Polyamorie - warum sie doch nicht ganz so toll ist: ein Erfahrungsbericht

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Ich vermute mittlerweile hat jeder über diese Beziehungsform etwas gehört oder gelesen: Polyamorie-die Vielliebe. Also nicht nur einen Partner zu haben, sondern mehrere. Nicht zu verwechseln mit der offenen Beziehung, wo man einen festen Partner und darüber hinaus Sex mit anderen hat.

Ich bin zum Konzept der Polyamorie gekommen, wie die Jungfrau zum Kinde. Bevor ich meinen Freund vor zweieinhalb Jahren kennenlernte, kannte ich noch nicht einmal das Wort.
Ich war zu diesem Zeitpunkt vier Jahre verheiratet, unser ungeplantes drittes Kind kam im Jahr zuvor zur Welt. Ich war da schon seit Ewigkeiten zuhause, wurde immer menschenscheuer, war einsam, gelangweilt und überfordert.
Allerdings gestand ich mir dies nicht ein und forderte von mir, diesen Zustand als erfüllend zu erachten. Das führte schließlich dazu, dass ich halb psychotisch und schwer depressiv in der Psychiatrie landete. Auf Anraten einer Freundin habe ich mich selbst eingewiesen und war ab dem nächsten Tag auf der offenen Station untergebracht.

Ich erholte mich dort innerhalb weniger Tage. Endlich waren da andere Menschen, wir saßen bis in die Nacht auf der Terrasse, haben Spiele gespielt und viel gelacht. Es war spannend, die Geschichten der anderen Patienten zu hören. Viele davon waren traurig, manche unglaublich kurios.

Was hat das nun mit Polyamorie zu tun? Nun ich lernte auf der Station meinen Freund kennen. Er hat sich meine Handynummer beim Würfeln erspielt, was ich irgendwie ganz niedlich fand von ihm. Es folgten zahlreiche Nachrichten des Nachts von Zimmer zu Zimmer. Wir konnten uns toll unterhalten.
Ich spürte wohl, dass er auf Annäherung aus war, fühlte mich geschmeichelt, konnte es aber nicht ernstnehmen. Schließlich war ich verheiratet und er mit seinen 24 Jahren elf Jahre jünger als ich.

Nach drei Tagen kam es dann für mich völlig überraschend zum ersten Kuss. Meine Gefühle hatten mich überholt. Ich erzählte sofort am nächsten Tag meinem Mann davon. Mit einem Donnerwetter rechnend. Er nahm es jedoch entspannt und eher belustigt auf.

Nach dem Klinikaufenthalt dachte ich, ich könnte mit dem Neuen so eine Art platonische Liebe führen. Doch das entlarvte sich als Irrtum. Wir sahen uns sehr selten, hatten aber ständig Whatsapp-Kontakt. Wenn wir uns sahen, gab es kein Halten mehr, Anziehung und Gefühle waren einfach zu groß. Alle platonischen Pläne jedes Mal schnell dahin. Mein Mann wusste das. Ich kam dennoch im Traum nicht auf die Idee, meine Ehe zu verlassen. Wir kannten uns schon 12 Jahre, hatten viel gemeinsam durch. Wir teilen die gleiche Weltsicht. Er ist der Vater meiner Kinder.

Ein paar Monate später verließ dann mein Freund seine 150 Kilometer entfernte Heimatstadt, um in meiner Nähe seine Reha anzutreten. Er ist in der nächstgelegenen Großstadt, immernoch gute 30 Kilometer und mit den ganzen Ampeln eine gute halbe Stunde entfernt. Ich selbst lebe mit meiner Familie auf dem Dorf. Das ist nicht einfach. Die Einrichtung, in der mein Freund seine Umschulung macht, hat für Besucher um 22Uhr Zapfenstreich. Ich arbeite mittlerweile in Teilzeit, habe oft Schichten bis 20Uhr. Uns bleibt so gut wie keine Zeit. Wenn ich abends aufbreche, lebe ich immer mit dem schlechten Gewissen, dass ich gehe, bevor meine Kinder im Bett sind und mein Mann alleine dahängt damit. Mein Freund kann sich momentan kein Auto leisten. Also muss ich fahren. Er hat leider nicht viel von mir, was mir auch wieder ein schlechtes Gewissen macht.

Schön ist, wenn er ab und an über das Wochenende bei uns ist. Die Männer kommen miteinander aus. Mein Freund spielt und tobt mit den Kindern herum. Mein Mann und ich können in der Zeit etwas am Haus schaffen. Mein Freund schläft dann aber nicht mit in unserem Schlafzimmer. Wir hatten auch noch keinen Dreier. Es mag Leute geben, die das tun, aber für uns kommt das nicht in Frage. Mein Mann ist weiß Gott so schon tolerant genug.

Für die Zukunft wünsche ich mir sehr, dass mein Freund noch näher zieht. Nach seiner Ausbildung. Damit es leichter wird, sich zu sehen und der Alltag nicht mehr so kompliziert ist und niemand zu kurz kommt. Ob es so kommt, steht in den Sternen. Wie es bei jeder Beziehung in den Sternen steht, ob sie ewig halten wird.

Was ich mit meiner Erfahrung aufzeigen will:
In der Theorie klingt Polyamorie wie ein tolles Konzept. Es ist auch lediglich ein Konzept, davon bin ich zutiefst überzeugt. Manche sehen es gleichwertig mit Homosexualität. Ich kann das nicht bestätigen. Wer hat denn noch nie die Erfahrung gemacht, sich auch von anderen als dem eigenen Partner angezogen zu fühlen? Ob meine Ehe damals wirklich gehalten hätte, wären die Kinder nicht gewesen? Dafür möchte ich meine Hand nicht ins Feuer legen. Alles war eingeschliffen und ein Nebeneinanderher geworden. Viele wählen ja in der heutigen Zeit trotz Kindern dann den Weg der Scheidung.

Als Argumentation für Polyamorie lese ich häufig, es ginge darum, dem Partner sein Glück zu gönnen. Und sich gegenseitig nicht in der eigenen Freiheit einzuschränken. Das klingt sehr liebevoll und großzügig. Es birgt aber auch den knallharten Anspruch, dass der Partner mich zu keiner Zeit in meiner persönlichen Freiheit einschränken darf. Damit wird für mich das Bedürfnis der persönlichen Freiheit über das gestellt, wozu man Beziehungen eigentlich führt: Nähe und Fürsorge. Und das birgt auch ein gewisses Maß an Verantwortung füreinander. Es geht in Beziehungen nicht in erster Linie darum frei, sprich ungebunden zu sein. Das Gegenteil ist der Fall. Freiheit als höchstes Gut in einer Beziehung... diese Sichtweise kann ich absolut nicht teilen, obwohl ich das Konzept der Polyamorie seit zweieinhalb Jahren lebe.

Ich kann sagen, es ist für mich absolut nicht leicht. Ich muss es zwei Männern Recht machen und dabei vor allem noch darauf achten, dass es meinen Kindern gutgeht. Es stellt für mich lediglich die beste Lösung für mein Gefühlsdebakel dar. Ich erwarte mir kein Mitleid. Ich will auch nichts daran ändern. Ich erhalte sehr viel. Sehr viel Geborgenheit, Aufmerksamkeit und Fürsorge. Dafür bin ich beiden Männern sehr dankbar.

Würde mich heute jemand vor die Entscheidung stellen, ob es für mich zukünftig mein Mann oder mein Freund sein soll, ich hätte nach wie vor keine Antwort darauf. Ich empfinde beide Beziehungen als gleich wichtig für mich.
Aber so romantisch verklärt, wie ich es oft in Artikeln über Polyamorie lese, kann ich es absolut nicht empfinden. Es wirkt auf mich immer wie eine kämpferische Selbstrechtfertigung.

Polyamorie zu leben, mit vollem Bewusstsein für die Verantwortung, die man dabei über die Beziehungen trägt, ist schwer und es ist kompliziert. Aber Liebe.

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