Xenoöstrogene Teil 5: Hopfenpolyphenole. Unser täglich Bier als Hormonbombe?

Das aus dem Hopfen stammenden 8-Prenylnaringenin ist das stärkste bekannte Phytoöstrogen. Eine (Ent)Warnung.


Dieser Post ist Teil einer Serie über Fremdstoffe, die die Wirkung des weiblichen Sexualhormons Estradiol imitieren ("Xenoöstrogene"). Ich schlage vor, ihr fangt bei den Grundlagen an:
Xenoöstrogene Teil 1: Östrogene und der Östrogenrezeptor
Weiters sind in dieser Serie erschienen:
Teil 2: Warum wirken manche Fremdstoffe als endokrine Disruptoren und wo können wir diese finden?
Teil 3: Isoflavone, Soy boys, und tatsächliche problematische Nebenwirkungen von Sojaprodukten.
Teil 4: Plastik. Wie gesundheitsschädlich ist es wirklich?


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Hopfen und Malz, Gott erhalt’s? CC0, von pexels

Intro

Ich schreibe (wie oben gut ersichtlich) nicht zum ersten Mal über hormonell wirksame Stoffe, aber heute wird’s erstmals schmerzhaft.
Die Sache ist ja die: Ich esse kaum Soja, ich weiche Polycarbonat aus, weiß wie man Konserven nicht behandelt und der Einfluss östrogener Pestizide ist in Europa stark reguliert, so dass von der Seite eigentlich auch keine Gefahr droht. Insofern konnte ich bislang schön aus der Distanz über andere schreiben.

Aber Bier? Ooops.
Ich sag nur: Grundnahrungsmittel.

Was das Problem dabei ist?

hey ho

Hopfen und seine Inhaltsstoffe

Seit dem Mittelalter werden die Blüten der Hopfenpflanze beim Bierbrauen eingesetzt. Was ursprünglich ein Konservierungsmittel war (Hopfen wirkt antimikrobiell), ist heute hauptsächlich eine bittere Aromakomponente, die aus dem Bier nicht mehr wegzudenken ist (sonst wär’s ja echt nur vergorener Gerstensaft), und die auch gesetzlich vorgeschrieben ist, wenn ein Produkt „Bier“ genannt werden soll (Reinheitsgebot von 1516).

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Hopfenblüten. CC0, von pixabay

Neben den Bitterstoffen enthält Hopfen auch eine Reihe von Polyphenolen, die aufgrund ihrer anti-oxidativen Eigenschaften grundsätzlich gern als gesundheitsfördernd angesehen werden. Die Leitsubstanz dieser Gruppe ist das Xanthohumol (abgekürzt auch XAN), ein prenyliertes Chalkon. Die letzten 2 Wörter werden für die meisten von euch irgendwie nach einer Mischung von Rumänisch und Arabisch klingen… Macht aber nichts, der Chemiker in mir erklärt’s gern:

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Xanthohumol rechts, der Metabolit 8-Prenylnaringenin links.

„Chalkon“ bezeichnet die chemische Grundstruktur in schwarz, „prenyliert“ bedeutet, dass diese Grundstruktur zusätzlich eine Prenyl-Gruppe trägt (rot), was für Naturstoffe relativ ungewöhnlich ist.
Im Vergleich zu anderen Stoffen erhöht die Prenyl-Gruppe die Bioverfügbarkeit der Substanz, da diese dadurch lipophiler (“fettliebender“) wird und somit leichter vom Darm aufgenommen werden kann als die oft sehr hydrophilen (“wasserliebenden“) Polyphenole. Also prinzipiell super, wir haben ein Antioxidans, das auch noch bioverfügbar ist. Yay!

Blöd nur, dass das Xanthohumol kein Xanthohumol bleibt. Es wird „metabolisiert“, d.h. chemisch verändert, und zwar teilweise schon in der Pflanze, teilweise auch während des Brauprozesses. Dadurch ist XAN im fertigen Bier zwar noch vorhanden, aber die daraus entstandenen Metaboliten sind ähnlich hoch oder sogar höher konzentriert. Einer dieser neu entstandenen Stoffe ist das 8-Prenylnaringenin (8-PN), und das hat es in sich. Es ist nämlich das stärkste bekannte pflanzliche Östrogen. Erinnert ihr euch an das Genistein in Sojabohnen? 8-PN ist wie Genistein auf Steroiden. Was übrigens in dem Zusammenhang ein besonders genialer Ausdruck ist, da Östrogene Steroide SIND. Ja ich, weiß... G E N I A L

Hormonelle Wirkung und ihre Anwendung

Dementsprechend stark können die Effekte von Hopfen auf unser endokrines System sein. Schon im 19. Jahrhundert wurde dokumentiert, dass Hopfenpflückerinnen unter den hormonellen Einflüssen der Blüten litten, deren Inhaltsstoffe sie im Überschuss abbekamen. Insbesondere führte ihre Tätigkeit zum Ausbleiben der Periode, Anschwellen der Brüste und generell Schwangerschafts-ähnlichen Symptomen (Moment, muss mal checken, ob meine Frau eh wegschaut… ja, die Luft ist rein. Ich rede von Stimmungsschwankungen.)ref1, ref2


Hopfenpflückerinnen in der Nachkriegszeit, als Hopfen noch von Hand gepflückt wurde. Bildquelle, urheberrechtsfrei.

Und heutzutage ist Hopfen eine begehrte „Heilpflanze“ bei Freunden der „natürlichen“ Medizin. Hopfenextrakt wirkt nachweislich gegen menopausale Beschwerden, und weniger seriöse Quacksalb… ähm… Geschäftsleute vermarkten das gute Zeugs auf für die „natürliche Brustvergrößerung“. ref
Dass die Aktivierung von Östrogenrezeptoren (ER) im adverse outcome pathway im direkten Zusammenhang mit einem gesteigerten Brust- und Eierstockkrebs-Risiko steht, wird dabei gern verschwiegen.ref

Und nachdem unser 8-PN ziemlich potent dabei ist, beide Isoformen des ERs zu aktivieren, sollte man die pseudomedizinische Anwendung von Hopfen generell eher als gesundheitsschädlich betrachten.

Und Bier?

Ok, all hands on deck. Schauen wir uns an, was das fürs Bier heißt. 2 Fragen:

Wieviel 8-PN kommt in Bier vor?

Die Konzentrationen von 8-PN im Bier schwanken sehr stark je nach Biersorte zwischen unter 10 µg/l (die meisten deutsch/österreichischen Biere, inkl. Lager und Weizen) bis auf über 100-200 µg/l (tschechisches Lager, Stout, American Porter)ref

Welche Menge 8-PN brauchen wir, um östrogene Effekte zu erzielen?

Da hab‘ ich jetzt eine gute und eine schlechte Nachricht…

Die gute zuerst:

In Tierversuchen wurden negative Effekte erst bei (auf Menschen umgerechnete) Dosen von ca. 100 mg gefunden… D.h. selbst wenn man den üblichen Unsicherheitsfaktor 100 (10 für die Spezies-Extrapolation, 10 für interindividuelle Unterschiede) mit rein nimmt, hätte man eine Dosis von 1 mg, die als toxikologischer Grenzwert gelten würde. Anders ausgedrückt: Dem zufolge müsste man täglich 10 tschechische Biere zwitschern, um ein Problem mit Östrogenen zu erhalten.
Und bei 10 Bieren täglich ist 8-PN dein kleinstes Problem, frage nicht.

Die schlechte Nachricht:

Humanstudien an Frauen in den Wechseljahren, die über mehrere Wochen hinweg täglich 100 µg 8-PN erhielten, führten zu deutlichen Veränderungen in der Symptomatik der menopausalen Beschwerden, d.h. es scheint im Menschen durchaus auch bei dieser Dosis schon was zu passieren. 100 µg sind mit regulären europäischen Bieren immer noch schwer zu erreichen, aber 1-2 Craft Beers am Tag, und du bist dabei.
Happy womens day, und viel Spaß mit deinen neuen Brüsten

Rekapitulieren wir

8-Prenylnaringenin, ein Inhaltsstoff der Hopfenblüte, ist toxikologisch bedenklich und erfüllt alle Kriterien eines endokrinen Disruptors. Zu Hopfen als medizinischer Pflanze sollte man nur unter ärztlicher Beratung greifen.
Mäßiger Bierkonsum, vor allem von hierzulande gängigen Bieren, ist höchstwahrscheinlich unbedenklich, weil die dadurch erreichten Konzentrationen des Stoffes zu niedrig sind, um unseren Hormonhaushalt zu stören. Regelmäßiger Konsum größerer Mengen an Biersorten, die besonders viel Hopfen enthalten, könnte problematisch sein… Oder ist zumindest mit einem gewissen Unsicherheitsfaktor behaftet, da bei diesen Konzentrationen endokrine Effekte an Menschen beobachtet werden können – wenn auch keine negativen.

Aber schön die Kirche im Dorf lassen…Wir reden von chronischer Toxizität! Ein IPA hier und da bringt euch nicht gleich um.


Disclaimer:
In meinem Blog schreibe ich meine ehrliche Meinung als toxikologischer Forscher, nicht mehr und nicht weniger. Ich bin ein Mensch, manchmal unterlaufen mir Fehler. Diskutiert mit mir, seid anderer Meinung – wenn ihr die besseren Argumente bringt, überleg‘ ich gern ein zweites Mal.

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