Von Mut und Angst - ein paar mehr oder weniger geistreiche Gedanken

Immer wieder in meinem Leben sagen mir Menschen, wie mutig ich sei und jedes Mal denke ich, wenn du wüsstest, wie feige ich in Wahrheit bin.

Lange habe ich darüber nachgedacht, was Mut genau ist und woran wir ihn erkennen. Was unterscheidet Mut von Dummheit, Naivität, Risikobereitschaft, oder gehört das alles irgenwie zusammen? Gibt es das Eine ohne das Andere? Ist Mut nicht immer mit der Bereitschaft verbunden und verlangt dazu den Vertrauensvorschuss, dass es sich lohnen wird?

Mut, ich versuche dich zu fühlen, den Tiger in meinem Herzen zu spüren und ihn frei zu lassen. Eines scheint mir sicher, Mut und Angst sind Zwillinge, untrennbar. Wer keine Angst hat, empfindet keinen Mut. Etwas zu Riskieren ohne Angst, ist nicht mutig. Oder doch?

Als Kind empfand ich Mut als eine Art externer Booster.
Wenn ich mich ängstlich fühlte, stellte ich mir einen riesigen Tiger vor, der neben mir steht. So einer der mir bis zum Ellbogen reicht und der jeden in Stücke reißt, der sich mir ungefragt nähert. Ich malte mir aus, der Tiger wäre ein geistiges Wesen das, ähnlich wie in einem Spiel, die Energieleiste des Gegners attackiert, bis dieser handlungsunfähig ist.

So fühlte ich mich stark und mutig, fixiere meinen Feind mit offenem Blick und spürte die Energie des Krafttieres unter meiner Handfläche kribbeln. Ich muss so verstörend gestarrt haben, dass die Kinder automatisch Abstand hielten und ich kam mir vor, wie ein ziemlich mächtiger Magier, mit seinem unsichtbaren Gefährten.

Heute erkenne ich den Mut und diese Energie mehr in mir, in meinem Charakter und meiner Seele. Ich fühl den Tiger als Teil von mir, hab aber gelegentlich durchaus Spaß daran, mit meiner sehr ausgeprägten Fantasie zu spielen.

Aber zurück zur Frage, wann handle ich mutig und macht das überhaupt Sinn?

Das was Andere bei mir als mutig erkennen, kommt bei mir immer aus einer Situation heraus, in der ich mich gar nicht als mutig empfinde. Natürlich steckt eine gewisse Energie hinter den Entscheidungen, die ich in dem Moment treffe aber auch emotional eine deutliche Klarheit. Ich weiss rational, ich hätte eine Wahl aber emotional und für meinen Lebensweg, fühlt es sich keinesfalls danach an.

Als ich vor vielen Jahren meine Ausbildung abbrach, kurz vor Ende, die Schweiz verließ, um mich selbstständig zu machen, sagten viele, sehr mutig Rachel. Die meisten wollten vermutlich eher sagen, voll dumm Rachel, waren aber zu höflich dafür.

Ich wusste mit absoluter Klarheit, dass ich den Weg nicht weiter gehen werde und ich habe diese Entscheidung nie bereut. Ich konnte mich immer selber finanzieren und habe durch diesen Weg Menschen getroffen, die ich Liebe und die zu mir gehören als meine Familie.

Wäre der Plan schief gegangen und ich arbeits- und ausbildungslos zurück in die Schweiz gekommen, hätte man meinen Mut als Dummheit und Naivität ausgelegt.

Als ich all mein Hab und Gut verkaufte, meine Jobs kündigte und mit meinem Mann aufbrach nach Bangkok aufbrach, nur mit einem Hotel für 4 Nächte und 10.000 Euro auf dem Konto, sagten viele wieder, boa, mutig. Und die meisten davon meinten mit Sicherheit, krass wie naiv und leichtsinnig. Doch ich hab diese Entscheidung keine Sekunde bereut und würde auch diese immer wieder treffen.

Und jetzt, mach ich mich auf, mein äußeres an mein inneres Geschlecht anzugleichen, habe meine Ehe beendet und riskiere wieder alles. Viele sagen, wie mutig, und einige werden auch hier wieder denken, wie bescheuert.

Doch der Punkt ist, ich hatte nie eine Wahl. Wäre ich in der Schweiz im Job geblieben, ich wäre so unglücklich gewesen. Es hätte mich viel mehr Kraft gekostet, dortzubleiben als zu gehen. Mir fällt generell gerade auf, dass all diese Dinge, bei denen man mir sagte, ich sei mutig, etwas mit gehen zu tun haben.

Wobei das ja auch ein Stück weit klar ist. In einer Situation zu bleiben in der man schon ist, erscheint uns selten mutig. Darüber muss ich mal nachdenken, denn es kann durchaus mutig sein, wenn man bleibt, finde ich. Vielleicht gibt es sogar Situationen in denen bleiben viel mehr Mut erfordert als zu gehen.

Ok, jemand den ich sehr lieb habe, würde jetzt sagen, Rachel, hör auf zu plappern und komm zum Punkt. Aber irgendwie, finde ich den gerade nicht.

Also, ich glaube, das meiste in unserer Gesellschaft erfordert gar nicht so viel Mut. Eher Charakterstärke, Willenskraft, Begeisterung, Tatendrang und Vertrauen. Außerdem scheinen mir diese Adjektive immer mit dem Betrachter zusammen zu hängen, des einen Mut kann des Anderen Dummheit sein.

Im Leben gibt es nur einen Weg für mich, den nach vorne.
Es ist für mich unmöglich nicht vorwärtszugehen und zu versuchen, glücklicher, leistungsfähiger, bereichernder, witziger, verzeihender, wohlwollender, großzügiger, disziplinierter, sportlicher, freundlicher usw. zu werden. Und manchmal bedeutet das, zu gehen oder zu stehen, obwohl ich Angst habe. Bin ich deswegen mutig? Vielleicht ja aber hinter jeder mutigen Entscheidung, stecken auch alle anderen Facetten des Lebens.

Seid ihr mutig?

Trefft ihr genauso gerne solche Entscheidungen wie ich oder bleibt ihr lieber in der sicheren, warmen Stube und riskiert nicht zuviel, wegen all der Dinge, die man verlieren könnte?

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(Bildquelle Pixabay CC0 Lizenz)

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