KOTZE im Kleiderschrank und mir wird nicht BLÜMERANT - Wörter auf dem Abstellgleis --- #6

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Keinesfalls ist der folgende Beitrag unappetitlich, da die Verfasserin sich in der Regel in schriftlichen Ausführungen keiner Begriffe aus dem Bereich der Vulgärsprache bedient. Dieser ist die in der Umgangssprache so inflationär genutzte Bezeichnung für Erbrochenes laut Duden nach wie vor zuzuordnen, doch es gibt im Deutschen ein makelloses Homonym, also ein in Laut und Schrift übereinstimmendes Wort mit ganz anderer Bedeutung. Und so wurde "Kotze" tatsächlich ausgegraben, dieses Wort ist mit der Weiterentwicklung einer lebendigen Sprache quasi ausgestorben.

Ein Blick in das 1793-1801 entstandene Grammatisch-kritische Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart von J. Chr. Adelung belegt, dass "Kotze" bereits damals nur noch regional benutzt wurde:

Die Kotze, plur. die -n, ein nur noch in den gemeinen Mundarten, besonders Oberdeutschlandes, übliches Wort, eine Decke, besonders eine zotige, grobe Decke zu bezeichnen, in welchem Verstande es in einigen Gegenden auch Kutze lautet. Im mittlern Lat. Cotzia, Cottum, Cotum, Cucinga. In Franken wird der grobe gemeiniglich zotige Oberrock der Bauern die Kotze oder der Kotzen genannt, so wie im Böhm.


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Es handelt sich bei der Kotze also um ein Kleidungsstück, das begrifflich seit dem 9. Jahrhundert althochdeutsch als kozzo bekannt ist. Die Herkunft ist umstritten, kutte, abgeleitet vom lateinischen cottus (Mönchskutte, vgl. "coat" [engl.: Mantel] und "cotte" [frz.: Tunika]) sei parallel genutzt worden, ist aber vermutlich auch der Ursprung. Irgendwann im späten Mittelalter wurde Kotze im überregionalen Sprachgebrauch von Kutte (wieder) eingenommen.

Die Kotze war zunächst ein einfacher Überwurf aus grober Wolle oder Pelz, der zu einem praktischen, ärmellosen Kleidungsstück, einer Art "Poncho", weiterentwickelt wurde. Oft aus Loden gefertigt, war es sehr robust und wärmend. Später war dieser Umhang besonders bei Jägern und Wanderern beliebt, denn sie konnten die weit geschnittene Kotze über das auf dem Rücken getragene Gepäck werfen und es so vor Nässe schützen.


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Trotz nicht ganz geklärter etymologischer Herkunft ist die Sprachwissenschaft sich darüber einig, dass die Kotze bestens zum Bächeln geeignet war. Das Verb bächeln ist ein Synonym für wärmen, warmhalten, dampfen, welches dem mittelhochdeutschen Begriff "bachen" entspringt, der "backen" bedeutete.

Oft kam der Rat, sich zu bächeln, sich warm zu halten, von Ärzten, weshalb der Begriff noch im Mittelalter auch für "sich sorgfältig behandeln, pflegen" benutzt wurde. Dazu gehörte bei aufkommenden Erkältungen dann auch ein wärmendes Dampfbad im Badezuber.

Der Begriff "bächeln" an sich ist ausgestorben, wohl aber käme er im Bayrischen zum Beispiel in "bacherlwarm" noch vor. Dazu kann sich die norddeutsche Verfasserin nicht äußern, da ihr nur wenige Fremdsprachen geläufig sind.


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Abschließend wird davon ausgegangen, dass dem werten Leser beim Erfassen der bisherigen Worterklärungen nicht blümerant, also flau oder übel geworden ist. Mit diesem Adjektiv wurde seit dem 17. Jahrhundert ein unwohler Gesundheitszustand bezeichnet, der bis zur Ohnmacht führen konnte. Die Menschen wurden damals sprichwörtlich nicht grün im Gesicht, sondern blassblau und so ist der Begriff aus dem Französischen ("bleu mourant", sterbendes Blau) entstanden. Der französische Ursprung deutet darauf hin, dass sich "blümerant" in der vornehmeren Gesellschaft durch eine Modeerscheinung entwickelt hat: Die Damen schnürten ihre Korsetts und Staffagen oft so fest, dass dies zu Atemnot bis hin zur Bewusstlosigkeit führte.

Bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein war der Begriff "blümerant" gang und gäbe, auch heute noch ist er in Gebrauch, wenn man sich gehoben ausdrücken oder sich über gehobenere Sprachebenen lustig machen möchte. Dem Norddeutschen jedoch wird seit jeherkodderich.


Weitere Wörter auf dem Abstellgleis

Und ein paar "entzauberte" Redensarten


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26.08.2018


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