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Warum der Vergleich zwischen Ossis und Migranten nicht hinkt

@isabellaklais hat vor 2 Tagen eine Stellungnahme zu einem Artikel der Autorin Jana Hensel veröffentlicht:
Durchsichtige Masche zur Spaltung der Deutschen: Sie sind und bleiben Mausefallenhändler!
Bzw. war es eigentlich eine Reaktion auf eine bei MSN veröffentlichte Kopie des Artikels und still und heimlich wurde in einer Manier, die mich an das Bearbeiten eigener Kommentare durch Herrn @besold erinnert, auch noch ein Link zu einer Kopie eines SZ-Artikels zum Thema Atomabkommen mit Iran gesetzt. Das sind Formalia, aber man darf sich bezüglich der verwendeten Bildersprache fragen, worauf genau sich die Metapher mit der Mausefalle nun wirklich bezieht.

Sorry fürs Abschweifen, ich wollte eigentlich zu den Inhalten Stellung nehmen. Publizistische Ergänzung, Sie wissen schon. Frisch aus dem Kopf in die Tasten gehauen. Nein, ich betreibe keinen Zweitblog, das wäre mir zuviel Arbeit. Und ich fühle mich dafür auch gar nicht wichtig genug ...

Jana Hensel

Jana Hensel wurde, so schreibt es Wikipedia, 1976 in Borna in Sachsen geboren. Sie ist damit etwa 2 Jahre älter als ich. Das geschriebene Wort ist offenbar ihr Ding, denn sie hat Literaturwissenschaft studiert und ist seitdem als Herausgeberin, Autorin und Journalistin tätig. Dem Thema "Aufwachsen in der DDR" hat sie mehrere Bücher gewidmet. Natürlich ist sie nicht die einzige Journalistin mit DDR-Hintergrund (wie das klingt! grummel), auch andere schreiben über dieses Thema, auch bei der ZEIT.

Naika Foroutan

Die 1971 geborene und teilweise im Iran, teilweise in Deutschland aufgewachsene Halb-Iranerin kann man ebenfalls fast noch zur Generation der Wende-Kinder zählen. Sie hat die Veränderungen als junge Erwachsene erlebt und in den 1990er-Jahren im westlichen Teil Deutschlands studiert. Dabei hat sie, auch später in ihrer Promotion, immer wieder ihre Erfahrungen aus einer muslimischen und teilmuslimischen Gesellschaft eingebracht. Pseudo-Forschung, wie Isabella Klais das nennt, sieht sicher anders aus. Zumindest bekommt man damit keine Stiftungs- und Bundesgelder, möchte ich meinen.

Die eigentliche Aussage ...

Entwurzelung erzeugt Sehnsucht. Egal, wo man wann weggehen mußte und wo man danach gelandet ist. Man hat nicht mehr die Sicherheit des vergangenen Wohnortes (den Begriff Heimat vermeide ich an dieser Stelle bewußt!), des persönlichen Umfeldes, der gewohnten Strukturen. Je nachdem, wie die Entwurzelung abläuft, kann sie ein psychologisches Trauma auslösen. (Und was macht unsere Gesetzgebung gerade? Richtig, sie stellt genau dieses Trauma unter Strafe! Das Opfer wird zum Täter, das Versagen einer Gesellschaft zum Individualversagen. Geht's eigentlich noch?)

Und wo findet man dann seelischen Frieden? In dem, was einem mal Heimat war (s.u.). Und in der Gemeinschaft mit anderen Menschen, die ähnliches erlebt haben.
Auf diese Weise erlebt man aber das Trauma immer mal wieder neu, anstatt es hinter sich lassen zu können.

Es ist schade, daß wir Migrantenkinder brauchen, die sowas formulieren, weil wir Deutschen, egal auf welcher Seite der Mauer aufgewachsen, uns dieses Thema verbieten.

Übrigens habe ich das Interview mit Naika Foroutan erst gelesen, als dieser Artikel in den letzten Zügen lag. Ich habe also nichts daraus kopiert (das dürfte anhand meiner Wortwahl der letzten Absätze auch klar sein).

Was das mit mir zu tun hat

Ich bin 1978 geboren, habe bis zum 14. Lebensjahr am Stadtrand von Dresden gewohnt, ab dann in Bad Nauheim in Hessen, später in Frankfurt/Main, Unterföhring, Darmstadt, seit 5 Jahren in Hallbergmoos, das nur einen Katzensprung vom Flughafen München entfernt ist. (München dagegen ist übrigens 20 km entfernt.)

Die Berufstätigkeit meiner Eltern führte zum Umzug ins beschauliche Hessen. Damit hatten sie / wir einiges Glück, so wie wir und sie vorher das Glück gehabt hatten, in relativem Wohlstand und persönlicher Sicherheit aufzuwachsen. Vielleicht wurden von der Generation meiner Großeltern dafür Zugeständnisse gemacht, diese wurden aber nie thematisiert. In der Kirche war niemand von der Familie, der Krieg war als Thema auch weitgehend tabu. Ich hatte nie das Gefühl, in der Schule indoktriniert oder durch den Staat gefährdet worden zu sein - und weiß inzwischen, daß das für viele andere Kinder und Familien nicht die Regel war.
Eigentlich könnte damit auch klar sein, warum mir das Thema Freiheit nicht so sehr unter den Nägeln brennt wie vielen hier: weil ich ein Leben in Freiheit hatte und habe, meiner Empfindung nach.

Allerdings waren einige der Freiheiten mit der Wende und dem Umzug vorbei. Plötzlich mußte man sich um alles Gedanken machen. Welche Schule sollen die Kinder nun besuchen, wie finanzieren wir den Geigenunterricht der Tochter, wie schaffen wir uns eine finanzielle Absicherung, die uns den Rest des Lebens trägt?
Vorbei die Zeit der Leichtigkeit mit wöchentlichen oder monatlichen Besuchen bei den Großeltern. Die wohnten nämlich nun mehrere hundert Kilometer entfernt.
Wenn ich mich heute mit Senioren aus dem Bekanntenkreis unterhalte, ist bei denen, die noch mobiler sind, der Besuch bei den weniger als 100 km entfernt wohnenden Enkeln ein regelmäßiger Termin, teilweise sogar wöchentlich, und in manchen Familien immer noch wichtige Stütze der Kinderbetreuung. Das ist auf mehr als einer Ebene Freiheit auf Kosten der Freiheit anderer.

Warum die Geschichte Isabella Klais Lügen straft

Es gab ja im vergangenen Jahrhundert schon mal eine innerdeutsche Migration. Gegen Ende des 2. Weltkrieges, aus dem Sudetenland und aus Schlesien. Übrigens auch ein Teil meiner eigenen Familiengeschichte, der mir nur teilweise offenbart wurde. Ohne gründlichere Recherche bleibt jegliche Annahme meinerseits über den Umgang mit den Zugezogenen in dieser Zeit nur Vermutung. Ich könnte mir aber vorstellen, daß er gerade in der angespannten Situation nach dem Krieg nicht immer freundlich war.

Und dann ist da noch die Symbolik der Wendezeit. Das Begrüßungsgeld, das Versprechen blühender Landschaften, die vor allem für Geschäftsleute aus dem "Westen" blühend waren. Die Enteignungen. Die vielen zu DDR-Zeiten berufstätigen Frauen, die sich überreden ließen, Kosmetikprodukte oder Töpfe und Pfannen zu verkaufen, per Schneeballsystem. Die unterschwellige Botschaft "Ihr und Eure Erfahrung seid nichts wert, Ihr müßt umlernen". Ein Gefühl, daß sicher jeder heutige Migrant nur zu gut kennt.

Und was ist eigentlich mit diesem Heimatbegriff?

Auch hierzu könnte man auf Artikel in der ZEIT oder der taz verweisen, die versucht haben, das Thema objektiv zu anzugehen. Ich verwende aber lieber ein Beispiel aus meinem Alltag.

Hier in Oberbayern sind 20 km Entfernung schon eine große Sache. Das paßt zu der Tatsache, daß man teilweise nur 10 km fahren muß, um einen anderen Dialekt zu hören (und ggf. nicht verstehen zu können). Das ist Stolz, aber kein Nationalstolz. Daß die Vereine trotzdem nicht auf Nachwuchs von Zugezogenen (egal welcher Nationalität) verzichten können, ist der Tatsache geschuldet, daß die frühere Vererbung von Hobbys wie Feuerwehr, Schützenverein usw. nicht mehr so reibungslos funktioniert, übrigens in ganz Deutschland nicht. Dorthin, wo man feiern kann, geht die Jugend aber eher.

Ein zweites Standbein der empfundenen Heimat: Essen. Also nicht die Stadt, die jetzt Thema einer Satire war, auf die die ungarischen Staatsmedien hereingefallen sind, sondern die Kulinarik. Natürlich schmeckt nichts so gut wie in der Erinnerung, aber der Begriff Soulfood hat ja einen realen Ursprung. Warum soll man einen Wein aus Rheinhessen trinken, wenn man doch mit dem Grünen Veltliner zufrieden ist - und umgekehrt? Warum muß man eine Schweinshaxe kochen, wenn man sie auch braten kann? Und so weiter und so fort ...

Was mich an der Stellungnahme stört

Was es ist? Vereinnahmung. Im Sinne von "Ihr Ossis seid doch wie wir und nicht wie die Migranten". So stellt man eine benachteiligte Bevölkerungsgruppe über die andere. Pfui!
Schlimm genug, daß diese Masche tatsächlich bei vielen Menschen zieht.

Nochmal zurück zu der Stellungnahme selbst. Isabella Klais gab in einem Kommentar zu, die Links zu den Artikeln "beim Kopieren vergessen" zu haben. Also steht der Text auch noch irgendwo anders. Da @cheetah diesmal nicht angesprungen ist, anders als bei ihrer Vorstellung, tippe ich auf Facebook. Wäre auch nicht wirklich verwunderlich, da die tatsächlichen Spalter der Gesellschaft sich ja gern dort tummeln.

Was soll ich denn also machen, außer sie hier zu entlarven?

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