlich ist es militärisch immer eine gute Idee, neue Technologie einzusetzen und mit einer vernünftigen Taktik gegenüber einen Feind einzusetzen. Doch die Nazis hatten dabei nicht immer ein glückliches Händchen wie die Geschichte der U-1206 zeigt. Dieses Unterseeboot vom Typ VII C lief am 30. Dezember 1943 vom Stapel und hatte eine technische Wunderwaffe mit an Bord verbaut.

Wer nun denkt, dass es sich dabei um einen besonders effektiven Torpedo oder einer einem neumodischen Antrieb handelt, wird enttäuscht sein und trotzdem am Ende technisch begeistert sein.

Die Nazi-Ingenieure haben nämlich versucht ein echtes Problem zu lösen! Da die Alliierten zunehmend auch auf der See die Lufthoheit übernahmen, kam es zu immer längeren Tauchfahrten. Da kein U-Boot ohne Besatzung auskommt und diese nun eben auch etwas essen muss, kommt es eben auch zu der Situation, dass man sich seiner Notdurft entledigen musste.

Dies ist jedoch bei einer echten Tauchfahrt ein ziemliches Problem – wohin mit dem Scheiß? Einfach ins Wasser geben ist nicht möglich, da der Druck in den Tiefen so hoch ist, dass er schlichtweg die braune Suppe wieder zurück ins Nazi-U-Boot drücken würde. Das Urin und die Fäkalien wurden somit in Behältern gesammelt, was bei einer längeren Fahrt die Qualität des Arbeitsplatzes senkte – jenseits vom Krieg!

Die Lösung

Deswegen setzte man alle Ressourcen des Reichs in Bewegung um eine überlegende Lösung zu entwickeln. So kam es dazu, dass die U-1206 auf ihrer ersten Fahrt eine hochmoderne Toilette an Bord verbaut hatte. Das besondere daran war, dass die Notdurft über mehrere Leitungen am Ende in eine Druckluftschleuse gesammelt wurde und dann mit entsprechender Kraft heraus katapultiert wurde. Quasi wie eben auch bei einem Torpedo. Auf diese Weise wurde die Besatzung nicht mehr dem beißenden Gestank ausgesetzt und konnte sich auch auf einer längeren Tauchfahrt voll und ganz auf den Kampf fokusieren.

Wer nun denkt, dass diese Toilette genauso funktionierte wie eine heutige Toilette, der irrt gewaltig. Denn diese hochmoderne Toilette war nicht ganz trivial zu bedienen. Immerhin musste eine ganze Reihe von Apparaten ordnungsgemäß bedient werden, bevor die Druckluft ihr Arbeit verrichten konnte. Deswegen gab es am Bord einen speziellen Seemann, der in die Verwendung dieser Toilette unterwiesen und ausgebildet wurde. Dieser braune Kamerad kümmerte sich dann nach dem Geschäft darum sich den Ausscheidungen zu entledigen.

Wir fassen also zusammen… wir haben moderne Technik und gut ausgebildetes Personal um diese zu bedienen. Was könnte dabei wohl schief gehen? Irgend jemand der in einem technischen Büro arbeitet und bereits einen Manager um die Ecke kommen sieht? ;)

Der Fehler

Am 14. April 1944 ereignete sich dann vor der schottischen Küste ein Unglück. Es ist nicht genau überliefert, was genau es am Vortag zu essen gegeben hat. Doch der Kommandant des U-Bootes Karl-Adolf Schlitt begab sich an diesem verhängnisvollen Tag in Richtung der Toilette und verrichtete dort erfolgreich sein Geschäft.

„Wer den Laden schmeißt ist am Ende ja auch die fähigste Person an Bord“, dachte er sich vermutlich und verstieß damit gegen eine wichtige Regel. Anstatt den ausgebildeten Seemann zu informieren und die Scheiße hinter sich wegräumen zu lassen, überging der Kommandant klar die Befehle und versuchte sich selbst an der Spülung.

Vermutlich durch eine unsachgemäße Verwendung eines Ventils, sorgte der Druck aus dem Meer dafür, dass die Fäkalien nicht heraus geschossen wurden, sondern durch den Wasserdruck in die Toilette gedrückt wurde. Eine Mischung aus Meerwasser und den Extrementen des Kommandanten ergoss sich in das Innere des U-Bootes. Was für eine schöne Scheiße! Wer nun einfach nur an eine unappetitliche Aufwischaktion denkt, hat das Ausmaß der Katastrophe noch verkannt.

Die Eskalation

Denn in der Toilette wurden auch die Batterien des U-Bootes betrieben. Immerhin ist so ein U-Boot eben ein sehr enger Ort und ein Stapel Batterien erschien den Ingenieuren scheinbar wie ein Thron. Da es durch die falsche Verwendung der Technik nun aber zu mehr Flüssigkeit als ursprünglich an diesem Ort der Stille kam, löst dies eine chemischen Reaktion aus, die hochgiftiges Chlorgas bildete.

Um noch schlimmeres zu verhindern, ordnete man umgehend ein Notauftauchen an um zu entlüften. Dies war jedoch nicht möglich, da die Torpedorohre bereits geladen waren und vor dem Auftauchen ausgestoßen werden mussten. Genau dies wurde jedoch von britischen Fliegern entdeckt, die sich sofort auf das deutsche U-Boot stürzten.

Dies muss dann der Moment gewesen sein, wo Schlitt endgültig merkte, dass dies für ihn ein Scheiß-Tag werden würde. Sich selbst eingenäßst, das Schiff mit Chlor geflutet und darüber den Feind kreisen. Er ordnete die Selbstversenkung des Schiffs und die Evakuierung an.

Es ging nicht für alle gut aus. Durch den feindlichen Beschuss und der stürmischen See, ertranken einige der Seeleute bevor sie die rettende Küste Schottlands erreichten. Die Überlebenden wurden dort bereits von der britischen Armee in Gewahrsam genommen.

Schlitt selbst wurde von einem Fischerboot durch Alec Stephen und John Smith aufgelesen, die ihn zunächst für ein Besatzungsmitgliedes eines gesunkenen norwegischen Schiffs hielten. Ich würde gerne wissen, was genau Schlitt in diesem Moment durch den Kopf gegangen ist. Auch ist leider nicht bekannt, ob die ganze Geschichte es bis nach Berlin geschafft hat.

Epilog

In diesem Fall war es jedoch Krieg und kostete leider das Leben mehrere Menschen. Geblieben ist eine anschauliche Anekdote über den Untergang der U-1206. Wie durch die Selbstüberschätzung einer Person, plötzlich allen die Scheiße bis zum Halse stand. Gerade rückwirkend muss man schon ein wenig schmunzeln, da man vieles aus der Geschichte lernen kann.

Die Amerikaner erkannten übrigens auch das Problem mit den Fäkalien und bauten einen separaten Wassertank ein in dem diese bis zum nächsten Auftauchen gesammelt wurde. Diese Lösung lies sich auch durch einen Laien bedienen. Die Ingenieure folgten hier dem KISS-Prinzip!

Schlitt blieb übrigens bis 1948 in Kriegsgefangenschaft. Er bestätigte als Zeuge, dass der Großadmiral Dönitz nicht angeordnet hatte die Besatzung untergangener Schiffe zu ermorden. Nach seiner Freilassung studierte er Rechtswissenschaften und ging in die Kommunalpolitik. 1987 überreichte er den beiden Fischern als Zeichen seiner Dankbarkeit für seine Rettung eine Gedenkplakette mit einem U-Boot und einem eisernen Kreuz.

Auch diesen Teil der Geschichte sollte man durchaus noch erzählen. Es zeigt eben auch, dass man nach einem Krieg nicht ewig weiterhin im Clinch liegen muss, sondern auch wieder Brücken zueinander aufbauen kann. Schlitt starb 2009.

Was wir lernen können

Gerade wenn man selbst ein Mensch in Verantwortung ist, sollte man nie so arrogant werden und denken, dass man als Führungskraft am Ende alles besser kann als alle, die unter einem arbeiten. Man sollte respektieren, dass jeder Mitarbeiter eigene Fähigkeiten und Kompetenzen hat und man sollte diese achten und eine Kultur fördern in denen diese beachtet wird.

Wann immer der Chef sich für etwas besseres Hält, steht das Chaos meist bereits vor der Tür. Fast jeder Techniker wird in seinem Berufsleben irgendwann einmal vor der Situation stehen, dass sein Chef denkt besonders Smart zu sein und etwas selbst erledigen kann. Im besten Fall gibt es anschließend nur ein langes Gesicht, wenn das letzte Backup bereits eine Weile zurück liegt und durch ein falsches Kommando ein größerer Datenbestand vernichtet wurde. Im schlimmsten Fall kann am Ende es am Ende aber auch ein Menschenleben kosten.

Wir als Menschen können daraus lernen, dass wir ganz oft innerhalb kürzester Zeit aus einer alltäglichen Situation gerissen werden, die danach schneller als man sie kontrollieren kann immer weiter eskaliert. In einem Moment fährt man ganz routiniert die selbe Strecke wie jeden Tag und am Ende begeht jemand einen Fehler und man ist mittendrin in der Katastrophe.

Je mehr man auch mal out-of-the-box denkt, desto besser wird man in solchen Situationen klar kommen. Wird irgend jemand der Menschen, die der U-1206 bei ihren Losfahrt zugewunken haben, gedacht haben, dass dieses Schiff auf Grund einer Toilette sinken wird? Man ist immer genauso lange verrückt bis es eintritt. Wir tun gut daran nicht alles immer als Blödsinn abzutun und Dinge genauer zu durchdenken.

Ein Angehöriger eines überlebenden Matrosen versuchte sich in der Ehrrettung von Schlitt und gab an, dass die defekte Toilettenspülung nur ein Vorwand gewesen sei und der Offizier eigentlich desertieren wollte. Um nicht als Deserteur gefangen genommen zu werden, erfand er die Geschichte wie er sein Schiff mit dem Klo versenkte. Taucher fanden das Boot 2012 in einem guten Zustand vor und entgegen der ursprünglichen Angaben, seien auch noch die Torpedorohre geladen gewesen zu sein. Ob es am Ende wahr ist, ist gar nicht so wichtig. Sie könnte wahr sein und das ist es schon was zählt.

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