Wenn Autisten fühlen lernen...


Kennt ihr dieses Gefühl, aus einem langen Schlaf zu erwachen und auf einmal alles klar und deutlich zu sehen?

Ich habe schon lange einige liebe Freunde in meinem Leben. Kinder die mich brauchen und lieben, eine Familie, die aus viel mehr Menschen besteht, als mit mir blutsverwandt sind. Doch früher habe ich den Wert dieser Beziehungen anders wahrgenommen, als ich es jetzt kann.

Als ich beschloss, Deutschland zu verlassen, hielt ich mich für einen Menschen, der sehr leicht Beziehungen loslassen kann. Ich dachte, ich bräuchte kaum reale Kontakte, solange ich ausreichend Online-kontake habe. Der Wert davon, sich einander Gegenüber zu sitzen, erschloss sich mir nicht und gab mir nicht viel, kostete meist mehr Kraft als Anderes. Ich fühlte mich immer latent bedroht durch die Anwesenheit anderer und war unglaublich unsicher in mir selbst.

Doch dann ging ich weg, kam zurück und etwas hatte sich verändert.
Ganz tief in meiner Seele hat sich etwas Verborgenes gelöst. Als ich meine Kleinen das Erste mal wieder in die Arme schließen durfte, war diese Beziehung von unschätzbarem wert, kostbarer als jemals zuvor. Sie brachten meine Seele auf eine Art zum Schwingen, die mir vollkommen neu war.

Meine Gefühle waren intensiver und wahrhaftiger, sie durchdrangen mein Herz und meinen Körper mit einer Lebendigkeit, die ich nie zuvor gespürt hatte.

Ich weiß nicht, wie genau ich euch das erklären kann. Es war, als hätte all die Jahre zwischen mir und meinen Emotionen ein Schleier gelegen. Eine Art Blockade, die verhinderte, dass ich mich selber spürte. Ich hielt dieses Kind fest, spürte ihre Wärme, hörte ihr Flüstern in meinem Ohr und ich war so voller Liebe und Dankbarkeit, genau jetzt genau hier zu sein und ich wusste, ich werde sie niemals freiwillig verlassen. Auswandern oder dauerhaft aus Europa verschwinden wurde von dem Moment an undenkbar.

Dieser Prozess dehnte sich in den letzten Monaten aus. Ich sah meine Freunde wieder und ihre Umarmung gab mir eine Wärme, die ich so nicht kannte. Ihr Lächeln erwärmte mein Herz auf eine Weise, die mich tief berührte und immer mehr veränderte.

Es ist nicht so, dass sie vorher nie da war, ich glaube, das war sie immer schon. Viel mehr konnte ich sie nicht erkennen. So wie manche Menschen farbenblind sind, war ich auf einer bestimmten Ebene quasi gefühlsblind.

Natürlich kann ich nicht mit Sicherheit sagen, was diese Veränderung ausmacht, aber ich glaube, es ist die Art, wie ich mich sehe und zu mir stehe.


Auf einmal erfahre ich in der Welt so viel Licht und Liebe, wo für mich vorher nur Bedrohung und Schatten war. All die Achtung vor der ich früher Angst hatte sie nicht zu verdienen, all die Liebe und der Respekt fangen an zu fließen, in mir, aus mir heraus und zu mir zurück.


Dieser Prozess ist unglaublich heilsam und bereichernd. Ich weiß jetzt schon, mein Leben wird nie mehr wie vorher sein.
Aber diese Entwicklung bring auch loslassen mit sich. Loslassen ist offenbar sehr schmerzhaft, wie ich gerade feststellen darf. So erlebe ich das nämlich zum ersten Mal. Ich erfahre Gefühle in einer Wucht, wie ich sie die 32 Jahre zuvor nicht kannte. Mein Leben dreht sich komplett, ich gewinne und verliere im selben Moment. Erlebe die glücklichsten Stunden und zeitgleich muss ich sehr schmerzhafte Entscheidungen treffen die nicht nur mein Leben für immer verändern werden.

Und in all den Prozessen frage ich mich, was bedeutet das für mich, wo ich dachte das ich nicht fähig wäre, so zu fühlen. Was hat all die Jahre mein Herz so sehr blockiert das ich ein Autist war und kann das für meine Zukunft bedeuten, davon befreit zu werden? Kann es mir in diesem Prozess gelingen all das aufzuholen was mir bisher verwehrt war?

Hattet ihr schon solche Phasen in eurem Leben in denen euer Leben Kopf stand, in denen ihr zeitgleich Höhen und Tiefen durchlebten, von denen ihr vorher nichts geahnt habt?

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(Bildquelle Pixababy CC0 Lizenz)

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