ÄGYPTOLOGIE: Wissenschaft im Alten Ägypten, Teil 3

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In meinen beiden vorherigen Beiträgen über Wissenschaft im alten Ägypten habe ich euch eine kurze Einführung in Astronomie & Mathematik, und Geographie, Geologie & Biologie gegeben. In diesem Artikel würde ich nun gerne über die Innovationen und die Technologie dieser fortgeschrittenen antiken Kultur schreiben, und damit gleichzeitig die Themen Physik und Chemie abdecken. Das soll auch einen detaillierten Einblick in die Arbeit von Archäologen ermöglichen und zeigen, auf welchem Weg sie zu ihren Schlussfolgerungen über die historische kulturelle Entwicklung in vergangenen Zeiten kommen. Auch bei diesem Artikel handelt es sich um eine Übersetzung des entsprechenden Artikels, den ich vor kurzem in englischer Sprache verfasst habe.

Archäologische Quellen

Ägyptologen teilen heute die altägyptische Vergangenheit in verschiedene Epochen ein, wie ihr im Bild unten sehen könnt.

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Die Gelehrten bezeichnen die Zwischenzeiten oft als "dunkle Zeitalter", da wir es als Archäologen oft mit einem Mangel an verlässlichen historischen Quellen zu tun haben. Die tatsächliche Geschichte dieser Epochen liegt also im Dunklen. Vor einigen Jahren gab es dazu die allgemeine Auffassung, dass die Kreativität der Menschen in jenen Zeiten schwand. Es wurden Theorien aufgestellt, dass beispielsweise die Töpferei weniger "schön" gewesen sei, weil die Menschen mehr damit beschäftigt gewesen seien, die Krise zu überleben. Wie wir jetzt wissen, war oft eher das Gegenteil der Fall (aber nicht immer). Wir können nicht so einfach zwischen den antiken Epochen unterscheiden, indem wir einfach die künstlerische Qualität der gefundenen Überreste beurteilen. Es gibt einen wichtigen Grundsatz, den wir heute anwenden und der die Grundlage unserer archäologischen Bewertung bildet: Dass Beweise fehlen ist nicht gleichbedeutend mit dem Fehlen von Tatsachen. Mit anderen Worten - auch wenn wir kein künstlerisch gestaltetes Gefäß aus einer der altägyptischen "Zwischenzeiten" finden, können wir nicht automatisch daraus schließen, dass es solche Objekte überhaupt nicht gegeben hat.

Die alten Ägypter waren sehr stolze Menschen. Im Laufe der Jahrtausende haben sie sich in ihrem kollektiven Geist ein fortgeschrittenes Wissen angeeignet und wussten, dass dies einer der Schlüssel zu ihrem Erfolg war. Ihre "Wiederauferstehung" nach sozialen Umbrüchen war nur durch ein starkes lösungsorientiertes Denken möglich. Kreativität und ein progressiver Geist sind allgemein notwendig, um nach dem Chaos auf einer höheren Ebene wieder neu zu beginnen. Meiner Ansicht nach bildeten die Alten Ägypter da keine Ausnahme.

Innovation, Technologie und das progressive Prinzip von "Versuch & Irrtum"

Der unvollendete Obelisk von Memphis. Foto: Gérard Ducher Quelle

Heute trennen wir oft scharf zwischen den wissenschaftlichen Fachbereichen und sprechen allenfalls von "interdisziplinärer Teamarbeit" oder ähnlichem, wenn es um die Berührung oder Überschneidung der Fächer geht. Aber im Alten Ägypten gab es keine solche strikte Trennung und sie "studierten" nicht, um auf experimentelle Weise mehr Wissen zu erlangen. Stattdessen haben wir Beweise für ein "trial and error"-Prinzip, das sich durch die Epochen zieht. Bestes Beispiel dafür ist der "unvollendete Obelisk", ein riesiges Denkmal, das höchstwahrscheinlich im Tempel von Karnak in Memphis (heute Luxor) aufgestellt werden sollte.

Der Obelisk zeigt Spuren von Steinbearbeitung, die die Form des Objekts direkt aus dem Granit aus dem Erdboden "herausgebildet" haben. Doch aufgrund statischer Probleme brach das Objekt plötzlich auseinander und konnte daher nicht mehr seiner ursprünglichen Bestimmung zugeführt werden. So blieb der Obelisk dort liegen, bis Archäologen ihn wiederentdeckten. Dieses recht seltene Exemplar war Gegenstand zahlreicher archäologischer Experimente, um herauszufinden, welche Technik der Steinbearbeitung die Alten Ägypter verwendeten. Bis heute gibt es keine zufriedenstellende Theorie, wie es mit den angenommenen Werkzeugen wirklich möglich war: waren es Kupfermeissel oder andere, viel härtere Steine? Doch auch für Ägyptologen ist das Ganze immer noch ein Rätsel und bleibt auch in Zukunft Gegenstand weiterer Forschungen.

Pyro-Technologie

Wenn ihr den Begriff "Pyrotechnik" hört, denkt ihr wahrscheinlich zuerst an irgendetwas Explosives, stimmt's? Im wissenschaftlichen Kontext bezieht sich die Pyrotechnik jedoch auf den Brennvorgang eines Produktes oder hergestellten Materials. Im folgenden Abschnitt werde ich daher noch einige weitere technologische Neuerungen der Alten Ägypter beschreiben, die einen solchen Brennprozess beinhalteten.

Töpferei und Keramik

Keramik, als ganze Gefäße oder Teller oder auch als Keramikbruch, ist der häufigste Fund in Ägypten. Wenn man an einer archäologischen Stätte vorbeikommt, wird man wahrscheinlich zunächst erst einmal eine riesige Menge an Keramik sehen, vorallem in Gebieten mit menschlicher Besiedlung. Die archäologische Stätte "Umm al-Qa'ab" zum Beispiel ist nach ihrem Aussehen benannt – der Begriff steht für den arabischen Ausdruck "Mutter der Scherben". Es ist ein riesiges Gebiet, das fast vollständig mit zerbrochener Keramik aus der prädynastischen Zeit um 3200 v. Chr. bedeckt ist. Und dieser Ort ist keine Ausnahme. Es gibt zahlreiche solche Ansammlungen in ganz Ägypten. Als Anfänger in der Archäologie empfindet man dabei häufig eine Art "Respekt", nicht auf dem Boden zu trampeln, um nicht noch mehr der wertvollen Scherben zu zerbrechen, von denen man weiß – sie sind Zeugnisse einer tausendjährigen Geschichte. Du nimmst eine Scherbe in die Hand und kannst es nicht glauben: dieses Gefäß wurde einst von einem Alten Ägypter berührt und du berührst es jetzt wieder. In diesem Moment spürt man, dass die unvorstellbare Zeitspanne auf eine Sekunde schrumpft....

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Umm_el-Qaab – die "Mutter der Scherben", ein Gebiet, das vollständig mit antikem Keramikbruch bedeckt ist.
Bildnachweis: Public Domain Quelle

Jetzt könnte man denken - oh Keramik.... wie langweilig. Ich gebe zu, besonders die Scherben ohne Dekoration sind im Allgemeinen nicht sooo interessant, aber aus wissenschaftlicher Sicht suchen wir meist nach Keramikresten, die Teile von einem Rand oder einem Boden besitzen. Anhand dieser Fragmente können wir die Funde dann quantitativ, aber auch qualitativ erfasst und analysiert werden. Aber die wichtigste Frage, die wir an die antike Keramik stellen, ist die nach ihrer Funktion als Marker zur Datierung. Das Alter des Ortes, der Siedlung oder des Grabes kann damit sehr genau bestimmt werden. Hierfür gibt es verschiedene Methoden:

Die alten Ägypter benutzten verschiedene Tonarten und fast jedes Dorf hatte seine eigene, spezifische Art von Magerung (Beimischung). Sie mischten dem Ton Getreideresten (Spreu) bei, um ihn nach dem Brennen oder Trocknen robuster zu machen. Und diese Art von Technologie hat sich über die Jahrtausende deutlich sichtbar weiterentwickelt und hinterlässt uns Archäologen eine riesige Sammlung von Zeitzeugen.

Heute können wir das Material beispielsweise mit der sogenannten Thermolumineszenzanalyse untersuchen. Dies ist ein kompliziertes Verfahren, das die Energie in der kristallinen Struktur von gebranntem Material wie Keramik misst. Das ist ein so komplexes Forschungsgebiet, dass dafür sogar eigee Exzellenzcluster-Topoi an Universitäten geschaffen wurden. "Archäokeramologie".

Darüber hinaus können wir den Spreuanteil im Material archäobotanisch analysieren. Diese Pflanzenreste geben oft einen guten Einblick auch in landwirtschaftliche Fragestellungen.

Sir William Flinders Petrie,
Bildnachweis: Public Domain Quelle

Und die dritte archäologische Methode ist eine der Methoden, die bereits von den ersten professionellen Archäologen in Ägypten "erfunden" wurden, wie von Sir Flinders Petrie, der eine sehr fein ausdifferenzierte Keramik-Abfolge für die prädynastische Zeit erschuf. Seine Klassifizierung war für viele Ägyptologen von heute das Vorbild, ein Objekt hinsichtlich seiner Art, seiner Form, seiner Farbe und seines Entstehungsprozesses genau zu klassifizieren und innerhalb eines Zeitrahmens in eine serielle Reihe zu stellen. Einen interessanten Einblick in die Arbeit von Petrie bietet dieses öffentlich zugängliche Dokument "Ein Korpus prähistorischer Keramik und Paletten (http://www.etana.org/sites/default/files/coretexts/15280.pdf)" von 1917. Moderne Ägyptologen beziehen sich oft auch auf den sogenannten "Napf-Index", der eine ähnliche Abfolge von Gefäßen in einem bestimmten Zeitraum beinhaltet.


Sequenz Datierung: eine Serie von Keramikobjekten einer bestimmten Zeitepoche, die von Sir Flinders Petrie gesammelt und gezeichnet wurde. Bildnachweis: Public Domain Quelle

Glasproduktion

Ein weiteres sehr interessantes Forschungsgebiet ist die Glasproduktion im Alten Ägypten. Wahrscheinlich ist allgemein nicht bekannt, dass sie schon sehr früh Gefäße und Dekorationsgegenstände aus Glas auf einem sehr hohen Niveau herstellen konnten.

Ein Stück natürliches libysches Wüstenglas.
Bildnachweis: H. Raab Quelle

Die alten Ägypter kannten und verarbeiteten bereits das natürliche Wüstenglas. Dieses ist das Ergebnis eines Phänomens, das sich vor 30 Millionen Jahren ereignet hat, als bestimmte Bedingungen in der Wüste zusammenkamen: Quarzsand und der Einschlag eines Meteoriten. Sehr hoher Druck und hohe Temperaturen führten dazu, dass der Quarzsand zu Naturglas geschmolzen wurde. Die explosive Wirkung des Aufpralls soll die geschmolzenen Teile in die Luft geworfen haben, was ihre schnelle Abkühlung verursachte und sie danach glänzend und durchscheinend wirken ließ. Das ist die eine Theorie. Die andere Theorie besagt, es muss eine Auswirkung von hydrovulkanischer Aktivität gewesen sein: eine Explosion von SiO2-Gel verursachte den gleichen Effekt wie oben beschrieben. Für die Herstellung von Glas braucht man eben genau diese drei Bedingungen: hohe Temperatur, hoher Druck und schnelle Abkühlung.

Das berühmte Pektoral (große zeremonielle Halskette) enthält einen Skarabäus (Form eines Käfers) aus libyschem Wüstenglas.
Foto: Jon Bodsworth, Public Domain Quelle

Das Verfahren des Kunstglases erscheint also komplizierter, wenn man bedenkt, welche Werkzeuge und Maschinen wir heute brauchen. Glas besteht im Allgemeinen aus Quarzsand, der bei einer hohen Temperatur von ca. 1700°C geschmolzen wird. Durch die Zugabe eines Flussmittels konnte man die Temperatur senken und kontrollieren, was in antiken Zeiten, in denen niemand wusste, wie heiß der Ofen wirklich war, notwendig war. Zur Stabilisierung des Endproduktes wurde zusätzlich Calcium in die Schmelze gegeben. Heute wissen wir, dass dieses Verfahren das molekulare Netzwerk des Glases stärkt.

Es ist nicht bekannt, auf welche Weise die Technologie der Glasproduktion ins Alte Ägypten importiert wurde, aber die Gelehrten gehen davon aus, dass sie um 1500 v. Chr. aus dem antiken Syrien oder Palästina kam, da diese Gebiete für den Handel mit Rohglasbrocken bekannt waren. Plinius der Ältere schrieb in seiner "Historia naturalis", dass das Natriumbicarbonat, das im Brenn-/Schmelzprozess als Flussmittel verwendet wurde, aus dem ägyptischen "Wadi Natrun", einem trockenen Wüstental mit einem riesigen natürlichen Vorkommen an Natriumbicarbonat, stammt.

Um buntes Glas in verschiedenen Schattierungen zu erzeugen, verwendeten die alten Ägypter verschiedene Mineralien und Metalloxide, wie zum Beispiel Mangan zur Herstellung von Glas in violetter Farbe, um den in Ägypten sehr seltenen Edelstein Amethyst zu imitieren. Neben der Nachahmung von Edelsteinen zur Weiterverarbeitung zu Schmuck wurde Glas für Gefäße, Schalen, Vasen und auch zur Dekoration verwendet. Unten seht ihr eine kleine Sammlung altägyptischer Glaskunstwerke.

Links: Eine transparente Glassvase aus Edfu, Bildnachweis: Public Domain Quelle
Rechts: Eine weiße Vase mit farbigen Elementen, Bildnachweis: Public Domain Quelle

Ein wunderschönes Glasgefäß in Form eines Fisches, ausgestellt im British Museum London EA55193, 18. Dynastie (Neues Reich), Bildnachweis: British Museum Quelle

Fayence

Was die Fayence betrifft, so beziehe ich mich auf einen meiner früheren Artikel, in dem ich nur die Oberfläche dieser faszinierenden Technologie berührt habe, um die Entwicklung der Glasproduktion um das 10. Jahrhundert v. Chr darzustellen. Und "Kratzen an der Oberfläche" ist ein gutes Stichwort, um das augenscheinlichste Merkmal hervorzuheben: Die glatte, glänzende Oberfläche der Fayence in ihren vielen Blautönen war dazu bestimmt, die Farbe des Türkis nachzuahmen, der im Alten Ägypten ein seltener und daher teurer Edelstein war. Dafür war - aus heutiger Sicht - ein schwieriger Entstehungsprozess notwendig. Aber die Ägypter verfeinerten diese Technologie immer mehr. Und so hat es funktioniert:

Die Grundsubstanz war ein normales keramisches Material aus Quarzsand, Metalloxid und Calcit und das Objekt wurde wie normale Keramik hergestellt. Aber der Trick war nun, eine Glasur zu schaffen, die wie ein Spiegel funkelte. Nach dem Brennen des Grundobjekts mischten die alten Ägypter fein gemahlenen Sandstein, Kreide, Soda und Kupferoxid mit Wasser und tauchten oder bedeckten das Objekt mit dieser Flüssigkeit. Der letzte Schritt war ein zweiter Brennvorgang mit einer niedrigeren Temperatur bei etwa 600 °C. Die chemische Reaktion der Zutaten bei dieser Temperatur führte zu jener erstaunlichen blauen Farbe und die alten Ägypter testeten ihre Mischungen in verschiedenen Anteilen der Zutaten, um Fayencen in Farbtönen von Blau bis Türkis zu erzeugen.

Ein Skarabäus mit Flügeln aus ägyptischer Fayence. Griechisch-Römische Zeit, Brooklyn Museum.
Bildnachweis: Public Domain Quelle


Ein weiteres sehr schönes Stück ägyptischer Fayencekunst: Inlays in Form von Lotusblüten.
Foto: Public Domain Quelle

Fazit

Obwohl dies immer noch eine kurze Zusammenfassung der faszinierenden Technologien im alten Ägypten ist, entschuldige ich mich dafür, dass das ein recht langer Artikel geworden ist. Darüber hinaus gibt es noch viele weitere hochinteressante Aspekte der Technologie zu diskutieren, aber das würde hier den Rahmen sprengen. Ihr könnt jedoch jederzeit gerne Fragen im Kommentarbereich unten stellen. Ich versuche diese nach bestem Wissen zu beantworten.

In einem meiner nächsten Artikel werde ich ein Thema ansprechen, das in der wissenschaftlichen Forschung, insbesondere der deutschen Ägyptologie, einen breiten Raum einnimmt: Schreiben & Sprache. Also folgt mir auf diesem Blog für weitere interessante Fakten über das Alte Ägypten! ;)


Quellen und weiterführende Literatur:

• Barras, Heather, Archaeological Heroes: An evaluation of Flinders Petrie’s contribution to Archaeology, in: The Post Hole Issue 49, pp. 1–6. ONLINE
• Clayton, Patrick A., Spencer, Leonard James, Silica Glass from the Libyan Desert, in: Mineralogical Magazine 23 (1934), No. 144, pp. 501–508. ONLINE
• Flinders Petrie Biographie: ONLINE
• Glasproduktion: https://de.wikipedia.org/wiki/Glas
• Petrie, William Flinders, A Corpus of Prehistoric Pottery and Palettes, London 1917. PDF-Link
• Sequenz Datierung: ONLINE
• Thermolumineszenz Datierung: ONLINE
• Umm al-Qa'ab: Shaw, Ian, The Oxford History of Ancient Egypt, Oxford 2000, p. 67.
• Zimmermann, Martin, Glasherstellung im Frühmittelalter. Zusammenfassung der Dissertation: https://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/arch-inf/article/viewFile/26241/19957

Lizenzen der Bilder sind CC BY-SA 3.0 oder CC BY-SA 4.0 mit Angabe des entsprechenden Autors unterhalb des Bildes. Im redaktionellen Bild verwendetes Foto von British Museum EA55193.



Wenn euch dieser Artikel gefallen hat, folgt mir auf meinem Blog @laylahsophia. Ich bin eine deutsche Ägyptologin und schreibe über das alte und das zeitgenössische Ägypten, Wissenschaftsgeschichte, Philosophie und Leben.

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