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Die Freie Gesellschaft

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Bildquelle: meine Leseecke

Auf Grundlage vieler Diskussionen in Artikeln hier bei Steemit, möchte ich eine Schriftenreihe starten, die sich mit Freiheit und einer freien Gesellschaft befasst.

In vielen Diskussionen musste ich feststellen, dass man sich nicht vorstellen kann, dass eine „Freie Gesellschaft“ als Alternative gegen die Zwänge einer Staatsgesellschaft funktionieren könnte. Viele falsch verstandenen Begrifflichkeiten scheinen diese Diskussion fast unmöglich zu machen, da die meisten Begriffe auf dem Kopf stehen und man sich eigentlich überhaupt nicht mehr versteht. Begriffe, die inhaltsleer sind, taugen auch nicht um in kurzen Worten, in einem Artikel, die Gedankengänge verständlich rüber zu bringen.

Einer meiner Mentoren, Dr. Dietrich Eckardt hat sein Leben der Freiheit und der Möglichkeit einer freiheitsbejahenden Gesellschaft gewidmet. Der Kreis um ihn herum ist langsam aber stetig gewachsen und umfasst heute Menschen aus den verschiedensten Bereichen des Lebens. Ob es nur ein einfacher Arbeiter, oder ein Hochschul- Professor ist, ob Mann oder Frau, ob aus dem intellektuellen- oder Wirtschaftsbereich, ob aus nationalen oder internationalen Gefilden. Es spielte keine Rolle, Hauptsache man war in der Lage kritisch und ohne Denkverbot sich freundschaftlich zu streiten. Und wir stritten oft und heute noch. Aber aus diesem freundschaftlichen Streiten ist ein Werk entstanden, das man Dietrichs Lebenswerk nennen kann.

Im Vorwort beschreibt Dr. Dietrich Eckardt, der übrigens in ein paar Tagen 77 Jahre alt wird:

Das hier vorliegende Buch wendet sich an jene Leser, die nicht Willens sind, die große Diskrepanz hinzunehmen, die sie zwischen dem hohen Niveau technischer und ökonomischer Realität auf der einen Seite und der Einfältigkeit gesellschaftlicher, insbesondere gesellschaftspolitischer Theorie auf der anderen bemerken.
In meinem Werk „Eine missratene Beziehung – Der Bürger im Staate“ (2. Aufl. 2015) thematisiere ich die Behinderungen der individuellen Lebensentfaltung durch die Gesellschaft und ihre Macht-haber. Das erklärt die darin vorherrschende negative Grundstimmung. Im hier vorliegenden Werk geht es um Positives. An die Kritik des früheren Werkes knüpfe ich zwar an, im Vordergrund steht aber eine bejahende Vision, die Vision wahrhaft freier Gesellschaftlichkeit.
Auch anderwärts sind Bemühungen im Gange, Gesellschaftlichkeit in Freiheit neu zu denken. Selbst in der Alltagspraxis keimt Manches, was vom Freiheitsstandpunkt aus als zukunftsträchtig angesehen werden kann. Was fehlt, ist eine ordnungsstiftende Topographie, die eine Überschau gestattet über die Vielfalt freiheitsrelevanter Erscheinungen.
In puncto Freiheit sind die Denker der europäischen Aufklärung des 17. und 18. Jahrhunderts immer noch maßgebend. Man muss sich heutzutage fast schämen, wenn man bekennt, sein Denken tief in der europäischen Aufklärung verwurzelt zu haben. Aber Aufklärung tut not - nach wie vor. Hiermit rechtfertigt sich meine Schrift. Ich hoffe, die darin formulierten Thesen so abgesichert zu haben, dass sie zustimmungsfähig sind.
Wer sich mit der Aufklärungsperiode näher beschäftigt hat, wird in diesem Buch Altbekanntes wiederfinden. Nur sollte er nicht Augen und Ohren verschließen, wenn er mit den radikalen Konsequenzen des damals Erdachten konfrontiert ist. Die gibt es nämlich auch. Es besteht Gelegenheit, sich anhand dieses Buches damit auseinanderzusetzen.

Die gegenwärtigen Freiheitsdefizite sind offensichtlich. Selbst den funktionstragenden Eliten in Wirtschaft, Medien und Politik sind sie nicht fremd. Nur macht es angesichts der Überfälligkeit von Veränderungen wenig Sinn, die Aufmerksamkeit nur auf die Mängel zu richten. Hilfreicher ist es, die Diskussion um gesellschaftliche Grundfragen wieder zu beleben. Nur so können bessere Lösungen gefunden werden.
Nicht alle hier vorgetragene Untersuchungsergebnisse sind leicht eingängig. Durch systematische Darstellung und mannigfachen Gebrauch von Redundanzen versuche ich, das Verstehen jener Textpassagen zu erleichtern, die Ungewohntes präsentieren. Außerdem bemühe ich mich überall dort, wo es möglich bzw. nötig ist, andere Autoren zu Wort kommen zu lassen. Deshalb finden die Leser viele Verweise im Text, denen sie bei Bedarf nachgehen können.

Unter den verschiedensten Autoren durfte auch ich mich einreihen, wobei ich kein Autor bin, sondern ein aus dem Handwerk kommender Ingenieur, der sich der ergebnisoffenen Wissenschaft verschrieben hat.

Ich werde aus der 6. Auflage, die in ein paar Wochen erscheint und die letzten Änderungen enthält (weitere wird es von Dietrich nicht mehr geben, die überlässt er uns) nicht alle Passagen in dieser Serie veröffentlichen, sondern es wie eine Leseprobe handhaben und aus verschiedensten Abschnitten Teilbereiche hier veröffentlichen.

Heute die Ausgangslage und Fragestellung:

Ist „die“ Gesellschaft der Ort der Freiheit, so wie der Ausdruck „Freie Gesellschaft“ im Buchtitel dies auszusagen scheint? Die Antwort ist seit Jahrhunderten fest in unserem Bewusstsein verankert: Der Ort der Freiheit ist das Ich. Wenn von Freiheit die Rede ist, müssen wir auf das Ich schauen. Ob das Ich seine Freiheit nun lebt bzw. nutzt oder nicht, zumindest ist es freiheitsbegabt.
In einem Zeitalter, in dem die Freiheit des Ich ernst genommen werden soll, kommt man nicht umhin, jede Form freier Gesellschaftlichkeit auf das Ich hin und vom Ich her zu denken. Und nur wenn eine Gesellschaft der Freiheit des Ich Raum gibt, wird man - metaphorisch - von einer „Freien Gesellschaft“ reden können.
Im Hinblick auf freie Gesellschaft spreche ich auch von humaner bzw. von human organisierter Gesellschaft (der Verf., 2008, 2015). Dabei verwende ich das Wort human schlicht in der Bedeutung „der menschlichen Natur gemäß“ (Cicero: humanitas), ohne jeden sakral-verklärenden Anstrich. Soll das Wort „Humanität“ überhaupt etwas Sinnvolles besagen, dann kann damit nur der Bezug zum real existierenden Ich (samt seiner Freiheitsbegabung!) gemeint sein. Dies gilt es vor allem Nachdenken über die Beziehung des Ich zum Du, also über das Wir, erst einmal festzuhalten. Insofern zielt das Wort „human“ - so wie es hier verwendet wird - auf den überall sichtbar zu machenden Ich-Bezug. Ohne diesen Bezug sind alle Humanitätsbekenntnisse nichts als großmäulige Sprüche und hohle Proklamationen.
Die Redewendung „schlüssig-humane Gesellschaft“ meint: Dem Ich sei ermöglicht, sich sein Verhältnis zu Anderen (den Umständen entsprechend) so aufzubauen, wie es selbst dies will - allerdings ohne einem Du das gleiche Recht zu verwehren. Es geht um den frei gestalteten Umgang eines Ich mit seinem Gegenüber, dem Du, insbesondere mit den Du in Gestalt von Machthabern. Dieser Umgang sollte allenthalben durch Freiheit geprägt sein.
Aber was ist Freiheit? Viele von uns - mit dieser Frage konfrontiert - werden antworten müssen wie einst Sankt Augustin bei der Frage nach dem Wesen der Zeit: „Wenn Du mich nicht fragst, was sie ist, dann glaube ich es zu wissen. Fragst Du mich aber, dann weiß ich es nicht mehr.“ Die vorliegende Schrift ist auf die Frage eine handfestere Antwort schuldig.
Freiheit ist ein Hauptthema der europäischen Aufklärung des 17. und 18. Jahrhunderts. Immanuel Kant nennt diese Periode das „Zeitalter der Kritik“. Kritik im Kantischen Verstande ist radikal im wahrsten Sinne des Wortes. Er schreibt dazu: „Religion, durch ihre Heiligkeit, und Gesetzgebung, durch ihre Majestät, wollen sich gemeiniglich derselben entziehen. Aber als denn erregen sie gerechten Verdacht wider sich, und können auf unverstellte Achtung nicht Anspruch machen.“
Wer so redet, signalisiert, dass er der Obrigkeit nicht traut, sowohl der kirchlichen nicht als auch der staatlichen nicht. Aus den Sätzen Kants spricht eine Art des Denkens, der man von seiten der damaligen Kirche eine ordentliche Portion Häresie und von Seiten des damaligen Staates eine ordentliche Portion Anarchismus hätte unterstellen können. Dieser Denkungsart wurde - wenige Jahrzehnte nach Kant - durch den begnadeten, oft gröblich missverstandenen Freiheitsdenker Max Stirner noch einmal ausdrucksstark Geltung verschafft.
Das Zitat zur „Heiligkeit“ und zur „Majestät“ zeigt, dass wohl schon Kant herausfand, dass kirchliche oder staatliche Oberherrschaft eher primitive Formen menschlicher Religiosität bzw. menschlicher Gesellschaft hervorbringen.
Heinrich Heine nannte Kants Kritik der reinen Vernunft mit Blick auf deren häretische Tendenz „das Schwert, das dem europäischen Deismus den Kopf abgeschlagen hat“. In den Abschnitten B 2.3.2 ff des Buches wird sich zeigen, dass dies auch der obrigkeitlichen, von Kant so genannten „majestätischen Gesetzgebung“ widerfahren ist.
Die außerordentliche Liebenswürdigkeit Kants ist vielfach bezeugt. Den Hammer der Aufklärung hat er jedoch mit einer Boshaftigkeit geschwungen, die ihresgleichen sucht. Viel Gedachtes bzw. Halbgedachtes hat der Hammer zermalmt. Die Boshaftigkeit konnte Stirner nur noch im Ton, nicht aber in der Sache übertreffen.
Aufklärung zielt nicht auf die Verwandlung des Menschen im Sinne eines Besserwerdens seines Charakters. Sie zielt auf Erkenntniszuwachs. Keine noch so eindringliche Aufklärungsschrift kann den Menschen – wesensmäßig ausgestattet mit einer Licht- und einer Schattenseite - zum strahlenden Halbgott machen. Kant wusste: „Aus so krummen Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden.“
Der hier gegebene Aufriss ist zugeschnitten auf den Menschen, so wie er nun einmal ist, auf den gewissermaßen „alten“ Menschen. Das ist der Mensch, dessen zwiespältige Natur über die Jahrtausende die gleiche geblieben ist und sich wohl auch künftig nicht ändern wird. Nur dass er sich neuerdings in einer etwas unangenehmen Gemütslage befindet, die auf Bereinigung drängt. Aufklärung kann solche Bereinigung bewirken. Sie kann dabei helfen, dass der Aufklärungswillige ein helleres Bewusstsein über sich und seine Lebensumstände erlangt.
Das gilt insbesondere in Bezug auf alles, was mit Freiheit zu tun hat. Hier sehe ich ein Bewusstseinsdefizit. Der Mensch hat zwar die Freiheit schon in sich, auch wenn er oft als „freiheitsträge“ erscheint (Mathias Döpfner, 2011). Aber er ist sich seiner Freiheitsbegabung einschließlich aller daraus erwachsenden Konsequenzen nicht immer bewusst.
Seit langem gibt es vage, zum Teil obskure Freiheitsvisionen. Den größten Bezug zur Realität hat immer noch die „klassische“, die aus der europäischen Aufklärung stammt. In den folgenden Texten will ich versuchen, dieser Vision Kontur zu verschaffen, und zwar ihrem ursprünglichen und radikalen Impetus gemäß. Im Fokus stehen dabei jene bahnbrechenden Erkenntnisse, die Kant auf den Weg gebracht hat. Für ihn war Freiheit „seine wichtigste Denk- und Lebensmaxime“ (Manfred Giese, 2013), für die er auch persönliche Risiken und Nachteile in Kauf nahm. Kant war es auch, der erkannte, dass es einer radikalen Verwandlung des Denkens bedarf (der von ihm sogenannten „Kopernikanische Wende“), um Freiheit umfänglich zu erfassen.
Nicht alles wird man aus den Gesellschaftstheorien der Aufklärer übernehmen können. Das Denken ist weitergeschritten. Aber die Grundfragen zum Verhältnis von Gesellschaft und Ich, von Gesellschaft und Freiheit, von Ich und Macht sind bereits damals in aller Schärfe gestellt und zum großen Teil auch hinreichend stimmig beantwortet worden.
Als Heilmittel zur Begradigung eines als gestört empfundenen Verhältnisses von Ich und Gesellschaft wird immer wieder angeboten: das Weg vom Ich, das Hin zu mehr Gemeinschaft, zu mehr Kollektivität („Sozialität“, „Solidarität“). Das Verdienst, die Vergötterung des Kollektivs und die Verteufelung des seine Freiheit lebenden Ich auf den Punkt gebracht zu haben, gebührt Adolf Hitler: „Du bist nichts; dein Volk ist alles“. Gegen diesen heute noch feste beschworenen Holismus hat es das Ich nicht leicht. Es kann sich nur mühsam Reputation verschaffen. Nur langsam erobert es sich die Bühne gesellschaftstheoretischer Disputation.
Beginnen wir - meine Leser und ich - doch einmal andersherum: Setzen wir nicht die Gesellschaft, das Kollektiv, das Volk, sondern das Ich als oberste Bezugsgröße an und versuchen von hier aus, freie Gesellschaftlichkeit zu begreifen. Solche Umkehr der Sicht liegt nicht so fern vom Natürlichen, als dass wir uns mühevoll darin einüben müssten. Zumindest sollte ein Experiment vor diesem anderen Horizont möglich sein. Vielleicht führt solches Experiment zu Ergebnissen, mit denen wir besser zurechtkommen. Vielleicht erwächst daraus die Chance, den gesellschaftlichen Angelegenheiten einen erfreulicheren Farbton zu geben, im Vergleich zum heutigen.
Wenn das Ich, das Individuum, ins Zentrum einer gesellschaftstheoretischen Erörterung rücken soll, bedarf es als erstes einer Klarstellung: Was ist dieses Ich eigentlich, dem innerhalb einer Gesellschaft Freiheit zukommen soll? Was meine ich damit, wenn ich ständig sage „ich, ich, ich“? Meint dieses Ich meinen Körper, dessen Organe, meine Gedanken und Gefühle, meine Tätigkeiten, meinen Charakter? Einerseits wohl ja, andererseits aber auch - - nein. Wie steht es z. B. mit der Redewendung „Ich will“? Verbergen sich hinter diesem Wollen mein Körper, meine Organe, meine Gefühle, meine Gedanken, mein Charakter? Solches Fragen führt in Verlegenheit und verlant Klärung (im Folgenden: Abschnitt A 1).
Das Verhältnis des freiheitsbegabten Ich zum freiheitsbegabten Du liegt bis heute im Dunkeln. Die Explikation dieses Verhältnisses ist zu vielschichtig, als dass man sie auf einen Schlag hin hervorzaubern könnte. In der vorliegenden Schrift versuche ich, das Problem unter Berücksichtigung der Grenzen unseres Erkenntnisvermögens zu lösen. Wie kommt das Ich - unter Berücksichtigung dieser Grenzen - überhaupt dazu, das Du ebenfalls für ein Ich zu halten? (im Folgenden: Abschnitt A 2).
Weitere Fragen schließen sich an: Welche Daseinsweise des Ich ist es, der Freiheit zukommt? Wie gelangt das Ich dahin, auch dem Du Freiheit zuzusprechen? (im Folgenden: Abschnitt A 3).
(Bei der Behandlung dieser Fragen in den Abschnitten A 1 bis A 3 sollten die Leser sich nicht durch das Schulmeisterliche, das solche Erörterungen zwangsläufig an sich haben, abstoßen oder ablenken lassen.)
Unseren Freiheitsanspruch sehen wir als ein von Natur gegebenes Recht und benennen dies auch so: Naturrecht. Ich habe ihm aufgrund der in den Abschnitten A 1 bis A 3 vorgenommenen Analysen im folgenden Abschnitt A 4 den Wortlaut gegeben: Alle haben das gleiche Recht auf freie Lebensentfaltung. Wer diesen Satz evident findet und dafür keine Begründung verlangt, kann die etwas diffizilen metatheoretischen Überlegungen in den Abschnitten A 1 bis A 3 überschlagen.
Vom Naturrecht gehen alle im Buch dargestellten Gedankengänge aus. Es hat unter anderem auch Eingang gefunden in die deutsche Staatsverfassung. Dort tritt es nur in Form von Derivaten in Erscheinung. Dadurch verschwimmt sein ursprünglicher Sinngehalt und es erwachsen Widersprüche (im Folgenden: Abschnitt A 5).
Auf dem Boden der Untersuchungsergebnisse aus den Abschnitten A 1 bis A 5 erwachsen die Fragen, die ich im Hauptteil B meines Buches zu beantworten versuche (im Folgenden: Abschnitt A 6).

Die Monatszeitschrift ef beschrieb (seine damals ich glaube 3. Auflage) so:

„Erstmals liegt mit diesem Werk eine durchgängige theoretische Grundlage für die freie Gesellschaft als Alternative zu unserer traditionell obrigkeitsstaatlichen Staatsgesellschaft vor. Eckardt „Freiheitswerk“ ist das Fundament für eine zukunftsweisende Form von Gesellschaftlichkeit.“

Das war es für heute, euer Zeitgedanken.