Über die rätselhaften Geoglyphen

Liebe Hiver,

eine Geoglyphe (oder ein Geoglyph) ist eine großflächig aus dem Erdboden geformte, in Linien oder Wegen gezeichnete Figur, meist durch Entfernen der obersten Erd- oder Gesteinsschicht. Geoglyphen haben eine Größe von bis zu mehreren hundert Metern und können oft nur aus der Luft erkannt werden. Man nennt sie auch Scharr- oder Erdbilder.

Bekanntestes Beispiel sind sicher die in den 1920er Jahren aus der Luft entdeckten Nazca-Linien in Peru. Über den Zweck der Bilder rätseln Archäologen bis heute.

Die 1500 Scharrbilder in Nazca, Peru wurden zwischen 800 v.Chr. und 600 n.Chr. von den inzwischen längst untergegangenen Kulturen der Paracas und der Nazca angelegt. Man vermutet, dass die Nazca-Linien für Rituale in Hinblick auf Wasser und Fruchtbarkeit benutzt wurden. Einige der kilometerlangen Linien sind aber genau in Richtung des Sonnenuntergangs zur Zeit der Sonnenwende ausgerichtet, also scheint es auch eine kalendarische/astronomische Bedeutung zu geben.
image.png
https://silke-und-uli-ontour.de/?p=1978

1994 wurden sie von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt, um die zunehmende Zerstörung durch Autos und Fußgänger zu verhindern.

Es ist übrigens keine höhere oder Alien-Technologie nötig, um die Linien zu zeichnen, wie Archäologen in den 1980er Jahren herausgefunden haben (1). Ein Wissen um Proportionen und Mathematik reichte aus, um mit Pflöcken und Seilen die enorm vergrößerten Zeichnungen in die Landschaft zu übertragen.

Aber Geoglyphe sind nicht nur in Peru, sondern in allen Erdteilen beschrieben, sodass es sich nicht nur um ein bizarres regionales Phänomen handeln kann!

Ein 55m goßes Scharrbild aus Südwestengland wird "Riese von Cerne Abbas" genannt. Es ist bis heute unklar, wer ihn angelegt hat. Erwähnt wurde er erstmals 1694! 2020 führte man Untersuchungen mittels optisch stimulierter Lumineszenz am Riesen durch. Dabei wurden die Minerale der Gesteinskörnchen der untersten Schotterschicht mit Licht angeregt. An der Wellenlänge der von diesen wieder abgegebenen Photonen lässt sich ablesen, seit wann diese Körnchen dem Licht ausgesetzt waren, in diesem Falle zwischen 700 und 1100 n. Chr. und damit in der Zeit der Angelsachsen.

image.pngimage.png

Der "Riese von Cerne Abbas" https://de.wikipedia.org/wiki/Cerne_Abbas_Giant

Seine 60cm breiten Linien erscheinen so deutlich, weil regelmässig das Gras entfernt wird, sonst wäre er schon längst zugewachsen.

Die Steppengeoglyphen in Kasachstan wurden erst 2007 mit Google Earth entdeckt, aber sind ca. 8000 Jahre alt (2)! Es gibt mindestens 260 bis zu 400m große Strukturen in der Steppe, nahe dem Ural, die teils mit geometrisch angeordneten Erdhügeln (sog. positive Geoglyphen), teils mit Gräben gebaut wurden. Nach wie vor ist völlig rätselhaft, wer sie gebaut hat und zu welchem Zweck. Wie üblich, wenn man keine Ahnung hat, vermutet man "rituelle oder astronomische Zwecke".

image.png
Das "Ushtogay-Quadrat", benannt nach einem kasachischen Dorf in der Nähe. https://www.sueddeutsche.de/wissen/strukturen-in-kasachstan-kreuze-in-der-steppe-1.2719839

Sogar mitten im brasilianischen Regenwald gibt es Geoglyphen, die jahrtausendelang vom Urwald überwuchert waren und erst durch Rodung freigelegt wurden (3). Über 450 bis 300m große Kreise, Quadrate und Linien wurden mittlerweile entdeckt und beschrieben. Sie sind zwischen 650 und 3500 Jahre alt. Das Rätselhafte: in der Nähe der Fundstellen wurden bislang keine Siedlungsspuren aus dieser Zeit gefunden, sodaß man die Rolle der Kreise als Siedlungswall oder Verteidigungsanlage ausschloss! Wer hat sich diesen Aufwand angetan und warum?
image.png
https://www.scinexx.de/news/geowissen/mysterioese-erdbilder-im-regenwald/

Die Analyse von Bodenproben lässt darauf schliessen, dass die Geoglyphe von der damaligen Kultur jedenfalls nicht lange genutzt wurden. Die begrenzten Gebiete wurden zwar auch schon damals durch Brandrodungen baumfrei gemacht, aber die Strukturen waren von Bäumen dicht umgeben und wuchsen innerhalb von 40 Jahren komplett zu. Lebte man doch innerhalb der Kreise und zog dann einfach nach einer Generation weiter, wie es auch unsere ersten seßhaften Vorfahren in Europa gemacht hatten (Wanderfeldbau)? Lebte man damals einfach nur so nachhaltig, dass deshalb heute keine Spuren feststellbar sind?

An einem Berghang in der Tscheljabinsk-Region in Russland wurde, ebenfalls durch Satellitenaufnahmen, ein Teil eines riesigen ca. 200x200m großen Elchbildes entdeckt (4). Das Besondere: Es besteht aus einer Doppelreihe von Begrenzungssteinen, die 30 bis 40 Zentimeter tief in den Boden eingegraben wurden. Zwischen ihnen wurde der Oberboden abgetragen. Diese 4,50m breiten, eingefassten Gräben wurden von den unbekannten Erbauern dann mit kleineren, losen Steinen aufgefüllt – was für ein Aufwand! Es gibt in der ganzen Gegend nichts Vergleichbares (oder es wurde noch nicht gefunden)!

image.png
http://grenzwissenschaft-aktuell.blogspot.com/2012/04/groe-tier-geoglyphe-im-sudlichen-ural.html

Das vermutlich älteste Erdbild in Europa ist das "Weiße Pferd von Uffington" in Südengland. Datierungen zufolge ist die 110m lange, mit weißer Kreide gefüllte Form ca. 2500 Jahre alt und könnte somit von den Kelten aus der späten Bronzezeit stammen. Dazu passt, dass ähnlich stilisierte Pferde-Darstellungen auch von keltischen Münzen und Keramiken bekannt sind (1).
image.png
https://commons.wikimedia.org/w/index.php?title=Uffington_White_Horse&uselang=de

Auch hier mussten die Umrisse des Pferdes über die Jahrtausende(!) hinweg regelmäßig erneuert worden sein. Diese Kontinuität erstaunt angesichts der vielen dunklen Zeitalter, Völkerwanderungen und Kriegswirren seit der Entstehung dieses Kunstwerks!

Vermutlich erfüllten die Geoglyphen die verschiedensten Zwecke quer über die Zeiten und Kulturen. Die Spekulationen reichen von Opferritualen (z.B. Bitten um Wasser in der Wüste von Peru), astronomischen Feiern bis hin zu Stammessymbol und Statusanzeiger (das wird beim Pferd von Uffington vermutet). Der Zweck war verschieden, das Mittel war ähnlich, denn selbst wenn man nichts hat (ausser Arbeitskraft), kann man zumindest den Boden formen. Es ist aber jedenfalls ein Anzeichen dafür, dass es auch schon vor 8000 Jahren deutliche Hierarchien gab und Leute, die einen Plan hatten und anschafften und andere, die schufteten. Zumindest darin hat sich bis heute nichts geändert.

(1) https://www.scinexx.de/dossierartikel/wer-erschuf-die-geoglyphen/
(2) https://www.sueddeutsche.de/wissen/geoglyphen-in-kasachstan-wo-die-riesen-kritzeln-1.2718541
(3) https://www.scinexx.de/news/geowissen/mysterioese-erdbilder-im-regenwald/
(4) http://grenzwissenschaft-aktuell.blogspot.com/2012/04/groe-tier-geoglyphe-im-sudlichen-ural.html

H2
H3
H4
3 columns
2 columns
1 column
62 Comments
Ecency