Das Festival hat einen Rahmenprogrammpunkt an jedem Tag. Am Freitag der
Karneval, am Samstag das Pferderennen und Wrestling und am Sonntag Abbau und
Abfahrt zum Süt Chol (Milchsee). Geplante vier Stunden Fahrt werden zu neun, der
Regen hat die Wege teilweise in schwieriges Terrain verwandelt. Gefährlich ist
es nicht, aber extrem. In 1800 Metern Höhe weht ein rauer Wind, nur blöd wenn
das Gepäck in einem Fahrzeug ist, das den Weg nicht schafft.
Der Aufstieg in eine andere Welt denke ich mir und nehme es so gelassen wie möglich. Ich habe
Glück und bin nach dem dritten Fahrzeugwechsel in einem guten russischen Jeep
und wir müssen nur 500 Meter laufen. Andere Gruppen haben nicht so viel Glück
und laufen Stundenlang. Vor dem Ziel besteigen wir noch kurz einen Gipfel in der
Nähe. Der Wind riss mir das T-Shirt fast vom Leib. Aitschurek verteilt Bänder
und jeder tut sein bestes um das Gipfelgestell mit diesen Bändern zu schmücken.
Diese Gestelle mit den Bändern sieht man überall in Tuva, und in der Regel
bleibt man auch stehen, gibt etwas und hält kurz inne. Das meiste Gepäck kommt
nicht und die Nacht überleben wir in der Jurte. Von Tuwinern werden wir mit
leckeren Speisen und Getränken versorgt, sie kümmern sich rührend um jeden. Es
ist kalt und regnet fast ständig, erst am Nachmittag des nächsten Tages hört der
Regen auf. Dann ist auch endlich das Gepäck und die Instrumente da und der
zweite Teil des Festivals beginnt.
Auf einer großen Wiese zum See hin werden
Boxen und Verstärker aufgebaut, das Publikum macht es sich im Gras bequem.
Tuwinische Popmusik gibt es auch, im Radio ständig, doch hier ist mir das zu
viel und ich verschwinde Richtung Wald. Für drei Minuten schaffe ich es alleine
zu sein als 2 alte Männer angelaufen kommen und sich zu mir setzen.
Ich bespiele sie mit dem Didge, reden kann ich ja nichts. Als ein Hauptpolizist auch noch
kommt und recht ungläubig schaut bespiele ich auch ihn. Dann taucht auch noch
ein Interpreter (Übersetzer) auf und ich kann erklären was hier vor sich geht.
Alle sind sehr dankbar, und alles ist gut.
Vom Konzertplatz ertönen plötzlich
folkloristische Klänge und ich gehe wieder zurück. Der Tuwiner aus Japan hat es
wirklich drauf. Seit 14 Jahren jedes Jahr in Tuva, spricht natürlich tuwan,
spielt mehrere Instrumente und singt. Auch mit den Mikrofonen kommt er gut klar
und sein Auftritt wird zurecht frenetisch beklatscht. Ein Regenschauer vertreibt
uns in eine Hütte wo sogleich eine muntere Session beginnt.
Am Abend wird ein
riesiges Feuer vorbereitet und pünktlich zum Anzünden beginnt ein Wolkenbruch
wie ich in noch nicht erlebt hatte. Blitze sind um uns herum, als Kelte würde
ich Angst bekommen, aber Spaß beiseite, innerhalb von Sekunden ist jeder und
alles klatschnass, eine Flucht zur Jurte viel zu weit, also Schutz unter den
Bäumen suchen.
Anstatt nachzulassen, wie es sich für ein braves Gewitter gehört
wird dieses hier immer ungemütlicher und ich gebe den Schutz der Bäume auf. Nass
bin ich schon, also zurück zur Jurte. Unterwegs werde ich in ein Zelt gebeten,
es ist stockfinster drin und nur langsam erkenne ich etwa 15 Menschen in einem
Zelt für 4 Leute. Manche weinen, so beginne ich mit meinem Didge zu spielen und
wir warten den Regen ab.
Später in der Jurte ist der Kampf gegen die Lecks in
vollem Gang, die Matratzen müssen immer von den Lecks weg. Mit vereinten Kräften
schaffen wir auch dies und irgendwann gewinnt der Schlaf.
Die Rituale der Schamanen zum Beenden des Regens sind vergebens, es regnet
immer mehr. Aus Bed und Breakfast heraus entschließe ich mich zur Tat. Ich lasse
Aitschurek rufen und teile ihr meinen Plan mit. Ohne Zögern akzeptiert sie und
ich beginne. Alle die wollen sollen mit ihren Instrumenten den Ton der Sonne,
ein Cis, anstimmen. Die Mitglieder von Sun Ra verstehen mich und steigen gleich
mit ein. Aitschurek geht zu ihren Leuten um alles zu erklären und dann wird es
richtig voll in der Jurte.
Von hinten werde ich abgeräuchert, der Klang des
heiligen Cis ertönt in vielerlei Variation auf Gitarren, Maultrommeln, Stimmen,
Saxophonen, Trompeten. Schon nach fünf Minuten wird der Regen schwächer, nach 35
Minuten herrscht strahlender Sonnenschein für den Rest des Tages. Die
Mönchsschüler meditieren zum gleichen Zweck, letztendlich ist es doch eine Tat
von allen zusammen, die richtige Schwingung auf den Berg zu bringen.
Auf einem LKW geht es wieder zurück. Nach mehrmaligem Zählen komme ich immer
wieder auf 19, 19 Leute auf der Ladefläche eines LKW, der mir absolut sicher
erscheint. Mit Gepäck, Matratzen und und und. Im Schneckentempo bahnt er sich
den Weg durch Sumpfland, der Weg ist kein Weg. Also steigen wir ab und gehen
quer durchs Sumpfland. Immer kleiner wird der LKW mit allen Sachen an Bord,
ebenso das Zeltlager mit der Jurte als Mittelpunkt.
Nach 2 km beginnt der
Aufstieg durch den Wald. Unterwegs trinken wir aus Bächen, sammeln Harz eines
Baumes um Kaugummi herzustellen und entdecken einen Gefangenen. Diese
Yascheritza (Eidechse) hat in einem Baumloch etwas gefressen und kommt nicht
mehr raus. Sie ist in das Holz eingewachsen und kann nicht vor und nicht zurück.
Der halbe vordere Körper hängt in der Luft der hintere Teil ist im Holz. Mit
vereinten Kräften gelingt es uns die Rinde weg zu schaben und das Tier zu
befreien.
Mit stolz erhobenem Haupt und in leuchtenden Farben verabschiedet es
sich. Ich erfahre dass heute der Geburtstag des Dalai Lama ist und jede gute
Tat vielfach zurückkommen wird. Schwitzend und schnaufend geht es nach oben, wo
wir 15 Minuten vor dem LKW ankommen. Die folgende Abfahrt ist wiederum ein
unbeschreibliches Erlebnis, Natur pur. An besonders steilen Stellen steigen die
Meisten ab und gehen lieber. Ich bleibe aber die ganze Zeit auf dem Wagen und
genieße einen warmen Platz unter vielen Decken.
Im Tal angekommen beginnt wieder
der Regen und wir kauern uns zusammen um dem Regen zu trotzen. In Tschadan
werden einzelne Matratzen bei einzelnen Leuten abgegeben, nach und nach werden
es weniger Leute auf der Ladefläche. Gegen 23 Uhr sind auch wir dran und steigen
ab. Im Lagerhaus der Busfahrer übernachten wir, Tee und Brot wird uns gereicht,
die eine oder andere Zigarette noch geraucht und dann geschlafen. Morgens werden
wir von einem Kleinbus abgeholt und bringen Tatjana zu ihrer Wirkungsstätte.
Ihr Schamanenzentrum ist ein großes wunderschön gebautes Haus im Stil eines
Tempels. Tee, Suppe, Bilder machen. Gäste sind auch im Haus und wie klein die
Welt doch ist, ich kenne alle vom Festival. Ich bin jetzt mit Aitschurek
unterwegs, sie kümmert sich um alles, reden können wir ja nicht zusammen, es
gibt aber noch keine Probleme.
Fast Nonstop geht es jetzt nach Kysyl zurück,
jeder Tramper wird mitgenommen, Platz haben wir genug. Tos Deer erwartet uns mit
Essen und Tee, ich kriege ein eigenes Zimmer. Morgen fahren wir auf ein Festival
in die Nachbarrepublik ist alles was ich weiß, also gehe ich noch in die Stadt
um Kleinigkeiten zu kaufen.
Übersetzer habe ich keinen, laut Aitschurek brauche
ich auch keinen. Und mein bisschen tuwan kann ich in der anderen Republik
sowieso vergessen, was ich dann auch wirklich tue. Nach der Reise konnte ich
kein tuwan mehr. Vor lauter englisch und deutsch habe ich es ganz vergessen. Als
ich aus der Stadt zurückkomme wartet das Schamanenehepaar bereits auf mich, sie
haben bei Bekannten einen Termin für eine Dusche vereinbart.
Ganz Kysyl ist seit
Wochen ohne warmes Wasser, wegen Reparaturarbeiten, und Leute mit heißer Dusche
sind gefragt. In einer Hütte ist ein Ofen und ein großes Wassergefäß. Der Raum
ist so heiß wie das Wasser, kaltes Wasser steht bereit, mit Schöpfkellen und
Eimern mischt man sich das Wasser auf die richtige Temperatur, das macht Spaß
und schön. Ich entdecke meine erste Speckschwarte und zeige sie ganz stolz her,
Gelächter und Freude zeigen, alles ist gut, das Essen passt.
Weitere Bilder des Festivals: YCTYY-XYPЭЭ - 2004
Fortsetzung folgt!
Teil-1 Teil-2 Teil-3 Teil-4 Teil-5 Teil-6
Erstveröffentlichung/Initial release by @schamangerbert March/12/2017
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