„Die RAF hat Euch lieb“

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„ …die Paranoia und die hysterischen Ideologismen, die 68 ausmachten, waren ein Reflex auf die Leichtigkeit des Lebens“ ... so schrieb die Autorin des oben gezeigten Buches gleichen Titels, Bettina Röhl, in einem ihrer vielen Facebook-Einträge.

Diese Äußerung empfand ich, das Buch eben gerade durchgelesen und aus der Hand gelegt, als sehr anrührend. Da ich von dem Werk der Autorin, erstens, sehr beeindruckt, und, zweitens, auch emotional angegriffen war.

Bettina Röhl ist, wer‘s noch nicht weiss, eine der beiden Töchter von Ulrike Meinhof, der gefühlten Urmutter allen deutschen Terrorismus‘. Frau Röhl hat sich also mit der Geschichte ihrer Mutter und der von dieser gegründeten RAF ("Rote Armee Fraktion") aus einer Perspektive heraus beschäftigt, die niemand anderes, außer vielleicht ihrer Schwester, überhaupt einnehmen oder ihr gar streitig machen kann.

In ihrem Buch zeichnet Autorin Röhl den Weg ihrer Mutter und den Weg der RAF ihrer Mutter einerseits mit Aufzeichnungen, Recherchen, seitenlang zitierten Originaldokumenten nach. Und stellt, andererseits, der kurzen Geschichte der ‘68er und der langen Geschichte der RAF wohl sehr bewusst - und, wie ich finde, manchmal ein bißchen penetrant - die eigenen Kindheitserinnerungen gegenüber. Als Tochter einer Mutter, welche vor den Augen des Lesers in eine absolut extreme Politik- und Gewaltsekte abdriftet.

Vielleicht gewollt provokativ, bezieht Autorin Röhl in einem extra vorangestellten Essay Stellung für „die beste Bundesrepublik aller Zeiten“. Gemeint ist die Bundesrepublik der 50er, 60er Jahre – eine wohlfeile Behauptung, denn eine andere gab‘s halt auch damals noch nicht. Dem „Triumph von ‘68“ widmet sie einen weiteren, in den Text eingeschobenen Essay: Unsere heutige Kultur der politischen Korrektheit, mit diesem Feminismus und den ganzen anderen Freiheiten aller möglicher Minderheiten, diese Kultur also sei der eigentliche Sieg von ‘68 – welchen ausgerechnet die, die ihn damals vorbereiteten, im Grunde bis heute nicht begriffen hätten. Ironie der Geschichte.

In einem dritten Essay widmet sich die Autorin der Entstehung des „Mythos Meinhof“. Dieser Essay ist eingebettet in jenen Teil des Buches, der zahlreiche Originalbriefe der Ulrike Meinhof wiedergibt, oft im Dialog mit ihrem Anwalt. Vieles soll bis dato nie veröffentlicht gewesen sein. Autorin Röhl lässt das Material für sich sprechen, reiht streckenweise fast kommentarlos Brief an Brief. Es ist bedrückend, das alles in der zeitlichen Abfolge zu lesen.

Hieraus lässt sich die fragwürdige Rolle der damals aktiven „RAF-Anwälte“ erahnen, die die immer wirrer sich entwickelnde Selbstbezogenheit der inhaftierten RAF-“Kämpfer“ ja eigentlich noch aktiv unterstützten und beförderten. Statt ihre Klienten auf bestmögliche, realistische, irgend erfolgversprechende Verteidigungspositionen vorzubereiten, machten sie das politisch-ideologische Gewölk um die „politischen Gefangenen“ mit, bestärkten sie diese in ihren Rollen. Forcierten die zunehmende Selbstisolation der ganzen Gruppe, die damals in dem Stammheimer Gefängnistrakt einsaß. Wenn man das heute liest: Sehr bitterer Beigeschmack.

Also ich meine, dass Frau Röhl ein ebenso beklemmendes wie auch erhellendes Zeitdokument geschrieben hat. Wer irgend einen menschlichen Bezug zu dieser Zeit finden will, kommt um das Buch nicht herum.

Kritik hätte ich trotzdem noch ein bißchen anzumelden:

Autorin Röhl hat als Kind trotz der zeitweise als desolat beschriebenen Zeit mit Mutter Meinhof wohl nicht allzu viele der durchaus gegebenen Schattenseiten ihrer „besten Bundesrepublik aller Zeiten“ kennengelernt. Es war noch in ‘68, da hatte der Schreiber dieser Zeilen in einer durchschnittlichen kleinstädtischen Schule Lehrer kennen- und erleiden gelernt, welche ihren Schülern (vornehmlich den Buben) mit der flachen Hand ins Gesicht zu schlagen pflegten, den Schlüsselbund auf den Kopf draufhauten, die Jungs zu Beginn der Turnstunde der Größe nach antreten ließen, und zum Beispiel Kopfnüsse und rote Ohren (sehr schmerzhaft!) verpassten, wenn man es nicht über den Bock packte.

Ich bin Zeuge: Im Verlauf der 70er, als ‘68 schließlich in der Gesellschaft und den Schulen angekommen war - da hörte das auf. Wirklich. Es hörte einfach auf. Vielleicht noch nicht bei den Regensburger Domspatzen. Aber jedenfalls in den normalen Schulen, und in den neuen Gesamtschulen sowieso. So besehen, war ‘68 ok, finde ich.

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