Wie umzugehen mit einem Untermieter, der nicht weichen will?

Der Virus Herpes Zoster und sein Paket mit den unterschiedlichsten Begleiterscheinungen.


Herpes Zoster Ophthalmicus | Harvard Medical School Department of  Ophthalmology

Ursprünglich angedacht sollte es ein Artikel für den verkaufsoffenen Dienstag im Gemischtwarenladen sein, da eigentlich eine Durchforstung aller Regale nach Produkten, die unbedingt vor dem Winter noch umquartiert werden müssen. Beginnend bei der Gurke, die lieber ins Essigbad abtaucht, bis hin zur Tomate, die sich mit dem vollen Angebot aller Gewürzkräuter liebend gerne verschmelzen lässt.

Nichts von alledem, denn heute geht es um die Gürtelrose – wissenschaftlich auch Herpes Zoster genannt.

Der eigentliche Grund für radikalen Themenwechsel liegt zwar bereits ein paar Tage zurück, birgt jedoch genügend Stoff zum Schmunzeln und daher viel zu schade, ihn unberücksichtigt zu lassen.
Obwohl mit eigenen Erfahrungen ausgestattet, was eine Infektion mit diesem Virus betrifft, erachte ich mich nicht für kompetent genug, hier und heute eine halbwegs wissenschaftliche Aufarbeitung in Angriff zu nehmen. Wer sich nun intensiver mit dem Herpes Zoster Virus beschäftigen möchte, der sollte seinen Blick auf diese richten.

Das erste Mal, dass sich dieser Windpocken-Virus bei mir reaktivierte, hatte wohl stressbedingte Ursachen und ereignete sich während des Balkan-Krieges und wurde anfänglich falsch diagnostiziert. Erst, als der Pickel auf meiner Nase enorme Schmerzen verursachte und meine Augen das Tageslicht absolut nicht mehr vertrugen, korrigierte ein Augenarzt die vorschnell geäußerte Diagnose seines Kollegen und versorgte mich mit Antibiotika. Der Pickel verschwand von der Nase, die seither von einer Brille als Halterung genutzt wird.

Anfang des vergangenen Jahres meldete sich dann dieser Pickel doch tatsächlich zurück. Doch dieses Mal nicht auf der Nase, sondern auf der rechten Seite meiner Schulter und das gleich mit seiner gesamten Sippe im Gepäck. Kein genussvoller Anblick! So viel kann ich euch verraten. Die sofort eingeleitete Behandlung zeigte auch verhältnismäßig rasch erste Erfolge und der Blick in den Spiegel katapultierte mich nicht mehr in einen dieser grusligen Horrorfilme. Lediglich, im krassen Gegensatz zur ersten Attacke des Virus, verabschiedeten sich dieses Mal die enormen Schmerzen nicht mehr. Eines Tages hatte ich die Faxen endgültig dick und bezog meinen Hausarzt in mein Leid ein. Die Hälfte meiner Schmerzen, die ich ihm liebend gerne (auch ohne Krankenschein und Überweisung) überreicht hätte, übernahm er zwar nicht in seine Obhut, schickte mich jedoch zwei Türen weiter zum Apotheker, der mich darüber aufklärte, wie und wann ich die verschriebenen Medikamente schlucken sollte.

Zu Hause angekommen, wurden als allererstes die Beipackzettel inspiziert. Bei dem einen Päckchen handelte es sich um Schmerztabletten jener Art, zu denen man erst greift, wenn einen das Gefühl nicht verlässt, gleich den eigenen Schädel beim Explodieren zuschauen zu können. Im zweiten Kästchen befanden sich Tabletten, die unter dem Namen Lyrica gedealt werden. Es hat seinen berechtigten Grund, weshalb ich in Bezug auf dieses Medikament im Drogen-Slang gelandet bin. Harter (starker) Tobak! Da ich, mit chemischen Substanzen angereicherte Drogen seit jeher meinem Körper vorenthalte, hatte Lyrica bereits alle Chancen, ihre Fähigkeiten unter Beweis zu stellen, eingebüßt.
Logische Konsequenz: weiterhin Schmerzen und ein Gefühl, als sei meine rechte Schulter totes Fleisch. Gefühlslos, könnte man es vielleicht auch nennen.

Nun betritt ein Magier die Bühne, den ich eigentlich nie kennenlernen wollte und an dessen, über die Landesgrenzen hinweg gepriesenen Fähigkeiten, ich ohnehin nicht glaubte. Der Mann mit Wohnsitz in Zagreb bezeichnet sich als Bioenergetiker, darf sein Selbstlob auch in einer eigenen Sendung bei meinem Heimatsender verbreiten und genießt bei seiner großen Fangemeinde einen guten Ruf. Außer bei mir! Ich stehe solchen Praktiken einfach zu skeptisch gegenüber und kann dies auch nicht so mir nichts, dir nichts ablegen.

Widerwillig und der Hartnäckigkeit meiner Frau Tribut zollend, wurde ein Termin beim Wunderheiler vereinbart. Was folgte, war für mich der behandlungstechnische Höhepunkt in der Therapie all meiner Krankheitsgeschichten. Einmal eingetreten, empfing mich ein rundum bestuhlter Raum und mir bis dahin unbekannte Menschen, welche aufrecht sitzend diesen Stühlen ihre Daseinsberechtigung bezeugten. Jedoch wurde nicht lediglich aufrecht gesessen. Die Unterarme waren nahe den Oberschenkeln angewinkelt und die Handflächen nach oben zeigend. Meine Nachfrage, bezüglich dieser mir doch recht unbequemen Haltung, blieb nicht unbeantwortet. „Nur so kann man die Energie, welche sich in dem Raum angesammelt hat, besser aufnehmen.“ Den, mir bereits auf der Zunge brennenden Vorschlag, dies auch mit einem regelmäßigen Ein- und Ausatmen erledigen zu können, unterließ ich, da ich die Schuhspitze meiner Frau knapp hinter meiner Wade erahnen konnte. Der Grund, wieso sie überhaupt von der energetischen Atmosphäre partizipieren durfte, war ihre nicht von der Hand zu wischenden Befürchtung, ihr Herzblatt mit Dauerschmerz würde sich das Theater knappe fünf Minuten gönnen, um sich dann heimlich, still und leise in das nächstgelegene Kaffeehaus verziehen.

Da saß ich nun, mit verkrampften Unterarmen und allerlei Gedanken, die als Schmierstoff für Energie eher nicht geeignet schienen. Als absoluten Tiefpunkt der Veranstaltung erkannte ich den Umstand, dass „Patienten“, die lange nach mir die Tankstelle ansteuerten, noch vor mir vom Meister eine Einzel-Spezialbehandlung bekamen. Als dann ein älterer Herr im äußerst kleidsamen Trainingsanzug in die Mitte des Raumes gebeten wurde, um dessen Prostataleiden ein jähes Ende zu setzen, konnte mich auch der drohende Wadenbeinbruch nicht mehr zurückhalten. „Könnte ich vielleicht erfahren, nach welchen Regeln hier verfahren wird?“ Der Schamane wusste sofort, auf was ich abzielte. Seine prompte Antwort drückte meine Laune vollends in den Keller. „Ich bemerke sehr wohl, dass Sie noch nicht bereit sind, auf meine Behandlung einzugehen.“ Dem mochte ich nicht zu widersprechen, zog jedoch die logische Folgerung, wenn es danach ging, noch in drei Tage hier zu sitzen.

Nicht unerwähnt sollte an dieser Stelle bleiben, dass über die Wehwehchen der einzelnen „Patienten“ offen diskutiert wurde. Ich bin bestens darüber informiert, wessen Fußnägel stets krumm wuchsen und wessen Nasenhaare nicht mehr zu glätten waren. Selbstverständlich, unter Nutzung des Präteritums, da die Wundertüte mit den magischen Händen dies alles richten wird.
In den folgenden paar Wochen musste ich zehn, mir schier endlos vorkommende „Behandlungen“ über mich ergehen lassen. Was mir dabei auffiel, war der Umstand, je mehr mein Kopf sich mit dem Energiewunder und seinen magischen Händen beschäftigte, desto weniger Platz blieb für meinen Schmerz.
Dass das Energiewunder ganz nebenbei auch seine Kundschaft ausgoogelt, offenbarte er mir bei einem meiner letzten Besuche. Plötzlich und ohne jegliche Vorwarnung stand er vor mir und übergab mir ein Manuskript, mit der Bitte, einen Blick hineinzuwerfen und anschließend meine Meinung kundzutun. Bevor ich auch nur ansatzweise die Verkrampfungen in meinen Unterarmen lösen konnte, war die Papiersammlung bereits in der Tasche meiner Frau verschwunden. Ich hatte überhaupt keine Chance meine Dienste zu verweigern, da sie den Möchtegern-Autor wissen ließ: „Das tut er doch gerne.“ Na ja, wenn sie das sagt, muss es wohl auch so sein.

Ich tat das, was von mir erwartet wurde und nahm mich den vierzig oder fünfzig A-4-Seiten an, die Interessenten einen Einblick in das Schaffen des Bioenergetikers liefern sollten.
Artig brachte ich das Werk zu dessen Verfasser zurück und verkündete mein Resümee: „Äußerst langweilig.“ Seine Antwort kam wie aus der Pistole geschossen: „Das hatte ich schon befürchtet.“
Wenn aus der Befürchtung Wahrheit wird …

Damit hatte sich für mich das Projekt Bioenergetik erledigt. Diese Tankstelle wurde folglich aus dem Navi gelöscht. Trotz gelegentlicher Anläufe von weiblicher Seite, ich könne die Behandlung doch nicht einfach so abbrechen, obsiegte mein Dickkopf.

Kaum ein Monat war ins Land gezogen, als meine Frau mir die Nachricht des Tages überbrachte. „Dein Energie-Guru hat gerade angerufen.“ Ich konnte meine Begeisterung nur schwerlich verbergen und so entwickelte sich ein kurzer Dialog, der damit endete, mit der nicht widerrufbaren Tatsache konfrontierte, am nächsten Sonntag einen Gast mit reichlich Energieüberschuss am Tisch begrüßen zu dürfen.

„Ich bin ähnlich begeistert wie über einen Pickel am Arsch.“
Mit den letzten Worten bekundete ich meine Kapitulation.
Mit dem Sonntag trudelte auch der Energiespender ein, zeigte sich überaus begeistert von Landschaft, Beköstigung und seinen Gastgebern. Die Verabschiedung ließ zwar länger auf sich warten, fand jedoch irgendwann statt und ich schlug mich mit der Frage an mich selbst herum, warum ich im richtigen Moment nicht einfach Nein sagen kann? Denn mir hing ab dem Zeitpunkt eine Auftragsarbeit über ein Thema am Hals, mit dem ich noch heute so meine Schwierigkeiten habe. Bin jedoch gleichzeitig bestens darüber informiert, was ein Bioenergetiker den lieben langen Tag so treibt.

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