Leroys Bibliothek - "Böse Geister"

Er war Ingenieur, er war Revolutionär, er war zum Tode verurteilt und erfuhr erst auf dem Schafott von seiner Begnadigung, er saß jahrelang im sibirischen Gefängnis mit Mördern, Perversen und sonstigem Abschaum, er war Soldat in der Verbannung, Epileptiker, krankhafter Spieler, hochverschuldet und sein Leben lang auf der Flucht, er verlor Kinder und Frauen, war unglücklich verliebt und am Ende seines Lebens glühender Patriot, Anhänger des Zarismus, Prophet der russischen Tragödie. Und wurde noch zu Lebzeiten auf eine Stufe mit Tolstoj gestellt und fast als Heiliger verehrt.

Als ich herauskam, erhob sich donnernder Beifall, der mich lange, sehr lange am Lesen hinderte. Ich verbeugte mich, beschwichtigte durch Gesten, bat, mich lesen zu lassen – alles vergeblich; Begeisterung, Enthusiasmus. Endlich begann ich zu lesen: Ich wurde tatsächlich nach jeder Seite und manchmal sogar nach jedem Satz durch donnernden Beifall unterbrochen. Ich las laut, feurig. Als ich aber gegen Schluss auf die allweltliche Einigung der Menschen zu sprechen kam, brach in dem Saal eine Art Hysterie aus, und als ich schloss – ich bin außerstande, den Sturm, den Schrei der Begeisterung zu beschreiben: Unbekannte im Publikum brachen in Tränen aus, schluchzten, umarmten sich und schworen einander, besser zu werden, sich nicht mehr zu hassen, sondern zu lieben. Die Tagesordnung wurde gesprengt, alle stürzten zu mir auf das Podium: Elegante Damen, Studentinnen, Staatssekretäre, Studenten – alles umarmte und küsste sich. Die Mitglieder unserer Gesellschaft, die auf dem Podium gesessen hatten, umarmten und küssten mich, und allen, buchstäblich allen standen die Tränen der Ergriffenheit in den Augen.

Wir sehen, Superstars gibt es nicht erst seit Madonna.

Die Rede ist natürlich von Fedor Dostojevskij, einem der begnadetsten Erzähler aller Zeiten. Wer ihn bisher noch nicht gekannt haben sollte, kann sich aufgrund der obigen Notiz aus Briefen Dostojevskijs vorstellen, mit wem wir es zu tun haben.

Konkret geht es heute um die "Besy", eines seiner Spätwerke und eines der Bücher, die Leroy die Augen geöffnet haben für den ganzen kranken sozialistischen Bullshit. Bei weitem nicht das bekannteste Buch des Autors, häufig auf Deutsch als "Die Dämonen" bekannt, in jüngster Zeit auch richtiger als "Böse Geister" in einer brillianten Übersetzung von Swetlana Geier.

Leroy hat keinen Bock auf Literaturkritik, es geht kurz gesagt um das Aufeinanderprallen der Revolution und der Reaktion, die darin in ihren Widersprüchlichkeiten und Abgründen verwickelten Personen und natürlich Mord, Totschlag und die Auflösung in zerstörerischem, sinnlosem Leid und Abgrund.

Eine Abrechnung Dostojevskij mit seiner eigenen Vergangenheit, Irrtümern der Gegenwart und gewollte oder ungewollte Prophezeihung des tragischen Schicksals von Mütterchen Russland.

Man kann die "Bösen Geister" unter verschiedenen Titeln (Dämonen, Teufel u.ä.) antiquarisch günstig erwerben in unterschiedlich guten Übersetzungen. Leroy empfiehlt reinsten Gewissens und mit Nachruck die Übersetzung* von Frau Geier.

Ich habe sie neulich parallel zum Original gelesen und ziehe meinen Hut vor der Dame. Das Buch hat mich übrigens genauso gefesselt wie vor 25 Jahren und wird auch nie an Aktualität verlieren.

Für die Widerstandskämpfer unter Euch, Vertreter der roten SA und sonstige fröhliche Salonkommunisten: Dostojevskijs antitotalitäres Manifest wurde, obwohl er auch in der Sowjetunion den Status eines Heiligen genoss, erst kurz vor dem Ende der UdSSR 1989 in einer Auflage von einer halben Million Exemplare aufgelegt.

Vorher existierte das Buch nicht im Arbeiterparadies.

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