Bundesregierung für Pflicht zur Passwortherausgabe!

Angesichts der jüngsten Entscheidung des Bundeskabinetts zur "erweiterten Bestandsdatenauskunft und Meldepflicht ans BKA" (die letztlich eine Bestätigung und Ausweitung des bereits 2013 verabschiedeten Regierungsentwurfs zur Reform der Bestandsdatenauskunft ist), halte ich es geradezu für meine Pflicht, diesen Artikel als Ausdruck meiner Ablehnung des Vorgehens der Bundesregierung zu verfassen, zumal möglicherweise vielen Lesern noch gar nicht bewusst ist, wie weit die Befugnisse der deutschen Strafverfolgungsbehörden mittlerweile gehen.


Der alles sehende Staat ...

Quelle: pixabay.


Kernpunkte des Gesetzentwurfs


Der entsprechende Gesetzesentwurf sieht vor ...

  • ... Anbieter von "Telemediendiensten" (dazu gehören unter anderem soziale Medien und Blogs, Chatdienste, Spiele-Apps, Suchmaschinen und Webmail-Dienste etc.) zukünftig dazu zu verpflichten, Sicherheitsbehörden "Bestandsdaten" von Verdächtigen, wie z. B. Name, Anschrift, IP-Adressen, aber auch PINs, PUKs und Passwörter(!) zum Zugriff auf Nutzerkonten, Endgeräte und Clouds zur Verfügung zu stellen.
    Neben Strafverfolgern und Geheimdiensten wird mit Ordnungswidrigkeiten wie beispielsweise Schwarzarbeit befassten Ämtern Zugriff auf die Bestandsdaten gewährt. Auskunftsanspruch besteht außerdem "soweit dies zur Durchsetzung der Rechte am geistigen Eigentum erforderlich ist".
    Eine Einschränkung besteht darin, dass Passwörter, anders als ursprünglich vorgesehen, nur von "besonders schwere Straftaten" verfolgenden Behörden oder für die "Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung" zuständigen Stellen abgerufen werden sollen.

  • Darüber hinaus sollen Plattformen wie Facebook, ganz im Sinne des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes, von Usern kreierte strafrechtliche relevante Inhalte löschen und zusammen mit oben genannten Daten dem BKA melden.

Ich halte die im ersten Punkt genannten Begehrlichkeiten für einen schweren Eingriff in die Privatsphäre des Bürgers. Zu ermitteln, wer hinter im Internet verbreiteten justiziablen Äußerungen steckt, ist die eine Sache, Passwörter von Verdächtigen anzufordern, und damit an Details ihres Privatlebens zu gelangen, eine ganz andere!

Hass und Gewaltbereitschaft im Internet sind ein ernstzunehmendes Problem - aber nicht von Firmen und Internetprovidern zu lösen!


Dass Betreiber sozialer Medien die mit beträchtlichem Zeitaufwand und hohen Kosten verbundene Aufgabe der Justiz übernehmen und (möglicherweise(!) - wie sollten sie das als nicht in die Feinheiten deutscher Gesetzgebung vertiefte Unternehmen korrekt bewerten können?) gegen Gesetze verstoßende Äußerungen löschen und melden sollen, ist sowohl ihnen als auch den betroffenen Usern völlig unzumutbar.
Zwecks Minimierung des Risikos, bei Vernachlässigung dieser Pflichten selbst juristisch belangt zu werden, dürften Firmen wie Facebook zukünftig (noch) restriktiver durchgreifen als ohnehin schon, während kleinere Start-ups die Vorgaben ohnehin kaum zu erfüllen vermögen.

Obgleich Verfechter von Meinungsfreiheit und eines möglichst vielfältigen Spektrums diverser Ansichten, ignoriere ich das Problem des sich im Internet verbreitenden Hasses übrigens keineswegs: Lese ich - beispielsweise - Artikel wie den über Sibel Schick, die unter massenhaften Hasskommentaren, Mord- und Vergewaltigungsdrohungen leidet und unbezahlte Essensbestellungen im Briefkasten fand, nachdem ihre Adresse veröffentlicht wurde, wird mir aufgrund einer Mischung aus Ekel und Wut auf die Täter übel! Was auch immer jemandem an den Äußerungen einer Person missfällt, und unabhängig davon, ob seine Kritik berechtigt ist oder nicht, solche Reaktionen sind absolut inakzeptabel und gehören konsequent bestraft!

Das ändert nichts daran, dass Internetfirmen weder ein erweiterter Arm der Polizei sind noch Ersatzrichter spielen sollten. Jemand, der im Internet justiziabel beleidigt oder gar bedroht wird, sollte auf herkömmlichem Wege Anzeige erstatten, und dann haben die Polizei - unter Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien - zu ermitteln und Gerichte (unter Berücksichtigung des Kontextes und der Intention) über den Schweregrad der Taten zu entscheiden, nicht jedoch die Betreiber sozialer Netzwerke!

Auf die Begründung von Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) für die Einführung erweiterter Behördenbefugnisse "Der Hass trifft unsere Demokratie mitten ins Herz." würde ich antworten "Ja, das stimmt - genauso wie die von der Regierung offenbar befürwortete Totalüberwachung!"

Klarnamenzwang wäre kontraproduktiv!


Hierbei ist nicht die angebliche Anonymität der Täter das Hauptproblem, sondern inkonsequentes Handeln der oft überforderten Justiz. Von einem mittlerweile immer häufiger geforderten Klarnamenzwang im Internet halte ich überhaupt nichts. Gerade ihre Anonymität bzw. Pseudonymität bietet Menschen einen zumindest rudimentären Schutz vor gewaltbereiten Internetusern, die Kritik an ihrer politischen Einstellung oder ihrem religiös bedingten Weltbild nicht ertragen, vor Stalkern oder brutalen (Ex-)Ehemännern. Anonymität bietet die Möglichkeit, zu kritisieren, ohne von Menschen, die damit nicht umgehen können, bedroht zu werden oder über persönliche Probleme zu sprechen, ohne sich outen zu müssen.
Wer etwas Zeit mitbringt, mag sich außerdem den ziemlich ausführlichen Artikel "Angriff auf die Anonymität im Internet" zu Gemüte führen.

Überwachungsstrukturen (hier noch die beeindruckende Liste all dessen, was bereits implementiert wurde), die letztlich auch dazu genutzt werden könnten, jeden Widerstand gegen eine ihre Macht missbrauchende Regierung bereits im Keim zu ersticken, sind genau das, wonach jeder Diktator händeringend sucht.
Transparent und gläsern sollte nicht der Bürger sein, sondern die Regierung mitsamt all ihren Repräsentanten!

Bleibt zu hoffen, dass sich möglichst viele Internetunternehmen streng an die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) halten, welche sie dazu verpflichtet, Passwörter verschlüsselt zu speichern. Dann würde möglicherweise ein unsägliches Gesetz der Anwendung eines anderen, nicht minder üblen, einen Strich durch die Rechnung machen. Das nennte ich dann eine ziemlich gelungene Ironie des Schicksals ... :)

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