Von der Freiheit auf dem Teller

Die #Freiheitswoche ist eigentlich herum, aber zumindest diesen einen Aspekt muß ich noch thematisieren, weil ich diesbezüglich in den vergangenen Wochen verschiedene Schlüsselerlebnisse hatte.

Im Zuge der Polizeiübung Mitte April saß ich mit Kollegen vom THW bei Erbsensuppe und Würstchen in unserem Gruppenraum, nachdem diese eine Verpflegungsstelle aufgebaut hatten. Eine Kollegin kaute auf einem trockenen hellen Weizenbrötchen herum, was im Großen und Ganzen meine Schuld war. Ich hatte bei vorangegangenen Übungssamstagen wahrgenommen, daß sie fleischlose Kost bevorzugte, sie aber nicht zu dem Thema befragt. Also sagte ich, während wir in der Ausgabeschlange standen, nur, daß Speck in der Suppe sei, woraufhin sie sich für das besagte trockene Brötchen entschied.
Ein wenig später unterhielten wir uns über das Thema und sie gab zu, daß sie schon, wenn möglich, auf Fleisch verzichte, aber es nicht grundsätzlich nicht esse. (Die Situation blieb also irgendwie komisch). Jedenfalls sei ihr das Brötchen völlig ausreichend gewesen. Man könne ja einfach essen, was da ist, und damit zufrieden sein. Es muß nicht immer etwas großes sein. Diese Stoik beeindruckt mich heute noch.

Im Zuge der Einsätze des vergangenen Wochenendes trafen wir dann noch auf eine Dame Anfang Neunzig, die sehr schlank war. Diese erzählte, sie habe früher so um die 60 Kilo gewogen (bei ihrer Körpergröße wäre sie auch damit noch schlank gewesen), aber jetzt seien es etwas über 50 Kilo, denn vieles schmecke ihr nicht mehr und dann esse man eben auch weniger.
Sie wirkte nicht ausgemergelt, sondern körperlich gut in Form. Wir waren alle drei beeindruckt.

Man fängt dann schon an, über die eigene Situation nachzudenken. Bei der Tafel bekomme ich ja eher zuviele als zuwenige Lebensmittel, schaffe es nie, das Gemüse rechtzeitig zu verarbeiten. Andererseits habe ich derzeit nicht wirklich die Wahl. Ich könnte von fremdem Geld einkaufen gehen, aber das ist mir auch nicht recht, deswegen vermeide ich es weitgehend. Die Ausgabestelle ist ja hier im Ort und problemlos für mich zu erreichen. Aber das Angebot ist nicht unbedingt auf gesunde Ernährung ausgerichtet. Es gibt viele Fertigwaren (was sich tatsächlich auch in meinem persönlichen Müllaufkommen bemerkbar macht!), einiges stapelt sich im Keller. Unfreiwillig teste ich, wie lange sich Molkereiprodukte ohne elektrische Kühlung halten. Oft ziehe ich eine hohe Nummer und bekomme dann mit, was am Ende der Ausgabezeit noch alles übrig ist. Es sind definitiv mehr Waren da als Kunden. Und das, obwohl alle mit vielen vollen Taschen weggehen. Manche Kunden, z.B. aus den Nachbarorten, werden ja auch mit dem Gemeindebus gebracht. Andere kommen zu mehreren mit dem Auto.

Manchmal habe ich schon im Geiste das Angebot der Tafel mit Hilfslieferungen in Krisengebieten verglichen. Dort gibt es Grundnahrungsmittel: Getreide, Öl, Hülsenfrüchte. Genau diese drei Dinge bekomme ich im Ort nicht. Dafür regelmäßig Tortellini oder andere Fertigteigwaren, Fertigsuppen in der Dose, Knödelteig. Dinge, die ich für mich eher selten kaufen würde. Wenn ich Glück habe, ist noch Milch da, mehr als einen Liter bekomme ich aber nicht. Die anderen Molkereiprodukte sind auch rationiert. Brot nehme ich keins mehr mit, weil es schneller schimmelt, als ich es essen kann.

Von dem, was ich mitnehme, könnten trotzdem über die Woche zwei Personen leben.

Ich habe es letzte Woche geschafft, meine "Einkäufe" auf den Inhalt eines Trollies zu beschränken. Der war trotzdem bis oben hin voll. "Komm, das schaffen Sie doch noch." Ja, tragen kann ich die Sachen wohl. Aber rechtzeitig verarbeiten? Da blutet mein Lebensmittelretterherz.

Grundsätzlich dünkt mir, ich hätte mich mit Beginn meiner Abholtätigkeit bei Foodsharing von selbstbestimmtem Essen verabschiedet. Weil man mit dem entgegengenommenen Essen auch eine Verpflichtung eingeht.

Ich sehe auch hin und wieder, wenn ich unterwegs bin, übergewichtige Kinder. Und frage mich dann, wie bewußt sich diese Kinder für diese körperliche Verfassung entschieden haben.

Nein, ich glaube, daß wir gerade in dem immer weiter zunehmenden Überfluß, auch an Fertiggerichten, weniger Freiheit beim Essen haben als jemals vorher. In immer mehr Berufen gibt es wenig Zeit für Pausen, obwohl eigentlich die Digitalisierung doch mehr Freizeit bringen sollte? Kochen wird zum Lifestyle-Hobby einiger weniger, vom regelmäßigen gemeinsamen Essen ist man schon lange weggekommen.

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Ecency