Sein oder nicht sein

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Nihilist wurde der Autor dieser Zeilen kurz vor Weihnachten genannt. Deshalb dankt das Tümpelinstitut heute Wikipedia für das Bild vom Schriftsteller Iwan S. Turgenew, der den Begriff mit seinen Schriften populär werden ließ.

Die Titulierung eines unserer Autoren als Nihilist bedarf mindestens der Überprüfung auf Statthaftigkeit. Was selbstverständlich in Form einer Replik des Tümpelinstituts erfolgt. Nicht, um den Autoren etwa zu rechtfertigen, oder gar ein Dementi zu statuieren. Wie wir alle wissen, ist das Institut alleine daran interessiert Behauptungen zu überprüfen, um sie an einer Realität zu messen, die für jeden Leser nachvollziehbar ist. Abgesehen von vielfältig kulturellen Realitäten, derer es beinahe so viele gibt, wie Individuen auf dieser Planetenhülle krauchen, ist jeder von physischen Größen geplagt, die so artgerecht, wie auch individuell weggesteckt werden. Wo zieht das Institut die Grenze des gemeinsamen Nenners? Da bietet sich die Gravitation an.

Gravitation wird oft mit Schwerkraft gleichgesetzt. Das Gewicht eines Körpers wird allerdings vom lokal herrschenden Schwerefeld bestimmt, welches nicht nur die Gravitationskraft umfasst, sondern auch auf den Körper wirkende Trägheitswirkungen (insbesondere durch die Rotation des Bezugssystems).
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@jaki01 dankt das Institut für seine mindestens 20 bohrenden Kommentare, Fragen an unseren Autoren. Auch @felixxx war nicht unbeteiligt an der Herleitung des Nihilisten. Mit 18 Kommentaren, die bis hin zu Jakis Klassifizierung geführt haben, beteiligte er sich harmonisch an der inquisitorischen Befragung des Institutsautoren. Es schien fast, wie verabredet. Felixxx und Jaki01 haben regelrecht weich gefragt, bis Jaki01 den Spieß des Nihilismus hinein treiben konnte. Dann hat er seinen Sammelkasten geöffnet und einen Nihilisten hinzu gefügt. Das war spannend für den Autor, ist es sogar noch, weil es sich immer lohnt, nachzudenken. Außerdem ist Nihilist vollkommen neu. So was war ein Frosch noch nie. Oder ist er gar lebendig gewordener Inbegriff dieser kulturellen Kategorie.

Spätestens dann, wenn jemand öffentlich und vielleicht auch noch provokant Stellung bezieht, kommt es in einer Bürgerkultur zur Werteabfrage. Davon bleibt niemand verschont. Selbst wenn man schlitzäugig, als schwarzer Indiander mit Pfeil und Bogen von einem Südseeatoll kommt, nichts sagt und Limo trinkt, wird der Mensch in einer Bürgerkultur auf Brauchbarkeit und Werte abgeklopft. Früher haben die Schergen unerbittlicher Obrigkeit das Prinzip körperlich lustvoll, bis hin zur tatsächlichen Inquisition pervertiert. Dass religiöser Wahnsinn die Menschheit noch lange nicht verlassen hat, ist Konsens.

Der Mensch lebt seine Werte nicht nur, er kann sie auch erfinden, beschreiben, beugen, ja sogar aufzwingen und katalogisieren. Wenn Menschen und Kulturen sich begegnen, schätzen sie meist einander ab, taxieren, klassifizieren das Gegenüber in nutzbare Kategorien. Nur schwerlich kann man Neugier beim Kennenlernen verbergen. Was in einem breiten Fächer aus Schubladen mündet, die von jeweiliger Situation, Motivation, den Kurz- und Langzeitzielen, über individuelle Stärken, Schwächen, bis hin zu Auf- und Zumachen des Geistes variieren. Jeder wird seine kulturelle Prägung mehr oder weniger virtuos interpretieren, und individuell erscheinen. Dabei spielen Herkunft, Bildung, Status und Mimikry eine große Rolle. Dort liegen die imposanten Pfunde. Das alleine, liebe Mitmenschen, ist schon komplex, wirkt oft auch öde, wenn man in der Routine sozialer Systeme lebt.

Doch Rettung ist in Sicht. Jeder von uns bringt die Ausstattung prosozialen Verhaltens mit sich, das lebenslang seine dominante Rolle spielt, ohne dass wir es als selbstständige Einheit unseres Wesens erkennen würden. Stell' es dir vor, wie ein Grundsummen. Wenn du was falsch machst, wird der Ton automatisch schriller. Das mag, oberflächlich betrachtet, zunächst genau so öde und vorbestimmt klingen, wie die Unausweichlichkeit der kulturellen Situation, ist tatsächlich aber spannend.

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Bild:

Frans de Waal war vermutlich selbst einst Hippie und wünscht sich, dass wir vom Bonobo abstammen, dem von ihm so genannten Hippieaffen. Wenn wir mal ehrlich sind, sieht es aber eher so aus, dass sich unser prosoziales Verhalten mehr vom Schimpansen her leitet. Mit ausgeprägter Hierarchie, ständiger Kampfbereitschaft und strikter Ablehnung rottenfremder Individuen, die kurzerhand umgebracht werden. Es scheint aber auch möglich, dass sich der Mensch zwischen den beiden Zweigen der Evolution entwickelt hat. Für Kreationisten ist der Vortrag hier zuende. Vielen Dank, dass ihr gekommen seid. Morgen sind wir wieder mit einem neuen Thema da.

Was macht die Sache so spannend? Beinahe vorhersehbar genetisch determiniert und durch Sozialisation kulturell geformt, spielt selbstverständlich die individuelle Physiologie eine tragende Rolle zum Wesen des Menschen bei, diesem Orchester aus Materie, Genen, Kultur, und ganz zufälliger, individueller Bauart. Liebe Weihnachtsgänse, Matadore des Hier und Jetzt, es ist so banal, dass unser Dekan schon wieder über den Scherz des Universums lacht. Jeder Mensch ist von seiner physischen Ausstattung her determiniert, was meint: Es war schon vorher klar, wie krumm du wächst.

Individuelle Bandbreite der Drüsenproduktion, neuronale Verschaltung bestimmen die Intensität deiner Rezeption, wie Reaktion. Ist der Synapsenspalt enger oder weiter, die Myelinschicht um den Nerv dicker oder dünner, die Knochenstärke – all das bestimmt, wie du bist. Neun Monate lang den Bräuchen der Mutter in einem Bauch ausgeliefert, das prägt und geht nicht etwa spurlos vorüber. Dann kommt die postnatale Sozialisation, wo die Werte vermitteln werden. Das Eis auf dem sie gründen sollen ist dünn. Ihre Herkunft weist auf Rang und Gewalt des Schimpansen hin, wie auch auf den Hippieaffen.

Dann kommt die Beschaffenheit des angestammten Biotops ins Spiel, die Nützlichkeit der Anpassung. Der Pygmäe ist gedrungen, gut für den Urwald, während Nubier, die mit ihren Rindern in der Steppe wandern, hoch aufgeschossen und schlank sind. Wir reden über die ganz normale Varianz anatomischer Anpassung und meinen damit, dass alle Menschen gleich ausgestattet und extrem anpassungsfähig sind, damit überhaupt erst Kultur ins Spiel kommen kann. Die artifiziell ist und unsere gründet offensichtlich auf tradierten Werten von Gewalt und Herrschaft, was wohl mal nützlich war. Es gibt Ideen und Ideale, die sich durchsetzen und wirken. Kultur kann sich, im Gegensatz zur relativ trägen, natürlichen Anpassung des Menschen, wahnsinnig schnell ändern.

Wir präsentieren die Gedanken des betroffenen Autoren. Das Institut distanziert sich vorsorglich von folgendem Inhalt in der ehrvoll akademischen Absicht, dem Angegriffenen Raum zur Darstellung seiner Sicht zu geben.

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Erklärbär Wikipedia

Obacht, Jaki01 und Felixxx. Wikipedia bestätigt, dass ich kein Nihilist bin.

Mit dem Begriff Nihilismus (lateinisch nihil ‚nichts‘) wird allgemein eine Weltsicht bezeichnet, die die Möglichkeit jeglicher objektiven Seins-, Erkenntnis-, Wert- und Gesellschaftsordnung verneint.

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Ich plädiere auf Freispruch weil ich meine, dass jede der angeführten Ordnungen alleine intellektuellen Leistungen entsprungen ist und daher selbst nie objektive Ordnungen darstellen können. Es sei denn, wir dehnen den Begriff Objektiv. Jede der Ordnungskategorien wurde durch beliebige Entwicklungssprünge, Epochen und Irrtümer hindurch tradiert. Wie soll dabei etwas objektiv bleiben? Doch lesen wir weiter Wikipedia.

Er wurde auch polemisch verwendet, so etwa für Kritiker von Kirche und Religion oder politischer Ordnungen (Anarchismus). Umgangssprachlich bedeutet Nihilismus die Verneinung aller positiven (seltener auch der negativen) Ansätze.

Wikipedia

Ich plädiere für Freispruch. Polemik gegen Kritiker ist unzulässig. Punkt. Umgangssprachlich bin ich immer positiv eingestellt, suche das Konstruktive und rutsche nur selten ins Destruktive. Außerdem ist das Beispiel umgangssprachlicher Nutzung von Wikipedia extrem selektiv und tendenziös gewählt. Umgangssprachlich wird der Begriff nahezu beliebig genutzt. Das ist also auch Kappes!

Durch die gedankliche Orientierung am Nichts beinhaltet der Nihilismus einen absoluten Vorrang des Individuums, das allein seinen Trieben und Neigungen folgt und dem alles erlaubt ist. Wenn aber die nihilistische Weltsicht so weit geht, dass selbst das Individuum als sich ständig wandelnde subjektive Erfahrung angezweifelt wird, verlieren auch diese Triebe und Neigungen jede Bedeutung.

Wikipedia

Ich plädiere für Freispruch. Der absolute Anspruch des Individuums seinen Trieben und Neigungen zu folgen, lässt uns Nahrung anbauen und zum Mond fliegen. Das Prinzip, seinen Neigungen zu folgen, zeigt sich durchgängig vom Einzeller, über die Pflanzen, bis hin zum Menschen als förderlich fürs Überleben. Es hat bei uns gar zur Evolution von Werkzeugen geführt. Mitteln, die Grenzen naturgegebener Wahrnehmungsfähigkeit unserer Art, um Potenzen erweitern.

Erlaubt ist, was das natürliche, prosoziale Verhalten der Spezies hergibt. Da liegt die Grenze und das spiegelt sich sogar in unserer Verfassung. Überschreitest du diese natürlichen Grenzen, hat deine kulturelle Sozialisation das primäre, genetisch determinierte Verhalten gedämpft, oder gar pervertiert. Wenn in einer Kultur Menschen einander essen, zeigt das nur, dass sie eine andere Kultur, vielleicht keine bessere Quelle für tierisches Eiweiß haben. Warum wir das heute nicht tun, zeigt, dass wir stressfreiere Riten und Methoden übernommen haben, um diesen Blödsinn lassen zu können. Das hat nicht das Geringste mit Moral zu tun. Verhalten ist also nicht alleine tradiert, sondern auch prädestiniert. Wir wissen ja schon, angesichts der Vielgestalt des Menschen, dass sich Biotop wie auch Tradition genetisch manifestieren. Das passiert manchmal innerhalb von nur ein paar Generationen.

Einem staatlich verfassten Individuum ist ganz sicher nicht alles erlaubt . Ich kann nur vermuten woher die gemeine Unterstellung stammt, es sei des Nihilisten Grundsatz, nicht zur Verfassung zu stehen. Das ist Blödsinn und entspringt auch nicht der Ernsthaftigkeit philosophischer Herleitung.

Abschließend wage ich zu behaupten, dass an der Definition was nicht stimmt. Da spielt viel zu viel von Tradition geschobene Moral mit hinein. So entsteht ein schiefes Bild. Moral hat nichts zu suchen, wo man der Objektivität näher rücken will. Die Wiki-Erklärung ist scheinwissenschaftliche Philosophie mannigfaltig zusammen getragener Behauptung.

Über dem sozialen Verhalten liegt die Grundausstattung prosozialen Verhaltens. Das, was zunächst niemand verhindern kann, würde man nicht der kulturellen Sozialisation anheim fallen. Ich bin lieber Biologe, kein Nihilist und viel zu faul, mir Turgenew oder Schopenhauer rein zu ziehen.

https://www.gleichsatz.de/b-u-t/trad/shauer/shop1freiwill.html
ARTHUR SCHOPENHAUER
(1788-1860)
Über die Freiheit des menschlichen Willens
[Preisschrift gekrönt von der Königlich Norwegischen Sozietät
der Wissenschaften zu Drontheim, am 26. Januar 1839]

Um nicht mit Pose von Wuchtigkeit eines anerkannten Philosophen zu schließen merke ich noch an, gerade einem phantastischen Sonnenuntergang beigewohnt zu haben. Unser Stern stand mir gegenüber, auf Augenhöhe, blutrot im Westen. Wobei gerade zur Zeit der Wintersonnenwende auffallend ist, dass der Westen verdammt breit ist. Der rote Stern spendet Trost und ist Antwort auf all meine Fragen.

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