Kommentar zur Diskussion über die AfD, Flüchtlinge und den Islam zwischen @celinavdl und @freiheit50



@celinavdl , @freiheit50 : Ihr seid "schuld" an diesem Artikel! :)


Hallo @celinavdl ! Nachdem @freiheit50 , den ich als intelligenten und unabhängig von aufgestülpten Schablonen denkenden Menschen sehr schätze, mich nach meinen Gründen gefragt hat, warum ich deinen Artikel über die AfD (https://steemit.com/deutsch/@celinavdl/keine-alternative-fuer-deutschland-kein-platz-fuer-rassismus) upgevoted habe, der ihm selbst weniger gut gefällt (wie er ja auch hier schrieb), entschied ich mich, etwas näher darauf einzugehen, wie ich selbst das Ganze sehe.
Wenn ich mich schon zu diesem heiß umstrittenen Thema äußere, möge man mir bitte verzeihen, dass ich auch einige eigene Gedanken einfließen lasse, die nicht direkt etwas mit der AfD, der "Gegendemonstration" und der Diskussion zwischen @celinavdl und @freiheit50 zu tun haben.

Meine persönliche Einstellung gegenüber der AfD (und einigen ihrer Anhänger)


Zunächst einmal 'fühle' ich in der Sache mit dir, @celinavdl , und um es ganz klar zu sagen: In einem Land, in dem eine Partei wie die AfD regierte, würde ich nicht leben wollen! Wir könnten jetzt über Feinheiten des Parteiprogramms diskutieren, aber das änderte nichts an der Tatsache, dass viele AfD-Anhänger und -Politiker nicht nur Kritik an der Flüchlingspolitik oder am 'Islam' üben (was völlig legitim ist -> Meinungsfreiheit), sondern dass leider aus Kritik in der Sache Hass auf Menschen wird. Und ja, meiner Meinung nach befeuert die AfD diesen Hass ohne jeden Zweifel. Viele der Menschen, die Flüchtlinge hassen, würden an deren Stelle genau dasselbe tun (nämlich entweder, um ihr Leben zu retten oder aus wirtschaftlichen Gründen ihr Land verlassen). Das heißt noch lange nicht, dass Deutschland oder Europa dazu verpflichtet ist, alle Flüchtlinge aufzunehmen, aber ich würde mir mehr Verständnis gegenüber dem Verhalten der Flüchtlinge wünschen, statt sie als "Ventil" für das Unverständnis über die eigene Politik herhalten zu lassen.

Meine Ansichten sind subjektiv und durch persönliche Erfahrungen beeinflusst!


Natürlich hat sich meine - subjektive - Meinung zum Thema, wie auch die aller anderen Dikussionsteilnehmer, nicht unbeeinflusst von persönlichen Erlebnissen entwickelt. Meine Frau ist Nicht-EU-Ausländerin und (zumindest auf dem Papier) Muslimin (die meisten Menschen werden in ihre Religion nun einmal 'hineingeboren'), und ich musste lange und sehr hart dafür kämpfen, dass sie nun hier bei mir wohnen darf. Hätten die deutschen Behörden das bis zu letzt verhindert, wäre ich ausgewandert.
Auch aufgrund dieses Erlebnisses ärgere ich mich immer sehr, wenn Menschen ihrer Herkunft, ihrer Religion (oder auch sozialen Schicht etc.) wegen in Schubladen gesteckt und (negativ) bewertet werden, bevor sie überhaupt den Mund aufgemacht haben. Dinge, wie z. B. die Religion eines Menschen sind für mich (den Agnostiker, der nichts mit religiösen Vorstellungen am Hut hat!) nebensächlich, solange ich befürworte, was er denkt, sagt und tut (aber dafür muss ich auch zuhören, statt ihm einfach irgendein bequemes Klischee aufzudrücken).
Leider sind Diskussionen um den Zuzug bzw. die Einreise von Ausländern nach Deutschland oft von ziemlicher Unwissenheit geprägt. Nicht selten höre ich z. B. Sätze wie "Die Visa-Bedingungen müssen verschärft werden, um illegale Einwanderung einzudämmen!" Ein Großteil der illegalen Einwanderung erfolgt ja per Definiton ohne Visum (deshalb ist sie eben illegal). Verschärfte Visa-Bedingungen würden vor allem Wissenschaftler, Geschäftsleute und ausländische Ehepartner von Deutschen treffen, die versuchen, per Visum, also auf legale Art und Weise, einzureisen.
Wäre die AfD zu Zeiten an der Macht gewesen, als ich meine jetzige Frau nach Deutschland einladen wollte (und selbstverständlich hatte ich mich per "Verpflichtungserklärung" dazu bereit erklärt, alle evenutell entstehen Kosten ihres Aufenthalts zu tragen - es bestand also keinerlei Kostenrisiko für den Staat), wäre das Ergebnis vermutlich ein anderes gewesen ...

Gehört der 'Islam' zu Deutschland?


Ein weiterer strittiger Punkt ist die Frage, ob der Islam zu "uns" gehöre. Meine, möglicherweise etwas 'eigene' Sicht der Dinge ist, dass ein Land die Summe der dort lebenden Menschen, samt ihren Eigenschaften, Gedanken und Verhaltensweisen ist. Deshalb gehört auch der Islam selbstverständlich zu Deutschland, wie auch das Christentum oder der Atheismus. Muslime sind eine Minderheit, dennoch sind sie natürlich, wie andere Minderheiten auch, (ein prozentual relativ kleiner) Teil Deutschlands.
M. E. ist es falsch zu sagen, nur das, was einem selbst gefällt, sei Teil Deutschlands, der Rest jedoch nicht. Umgekehrt akzeptiere ich als Demokrat z. B. auch, dass die AfD ein (mir nicht angenehmer) Teil Deutschlands ist. Das gilt aber auch für die hier lebenden Muslime, die (sofern sie Staatsbürger sind oder eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis haben), samt ihrem Glauben, zu Deutschland gehören. Für eine spitzfindige Trennung zwischen den Personen, die hier leben ("Ja, die gehören zu Deutschland."), und ihrem Glauben ("Nein, der gehört nicht zu Deutschland."), gibt es gemäß meiner obigen Definition - "Ein Land ist die Summe aller Menschen (und deren Eigenschaften), die dort leben." - keinen logischen Grund. Ich stimme allerdings zu, dass das Christentum ein prozentual deutlich größerer Teil Deutschlands ist als der Islam ...
Es gibt übrigens nicht den Islam, wenn damit gemeint sein sollte, alle Muslime würden ihre Religion gleichartig interpretieren und leben, denn dem ist nicht so. Dem ist übrigens auch beim Christentum nicht so - oder was hat ein hier lebender "gemäßigter" Protestant mit einem Tea-Party-Anhänger und Kreationisten in den USA zu tun?

Bitte verzeiht mir die Ironie, aber ich kenne nicht wenige Menschen, die ungefähr so argumentieren, wenn es darum geht, ob es auch "gute" Muslime gebe: nehmen wir drei Möglichkeiten an:

  1. Ein Muslim ist tatsächlich ein Fanatiker oder gar Terrorist (versteht mich nicht falsch: es geht mir keineswegs darum, abzustreiten, dass ein Teil der in Deutschland lebenden Muslime Probleme bereitet): "Hab ich's doch gesagt, alles Terroristen!"
    Auf meinen Einwand hin, es gebe aber doch auch gemäßigte Muslime, kommt dann die Replik ...
  2. "Wenn sie gemäßigt wären, würden sie sich stärker von den Fanatikern in ihren Reihen distanzieren und gegen sie demonstrieren!"
    Ich: "Aber das gibt es doch: Vor einer Kirche hielten kürzlich Muslime eine Mahnwache, um, gemeinsam mit den Christen, ihre Solidarität mit den Opfern eines Terroranschlags und deren Angehörigen zu demonstrieren." Gegen'argument':
  3. "Tjoa, dann waren das halt gar keine 'richtigen' Muslime."
Mit einer solchen Argumentation verhindert man eine Weiterentwicklung des Islams, denn tun die Muslime, was man von ihnen 'verlangt', sind sie plötzlich per Defintion keine Muslime mehr - böse Falle? :) Oder in anderen Worten: Letztlich gesteht man nur den Hardlinern unter den Muslimen zu, 'echte' Muslime zu sein, wodurch man ihre Position ungewollt stärkt.

Abgesehen davon halte ich persönlich es für falsch, dass sich friedliche Muslime für das Verhalten terroristischer 'Glaubensgenossen' rechtfertigen sollten. Ich sehe Menschen als Individuen, die ausschließlich für ihre eigenen Taten verantwortlich sind. Ich sehe mich doch auch nicht unter Rechtfertigungszwang, wenn irgendwelche kriminellen Deutschen ein Asylantenheim angezündet haben, nur weil diese Ar......... zufällig die Staatsbürgerschaft mit mir teilen. Religion, Staatsbürgerschaft etc. allein machen mich anderen Menschen weder ähnlicher noch fremder. Verantwortlich bin ich höchstens gegenüber Menschen, mit denen ich direkt zu tun habe, die ich beeinflussen kann.

Gehöre denn ich als Agnostiker zu Deutschland?


Gehöre denn ich selbst zu Deutschland, wo ich doch als Agnostiker einer eindeutigen Minderheit angehöre? "Ja, natürlich, dich verbindet doch mit uns allen - im Gegensatz zu diesen Muslimen und Orientalen - unsere gemeinsame Leitkultur!" Ach, ist das so? Ich persönlich (aus subjektiver Sicht, so wie dieser Artikel nun einmal verfasst wurde) sehe "die Deutschen" oder "die Europäer" keineswegs als irgendwie 'homogene Masse' mit weitgehend ähnlichen Eigenschaften. Es fängt doch schon beim politischen Standpunkt an, geht weiter bei religiösen Fragen (Christ, Atheist, ...) bis hin zur Freizeitgestaltung, dass wir alle letztlich einzigartige, voneinander sehr verschiedene Individuen sind, jeder mit seiner ganz individuellen Kultur (man könnte sie als eigenen 'Mikrokosmos' bezeichnen), die sich von den Kulturen aller anderen Individuen (ob nun "deutsch" oder nicht) sehr deutlich unterscheidet. Mit verschiedenen Menschen teilt man verschiedene Facetten 'seiner' Kultur, z. B. teile ich mit allen Schachspielern dieser Welt meine Freude am 'königlichen Spiel', mit allen Naturforschern mein Interesse an den Wissenschaften, mit allen Nachteulen meine Vorliebe dafür, morgens lange zu schlafen, mit allen Agnostikern meine Eigenschaft, Agnostiker zu sein usw. Religion oder Staatsbürgerschaft sind nur zwei unserer zahllosen verschiedenen Eigenschaften, die wir mit völlig verschiedenen Menschen dieser Erde teilen (oder auch nicht). Warum sollte ich also bei einem Menschen, den ich neu kennenlerne, als erstes danach fragen, woher er kommt oder welcher Religion er (nicht) angehört? Soll er doch beten, zu wem er will! Ja, ich bin da absolut tolerant, solange ... ja, solange er das mir gegenüber auch ist und meinen von ihm verschiedenen Lebensstil respektiert.

Ach so, ich habe vergessen, die Frage zu beantworten, ob ich nun zu Deutschland gehöre? Ich glaube schon, aber es ist mir auch nicht so wichtig, zu irgendetwas zu "gehören", außer zu den Menschen, die ich liebe, die meine Freunde sind, ähnliche Interessen haben wie ich oder dieselben Projekte unterstützen ... aber auch zu denen, die mich durch ihre, von den meinen abweichenden Ansichten immer wieder zum Nachdenken bringen, ohne mich wegen meiner anderen Meinung abzulehnen.

Trotz meiner sehr auf die Freiheit des einzelnen Individuums fokussierten Sichtweise und meiner Negierung des Katalogs einer 'Leitkultur' heißt das nicht, dass ich für ein völlig regelloses Zusammenleben plädieren würde. Wer hier lebt ...

  1. ... hat ohne Wenn und Aber zu respektieren, dass in einem säkularen Staat säkulare Gesetze über irgendwelchen religiösen "Regeln" stehen. Wer sich an diese Gesetze nicht hält, sollte sein Glück anderswo versuchen, aber NICHT hier.
    P. S.: Der Staat dürfte m. E. übrigens gerne noch etwas säkularer sein (Stichwort Kirchensteuer - oder wird auch der Beitrag für meinen Schachclub vom Staat eingezogen?).
  2. ... sollte (schon aus purem Eigeninteresse) unbedingt die Sprache des Aufenthaltslandes beherrschen (Anmerkung: Das fällt leider auch immer mehr 'Biodeutschen' nicht gerade leicht. :-) ).

Wo ich @freiheit50 Recht gebe


Trotz meiner oben dargelgten Ansichten (und ja, den 'Gutmenschenstempel' werde ich wohl ab jetzt nur noch schwer wieder abwischen können - sei es wie es sei :) ) stimme ich aber @freiheit50 in einem sehr wichtigen Punkt (auch abgesehen von Details bezüglich des Parteiprogramms der AfD, um das es in diesem Artikel nicht geht) zu: Das Recht, zu demonstrieren, sollte zwar zweifellos als Mittel der freien Meinungsäußerung bestehen ... es sollte also möglich sein, seinen Unmut gegenüber den Forderungen der AfD kundzutun, aber Gewalt bzw. Drohungen gegen Andersdenkende sind inakzeptabel (das gilt selbstredend für beide Seiten) und der Versuch, diese daran zu hindern, wiederum ihre eigene, abweichende Meinung zu äußern, ist undemokratisch. Möchte man jemandem widersprechen, sollte man ihn nicht am Reden hindern, sondern versuchen, ihn mittels intelligenter Argumentation zu besiegen.

Trotz der aufgeladenen Stimmung im Lande und der teilweise diametral entgegengesetzen Meinungen innerhalb der Bevölkerung, sollte versucht werden, respektvoll miteinander umzugehen, sich zuzuhören, gemeinsam nach Lösungen für nicht wegdiskutierbare Probleme zu suchen und vielleicht ab und zu sogar (ja, ich weiß, es fällt schwer) dem Gegenüber auch mal Recht zu geben, wenn ihm objektiv betrachtet Recht zu geben ist.

Das Thema ist so umfassend, dass ich trotz des nun sehr lang gewordenen Artikels ganz sicher nicht jedem seiner Aspekte gerecht werden konnte, und ebenso sicher nicht alles, was ich schrieb, auf Zustimmung stoßen wird. Ich hoffe dennoch, zum Nachdenken angeregt zu haben!

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